Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen

Fleischfresser

Dr. Trash empfiehlt: Legen Sie sich preisgünstige amerikanische Gruseltaschenbücher zu - am besten die aus der Reihe Leisure Horror, die schon vor drei Jahren (als diese Kolumne gedruckt erschien) dafür sorgten, daß sich belesene Menschen nicht mehr auf die Straße wagen müssen, um ordentlich Angst zu haben.    08.08.2007

Er fürchtet sich gern, der Doc. Das heißt, meistens hat er Angst. Zum Beispiel, wenn er aus dem Haus gehen muß, dorthin, wo viele Menschen sind, in U-Bahnen beispielsweise, öffentlichen Bädern oder Konzertsälen. Das öffentliche Leben eignet sich nicht für Privatgelehrte.

Deshalb fürchtet sich der Doc lieber alleine, daheim, vor dem Bildschirm (bei einer gepflegten japanischen Geistergeschichte, die ihm den Schlaf raubt) oder mit einem guten Horrorbuch. Am besten einem handlichen Paperback, weil man beim Fürchten öfters eine freie Hand braucht, die man sich entsetzt vor den Mund halten kann - und da rutscht das schwere Hardcover ja gleich weg.

In den letzten paar Tagen hat sich der Doc wieder vor Zombies gefürchtet. Erst im Kino, beim gelungenen "Dawn of the Dead"-Remake, und dann bei Brian Keenes Gruselschocker The Rising*, wo sich ihm gleich vom Cover verwesende Hände entgegenstrecken. Warum die Untoten in dem Roman Amerika (und morgen die ganze Welt) erobern, das kommt nie so ganz heraus - irgendwas mit gefallenen Engeln, die sich an der Menschheit rächen wollen. Ist aber auch egal, weil sich die letzten paar Überlebenden von Seite eins an in brutalste Gore-Action stürzen, inklusive untoter Babies, Priester und sogar Bambis. Zombie-Apokalypse rules!

Keenes Buch stammt aus dem Sortiment der US-Taschenbuchreihe Leisure Horror, deren "Wir-überschwemmen-den-florierenden-Markt-mit-schwachen-Stephen-King-Kopien" vor mehr als einem Jahrzehnt zum Zusammenbruch des amerikanischen Horror-Booms führte und das Genre wieder in die hintersten Regale der großen Buchhandelsketten verbannte. Erst seit der neue Herausgeber Don D´Auria das Zügel übernahm, ging es mit Leisure wieder aufwärts - inhaltlich, in der Gunst der Käufer und auch, was das Image bei den Autoren betrifft.

Heute erscheinen in der Bibliothek für eine gepflegt-blutige Freizeit nicht nur Blut & Beuschel-Werke wie das oben erwähnte oder die grausamen Sex/Gewalt-Geschichten eines Richard Laymon (z. B. Body Rides), sondern auch Spukhausliteratur wie Douglas Cleggs Nightmare House, böse Hardboiled-Krimis mit übernatürlichen Elementen (siehe auch Red von Jack Ketchum, wo man erfährt, wozu jugendlicher Übermut führen kann - geschieht ihnen recht, den Deppen!), neue Ideen zum Thema "schockierende Kleinstadtgeheimnisse" in Michael Laimos Deep in the Darkness oder die namenlosen Ängste aus Tim Lebbons Vier-Novellen-Sammlung Fears Unnamed.

Da ist wirklich für jeden etwas dabei, der gelegentlich gern seine Gänsehaut genießt und des Englischen mächtig ist. Aber der Doc wartet sowieso nicht auf deutschen Grusel. Da genügt es ihm, wenn er versehentlich RTL aufdreht ...

Dr. Trash

Dr. Trash empfiehlt


erscheint in gedruckter Form in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

 

* "The Rising" und dessen Nachfolgeroman "City of the Dead" sind mittlerweile auch beim Grazer Verlag Otherworld als Doppelausgabe "Das Reich der Siqqusim" erschienen.

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