Kolumnen_Miststück der Woche III/23

Jake Bugg: "Broken"

Wenn man als junger Mann mit Bob Dylan verglichen wird, ist das eine Bürde. Schlimm wird es, wenn es gar keinen Anlaß für derartige Vergleiche gibt. Manfred Prescher findet aber auf jeden Fall, daß Jake Bugg erstaunlich ist - der Bub hat Talent und ist noch dazu sehr weise.    04.03.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Mein Freund Jürgen und ich haben viel gemeinsam. Wir sind uns so ähnlich, daß wir sogar mal in dieselbe Lady verliebt waren. Dabei waren wir immerhin so taktvoll im Umgang miteinander, daß dies nicht gleichzeitig geschah. Unterschiedliche Einstellungen gibt´s natürlich trotzdem - wie das letzte Treffen bei unserem Lieblingsitaliener nachhaltig bewies. Um eines vorweg zu nehmen: Im "La Locanda" läuft  als Hintergrundberieselung kein schmalziges Canzone zur Calzone, sondern angenehm trendige Popmusik. Da kennt der gute Signore Romeo Como nix; der beweist nicht nur beim Essen guten Geschmack. Und genau deshalb gehen Jürgen und ich da immer wieder hin.

Vor kurzem waren wir also dort, es lief grad "Pity Love" von Adam Green und Binki Shapiro, als wir wieder einmal die Menschen am Nachbartisch belauschten. Das tun wir gern, weil es uns Gesprächsstoff en masse gibt. Sie kam, wie sich herausstellte, aus Hameln, er mehr aus dem Bayrischen - beide hatte es scheinbar zufällig von irgendwo her in "unser" Lokal verschlagen. Während dann Jake Bugg sein sehr schönes "Broken" zum Besten gab, gerieten wir mitten in ein Beziehungsgespräch, das sich vehement um Offenheit, andere Frauen und ähnliche Dinge drehte. Während Bugg die Zeilen "But I must carry on/Always one/Never broken/Run to the lobby where I saw you try” sang, was ja irgendwie paßte wie das Gesäß auf die Brille, kam das Gespräch mit Jürgen in Gang:

Ich: "Es sind doch immer die gleichen Themen. Ich möchte grad nicht in seiner Haut stecken."

Jürgen: "Es geht uns Männern doch immer so, mach dir da mal nix vor. Mir geht diese ganze Herzscheiße echt auf den Bahlsen!"

 

Wirklich, Jürgen verwendete tatsächlich das Wort "Herzscheiße". So spricht er praktisch jedes Mal, wenn er sich gesprächstechnisch in Beziehungsfragen abgrenzen will. "Deshalb bin ich Single, ich hatte genug Herzscheiße in meinem Leben", stellte er fest, während der Bayer am Nachbartisch nach Ausflüchten suchte und Jake Bugg "Peace and love/In a future/Bright, sacrifice" sang. Die Dame aus Hameln schien ebenfalls nach etwas zu suchen.

Jürgen: "Die sucht wahrscheinlich grad inmitten der Herzscheiße nach der allgemeingültigen Wahrheit."

Ich: "Psst. Laß mich doch mal hören, was sie sagt ..."

Jürgen: "Das verstehst du sowieso nicht, hör lieber auf Jake Bugg!"

Jürgen hatte recht, ich verstand sie nicht, mein Hochdeutsch reichte nicht aus. Im Gegensatz zu mir hat er ja einige Zeit lang in Osnabrück-Westerberg gelebt und ist zudem mit einer Tante aus Leer (genau richtig gelesen "Leer wie voll") gesegnet - er verstand sicher jedes einzelne Wort. Jedenfalls hing er gebannt an ihren Lippen ...

Sie sagte also, daß sie nicht wisse, ob und wie sie ihm vertrauen solle, was Jürgen gerade kommentieren wollte, als der Typ vom Nachbartisch plötzlich aufstand und in Richtung Toilette ging. "So schnell kommt der nicht wieder", stellte ich fest. Auch, weil die WCs im La Locanda aus nachvollziehbaren Gründen meilenweit von unseren Sitzplätzen entfernt sind.

"Wie findest du eigentlich Jake Bugg?" fragte ich meinen Freund, während der sich in aller Seelen- und-Jürgen-Ruhe die Lady am Nachbartisch anschaute.

Jürgen: "Wie jetzt? Gerade im Moment oder generell?"

Ich: "Beides."

Darauf fing er in seiner typischen Art mit dem Erklären an und brachte auf den Punkt, was er von dem Sänger und Songschreiber aus Nottingham hielt.

"Irgendwie supi, das Kerlchen! Du, der Typ wird am 28. Februar grade mal 19, der ist praktisch sowas wie die männliche Adele. Gut, ihm fehlt obenrum ein wenig, aber der Vergleich paßt besser als der mit Bob Dylan ..."

An dieser Stelle muß ich einflechten, daß man Bugg immer wieder eine Nähe zu Dylan nachsagt - was aber nur daran liegt, daß beide Männer gerne texten und komponieren.

"... bloß weil Bugg im Video zur Single 'Lightning Bolt' wie der junge Bob mit seiner Gitarre durch die Straßen marschiert. Da hat es sich mit den Gemeinsamkeiten aber auch schon. Der Jake singt einfach nicht nur besser, im Gegensatz zu Dylan singt er überhaupt."

Ich sehe das ähnlich. Ich finde eigentlich, daß Bugg wirklich näher an den Everly Brothers ist. Das belegte auch der Musik-Mix von Signore Como, denn als übernächstes Lied lief "It´s All Over" von eben jenen Everly-Brüdern in einer feinen neuen Version von Bonny "Prince" Billy und Dawn McCarthy. Gerade in dem Moment kam der Bayer von seinen dringenden Geschäftsangelegenheiten zurück.

Jürgen: "Ob der zwischenzeitlich daheim am Schliersee oder am Fuß des Wendelsteins war?"

Ich: "Keine Ahnung. Aber sag mal, wie schaut sie denn grad? Kannst du was sehen?"

Jürgen: "Du stellst Fragen! Irgendwie ist ihr Blick wie eine Mischung aus zwei Songs der Everlys - 'Bye Bye Love' und 'True Love', wenn du verstehst, was ich meine. Es ist ..."

Ich: "Laß das Wort stecken, Cowboy. Mir ist klar, was du sagen willst ... Jake Bugg hat zu so einem doppeldeutigen Augenblick übrigens auch ein paar kluge Sätze geprägt."

Jürgen: Ich weiß, welche Worte du meinst. Aber jetzt kommt unsere Saltimbocca. Und außerdem läuft eh grad David Bowie. Vergiß die Herzscheiße, laß uns das Glas heben und das Leben genießen!"

Nächste Woche werden wir hier, justament an dieser Stelle, ebenfalls das Leben genießen - und zwar mit einem schönen neuen Lied von Ron Sexsmith. Der Mann hat gesundheitlich eine harte Zeit hinter sich, erfreut uns aber trotzdem mit positiven Songs.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Jake Bugg: "Broken"

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enthalten auf der CD "Jake Bugg" (Mercury/Universal)

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