Kolumnen_Miststück der Woche III/30

Icona Pop: "I Love It"

Vergangene Woche sang Manfred Prescher hier das Hohelied der Liebe - heute widmet er diese Kolumne seinem Stellvertreter auf (beruflichen) Erden. Denn der liebt dieses Lied. Warum das so ist? Das erfahren Sie hier.    22.04.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Alter Schwede! Was kommt denn da wieder aus dem hohen Norden auf uns zu? Caroline Hjelt und Aino Jawo sind zwei Sängerinnen, die natürlich gar nicht mal so alt sind und die Menschheit mit Elektropop beglücken. Einer dieser Menschen ist mein Kollege Andreas, der auf "I Love It" von Icona Pop steht, beziehungsweise dazu in der Gegend herumrennt. Denn mein Stellvertreter ist schnell unterwegs. Wer ab und an abends in Nürnberg herumstreunt, der kann ihn beim Rennen sehen - aber nur, wenn er in der Lage ist, seine Augen auf "High-Speed-Modus" umzustellen. Der Mann schreibt nicht nur schneller als sein Schatten, er rennt auch flotter und mit einer Ausdauer, daß man als gewöhnlicher Sesselpupser neidisch werden könnte. Um das Tempo hochzuhalten, hat er sein Smartphone in eine mobile Soundanlage umgerüstet, sich Kopfhörer gekauft, die den Klang optimieren, Nebengeräusche rausfiltern und dem Mann in der Ohrengegend eine Optik verleihen, die irgendwie an eine Mischung aus Mister Spock - ich meine jetzt natürlich nicht die ebenfalls aus Schweden stammende Band gleichen Namens - und einen Milka-Osterhasen erinnert. Womit wir schon beim Thema "Werbung" wären: "I Love It" wurde nicht, wie ich noch vor einer Woche vermutete, für McDonald´s komponiert, sondern für Coca-Cola - und das paßt ja wieder zu meinem Kollegen.

Dieses Gesöff trinkt er nämlich gern, allerdings in seiner reinsten Form. Keine "Light"- oder "Zero"-Variante kommt über seine Lippen. Leider warb der Getränkekonzern ausgerechnet für die leichte Süßstoffversion mit dem schwedischen Gummibärchenlied. In diesem Zusammenhang fällt mir der von Willy Astor stammende hessische Begriff "Gummibärschebärsche" ein, was auf gut Hochdeutsch übrigens "Gummibärchenpärchen" heißt. In Hessen gibt es übrigens auch das Wort mit den meisten "Sch" drin, nämlich "Schornschteinfescherärsche", aber ich schweife ab ... Wer nun jeden Abend zwischen Dutzendteich, Silbersee, Luitpoldhain und Valznerweiher einen olympischen Marathonrekord aufstellt, kann sich natürlich auch die ungesunde Kombination aus einem Liter braungefärbtem Wasser und einem Zentner Zuckerwürfel einverleiben, ohne daß das Leibchen beim nächsten Lauf über der Plautze spannt. Weil er einfach keine hat. Andreas ist fit wie ein Turnschuh, riecht aber besser. Ansonsten steht er auf künstliche Dinge wie Cola aus der Plastikflasche, Käse aus der Tube oder Musik aus der Retorte. Und auf Musik wie Icona Pop und ihr zuckrigsüßes Disco-Lied "I Love It".

 

Die beiden Damen schafften es in Deutschland und Österreich dank der Blubberbrause bis auf Platz 3 der jeweiligen Hitparaden. Nicht schlecht für eine erste Single, aber wir wissen aus der Vergangenheit der Cola-Werbung, daß die der Karriere nicht gerade förderlich ist. Coke generiert One-Hit-Wonder. Wer, außer vielleicht Frauen, die heute so um die 50 sind, erinnert sich noch an das charmante "Stop" von Sam Brown? Das war anno ´89 ein Hit. Damals lernte der Kollege Andreas überhaupt erst laufen, was natürlich nicht stimmt, sich aber gut liest. Besser erging es Helen Shapiro, deren Lied "Walking Back To Happiness" perfekt zum putzigen Eisbären-Spot paßt, den uns Coca-Cola im endlich verwichenen Jahrhundertwinter unterjubelte.

Für den Marathon-Mann aus dem Nachbarbüro ist besagter Song zwar zu langsam, aber er war immerhin Teil einer längeren Karriere. Allerdings liegt die von Helen Shapiro schon ewig und drei Tage zurück. Wenn ich mich recht erinnere, war "Walking Back To Happiness" ein Hit im Jahre 1961. Und als es auf Platz 1 der britischen Charts stand, lag ich noch in Windeln gebettet und reichlich unbeweglich in der Gegend herum, die Mauer wurde gebaut - sprich: Die Geschichte veränderte sich. Kausale Zusammenhänge zwischen meiner Geburt und dem "antifaschistischen Schutzwall" sind mir allerdings nicht bekannt. Bei Icona Pop ist die Sachlage anders: Der Hit ist so simpel wie austauschbar, und je austauschbarer so ein Gassenhauer ist, desto schneller wird man ihn nun mal vergessen.

Die Haltbarkeit von Songs wie "I Love It" ist sehr begrenzt, es sind praktisch musikalische One-Night-Stands. Deswegen muß man sie nicht schlecht finden, weil sie ja ihren Zweck bestens erfüllen. Gebrauchsmusik nenne ich sowas. Zum Laufen, zum Herumhopsen und um sich auf dem Autositz auf einen schwungvollen Tag einzustimmen. Man merkt recht schnell, wenn man keine Lust mehr auf den Song hat; dann bewegt sich der Finger unwillkürlich und automatisch auf den "Weiter"-Button zu. Andreas findet den blind, er muß noch nicht mal sein Tempo reduzieren - und schon ist "I Love It" vergessen. Er wird Icona Pop erst dann wieder wahrnehmen, wenn der Speicher seines Handys nach einer konzertierten Löschaktion schreit.

Nächste Woche wird es hier auch um elektronische Musik gehen - und zwar um James Blake und sein famoses Lied "Overgrown". Ich will diesen Song verbal mit dem ebenfalls famosen "Was uns verbindet" von Maybebop verbinden. Dazu grubbere ich wieder für euch in meinem musikalischen Gedächtnisbeet herum. Da muß das Unkraut sowieso dringend mal raus.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Icona Pop: "I Love It"

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enthalten auf "Iconic EP" (WEA/Atlantic)

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