Kolumnen_Miststück der Woche IV/12 - Leserwunsch #22

Johann Sebastian Bach: "Kommt Ihr angefocht´nen Sünder"

Und wieder erfüllt Manfred Prescher einen Leserwunsch. Eines schon mal vorweg: Der Song, um den es heute geht, ist definitiv der älteste, der bislang hierorts besprochen wurde. Die wunderbarliche Melodei stammt aus dem Barock, der Text ist biblisch - und beides zusammen paßt ganz gut in unsere gar nicht mal so modernen Zeiten.    02.02.2015

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Vergangene Nacht träumte ich, daß ich einen Film über den Propheten Mohammed drehte. In der Hauptrolle war Tom Hanks, der so verschleiert wurde, daß nicht mal seine Umrisse zu erkennen waren. Nur manchmal sprang etwas unter seine Kutte vor und sang "Hurra, hurra, das Kasperle ist wieder da!" Ansonsten stammte der Soundtrack von Johann Sebastian Bach. Das ergibt auch Sinn, denn der 1685 in Eisenach geborene Musiker und Komponist beschäftigte sich in seinem umfangreichen Werk zum Großteil mit Texten aus dem Buch der Bücher. Den Koran hat er sich zwar nicht aufs Brevier geschrieben, aber wir wissen ja längst aus dem erweiterten Religionsunterricht, daß Christentum und Islam nicht nur geographisch eng verwandt sind, daß im Koran auch Jesus sein Aus- und Vorkommen hat und daß im Namen des jeweiligen Gottes auch schon oft Glaubenskriege angezettelt wurden. Daß die einen das jetzt mit Nachdruck und 1000jähriger Rückständigkeit machen, bringt unsere Welt gerade massiv in Schieflage. Die andere, römisch-katholische Seite will derweil die Verbreitung von Verhütungsmitteln verhindern, was speziell in der Dritten Welt für Probleme sorgen dürfte. Schließlich hört bei uns keine Sau auf den Papst. Aber "drunt in Afrika" (Fredl Fesl) oder in Südamerika werden die Misere wohl wieder Frauen und ungewollte Kinder ausbaden.

 

Was das alles mit Bach zu tun hat? Das könnt ihr euch leicht ausrechnen. Es liegt natürlich am Text von "Kommt Ihr angefocht´nen Sünder". Der ist alles in allem nicht besonders lang, aber er zeigt eine Möglichkeit auf, dem blutroten Treiben auf der Erde Einhalt zu gebieten: Man müßte bei sich selbst anfangen, zu innerer Ruhe finden, sich als Teil des großen Ganzen, vulgo nicht als Feind von diesem, jener oder gar allem begreifen. Dann würde man, so behaupte ich, auch nicht gleich zum Semtex greifen, Redakteure erschießen oder im Namen irgendeines Heiligen Kriegsgottes ganze Städte ausradieren. Der Text ist, wie gesagt, ziemlich einfach: "Kommt, Ihr angefocht´nen Sünder/Eilt und lauft, Ihr Adamskinder/Euer Heiland ruft und schreit/Kommet, Ihr verirrten Schafe/Stehet auf vom Sündenschlafe/Denn itzt ist die Gnadenzeit".

Aber auch das Christentum hat gemordet, vergewaltigt, gebrandschatzt, versklavt, ausgebeutet und zerstört. Weil man die Botschaft des friedfertigen Herrn Jesus Christus nicht verstanden hat und meinte, man müsse das, was man falsch interpretiert hat, dann, wenn der Nächste schon missioniert ist, dem Übernächsten mit Waffengewalt und Nachdruck einbleuen. Nebenbei oder gar hauptsächlich haben die Kirchenoberen auch mit den weltlich-wirtschaftlichen Interessen der Fürsten und Finanziers prima kollaboriert. Der Eitle lebt halt, besonders, wenn man Wein, Brot und Fisch nicht teilen kann oder will, nicht allein von dem, was uns Mutter Erde so bescheret. Raffgier, Habgier und Machtgeilheit waren und sind so menschlich wie unmenschlich. Aber der Text jener Arie für Altstimme, die aus Bachs Kantate BWV30 "Freue Dich erlöste Schar" stammt, mahnt uns zur Umkehr. Der Heiland und Friedensfürst ruft die Gnadenszeit aus.

Im Bach-Werke-Verzeichnis finden wir übrigens mehr als 200 Kantaten, viele davon, etwa "Eine feste Burg ist unser Gott" oder "Christus, der ist mein Leben" sind noch heute Hits, zumindest im Umfeld der evangelischen Kirche. Die Kantaten entstanden übrigens fast alle als Bestandteil der Liturgie im Kirchenkalender, für den 79. Sonntag nach Trinitatis, die dreifache Einfältigkeit oder so. Aber im Ernst: "Freue Dich erlöste Schar" und damit auch die Arie "Kommt Ihr angefocht’nen Sünder" wurde 1738 für das Fest zu Ehren Johannes des Täufers komponiert. Ich glaube, nicht mal eifrige Kirchgänger können aus den betenden Händen schütteln, wann genau man bei den Protestanten Johannes des Täufers gedenkt. Wer´s wissen will: Es ist der 24. Juni, aber das nur am Rande. Genauso nebenbei sei erwähnt, daß die Sünden im Werk von Bach eine große Rolle spielen, speziell natürlich in der "Matthäuspassion" oder in der "Johannespassion", wo speziell der finale Leidensweg von Jesus Christus an Hand der biblischen Vorlage aufgezeigt wird. Schließlich, so wird von den Evangelisten berichtet, starb Jesus, damit wir von unseren Sünden erlöst werden.

 

 

Johann Sebastian Bach war gläubig und unter anderem als Thomaskantor in Leipzig oder Konzertmeister in Weimar tätig. Daß das Tongenie hauptsächlich an der musikalischen Umsetzung der Bibel arbeitete, ist daher naheliegend. Dennoch kamen auch weltliche Klänge aus seiner Feder: In Weimar endstand etwa die "Jagdkantate", die als erste Kantate ohne christlichen Background gilt. Auch die Übernahme der Leitung des studentischen Collegium musicum vom Kollegen Telemann hatte rein gar nichts mit der Kirche zu tun.

Aber zurück zu den "angefocht’nen Sündern". Sicher ist, daß Willy Millowitsch so ziemlich recht hatte: "Wir sind alle kleine Sünderlein" sang der kölsche Jong kurz nach Bachs Ableben. Manche, und das muß man einfach ergänzend erwähnen, sind allerdings so große Sünder, daß man ihnen zumindest auf Erden nicht vergeben kann. Ob irgendein Gott das dann dereinst fertigbringt, sei hiermit dahingestellt.

Musikalisch ist die Arie wirklich ein absolutes Kleinod, eine schwungvoll instrumentierte Melodie von zeitlos-überirdischem Glanz. Freundlich, friedlich und liebevoll streichelt sie sich ins Gedächtnis. Das ist große Kunst, wie sie kaum jemand so beherrschte wie Bach. Daß man dieses Genie kurz nach seinem Ableben schon vergessen hatte und er für uns und die die Nachwelt erst im 19. Jahrhundert von Felix Mendelssohn-Bartholdy dem kollektiven Mahlstrom des Vergessens entrissen wurde, dafür sei dem Felix auf ewig dank. Denn schon diese kleine Alt-Arie ist so schön, dass sie glatt fehlen würde, kennte man sie nicht.

Vielleicht, so kann man zusammenfassen, was Musiktheoretiker immer wieder betonen, war Bach den nachbarocken Menschen einfach zu mathematisch. Im Barock selbst hatte man ein ausgeprägtes, neuaufgeklärtes Fable für Zahlenspielereien. So ergibt, wenn man die Buchstaben des Alphabets der Reihe nach durchnumeriert, die Addition B+A+C+H genau 14. Und das war eine Zahl, die Bach wohl mochte - er schrieb 14 Goldberg-Variationen oder auch 14 Fugen für "Die Kunst der Fuge". Daß er immer 14 Knöpfe an seinen Jacken zuzuknöpfen hatte, wird indes nur kolportiert. Andere Zahlen spielen im Werk des Künstlers ebenfalls eine Rolle, aber das könnt ihr in dem wirklich hochinteressanten Buch "Gödel, Escher, Bach" des Mathematikers Douglas R. Hofstadter lesen, das ich gerade aus einem Umzugskarton zog.

Ich will euch stattdessen einen Ausschnitt aus einem anderen Werk anheimstellen, in dem es ebenfalls um Mathematik geht. Die beste Liebespartnerin von allen überreichte mir dieses kleine Brevier - "Die Mathematik der Nina Gluckstein" der weit unterschätzten Esther Vilar - jüngst. In der Novelle findet man eine Passage, die den spielerischen Umgang mit der Arithmetik zeigt. Sie ist der Bachschen Vorgehensweise nah verwandt, kommt aber ohne die Verknüpfung mit christlichen Symbolen aus: "Wie schon den Pythagoreern galt vielleicht auch ihr (Nina Gluckstein; Anm. d. Verfassers) die 17 als Unglückszahl. Sie 'sperrt' zum Beispiel die Zahlen 16 und 18, die die bemerkenswerte Eigenschaft besitzen, daß die als Inhaltszahlen zu solchen Rechtecken gehören, deren Inhalt gleich dem Umfang ist. In der Tat: Ein Quadrat mit der Seite 4 hat den Flächeninhalt und den Umfang 4x4 =16, und entsprechend haben wir beim Rechteck mit den Seiten 6 und 3 den Umfang 18. Ich, zum Beispiel, die wie alle zur Ungläubigkeit verdammten Menschen stets gierig nach jeder Gelegenheit zum Aberglauben greife, habe nie etwas Wichtiges an einem Siebzehnten unternommen. Niemals wäre mir der Sinn gekommen, meinem Geliebten an einem 17. einen Brief zu schreiben."

 

 

Ich, der ich an einem 17. geboren wurde, kann mir natürlich solch einen Aberglauben nicht erlauben, also schreibe ich fürderhin mindestens einmal im Vierteljahr an einem solchen Tag mitten im Monat einen Brief an meine Herzensdame. Was ich aber nicht tun werde, ist nach einer Jacke zu suchen, die so viele Knöpfe hat wie die Addition meiner Buchstaben an Hand des Zahlenäquivalents ergäbe. Bei stolzen 92 Winzdingern käme der feinmotorisch nicht übermäßig talentierte Mr. Prescher schon ins Schwitzen oder Fluchen.

Nächste Woche geht es hier irgendwie auch um Mathematik, denn man kann sich leicht ausrechnen, wie stressig das Leben für alleinerziehende Mütter ist. Wenn sie beispielsweise einen 29-Stunden-Tag in 24 Stunden pressen müssen - und dabei noch den Schlaf nicht mit einrechnen können. Erzählt wird von Vor- und Aburteilungen, von Getratsche und sozialer Ächtung. Und das alles passiert in einem Country-Stück, das aus dem Jahre 1968 stammt, von Jeannie C. Riley zum Hit gemacht wurde und nichts von seiner tragischen Wahrheit verloren hat: "Harper Valley P.T.A.". Bis dahin geht raus ans Bächlein, hört Bach oder einen seiner begabten Söhne und lest Esther Vilar. "Alles ist Zahl", zitiert diese den alten Pythagoras. Stimmt, sag´ ich. Alles ist Zahl, der Rest ist egal. Also liebt euch, zählt auf euch und seid nett zu euren Mitmenschen, egal, woher sie kommen. Denn eure Vorfahren sind gemeinsam mit denen der Perfida-Anhänger mal an eure Nordseeküste, in eure Gebirgsschlucht oder euer Obereinherz eingewandert. Und zwar aus Afrika.

Was mach´ ich bis zu unsrem Wiederlesen? Ich schreib´ derweil am Drehbuch für meinen über Abū l-Qāsim Muhammad ibn ´Abd Allāh ibn ´Abd al-Muttalib ibn Hāschim ibn ´Abd Manāf al-Quraschī, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Mohammed. Im Streifen über den Abgesandten Gottes muß natürlich auch jemand den Herrn spielen, der den Propheten in die Wüste schickte. Das macht, so stelle ich es mir vor, Bruce Willis. Und immer, wenn der dann zu Mohammed spricht, wird das ganze mit dem ersten Choral "Wachet auf, ruft uns die Stimme" aus der gleichnamigen Bach-Kantate (BWV 140) untermalt.

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Johann Sebastian Bach: "Kommt Ihr angefocht´nen Sünder"

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Enthalten auf "Das gesamte Kantatenwerk" (Hänssler Classic/Naxos Deutschland)

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Kommentare_

Jaytrer - 02.02.2015 : 12.00
Der Autor hat keine Ahnung und schreibt nur Mist.
Es ist einne Schande!
Manfred Prescher - 03.02.2015 : 23.48
Dies ist eine Kolumne und keine wissenschaftliche Arbeit über Bach. Also verbitte ich mir diesen unflätigen Ton. Ein Mensch mit etwas Kultur - und das sollten die meisten Bach-Kenner ja sein - lässt sich zu sowas nicht herab. Es zwingt sie ja keiner, diesen Text zu lesen. Ist wirklich eine Schande, wer sich heutzutage im Internet herumtreiben darf.

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