Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 39

Kings Of Leon: "Sex On Fire"

Überraschung! Knarzige Texaner mit Indie-Anspruch werden Nummer 1 in den britischen Charts und halten sich dort wochenlang. Der Song ist allerdings wirklich fein - findet Manfred Prescher.    06.10.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

 

Wir alten Säcke, die für den "großen vaterländischen Krieg" (Josef Stalin) zu alt und für die freie Liebe von anno ´68 viel zu grün waren, erinnern uns noch an die Formation The Crazy World Of Arthur Brown, die mit der Zeile "I am the god of hell fire/And I bring you/Fire" einen Riesen-Hit landete, in dem sie "Sex Machine" vorwegnahm und mit einer psychedelisch-transzendenten "Aurora" (Franz Beckenbauer) versah. Natürlich ging es, das spürten wir, um das Geschlechtliche, was den Song erst recht zielgerichtet durch die Ohren direktemang gen Italien (gut, das schreibt man hier eigentlich zusammen) wandern ließ. Nebenbei war "Fire" auch ein musikalischer Götterbote, der uns die Siebziger mit Funk und Glam-Rock prophezeite.

Genau an dieses Lied fühlte ich mich erinnert, als ich das sehr zackig Seventies-mäßige Retro-Groove-Teil "Sex On Fire" zum ersten Mal hörte. Gewundert habe ich mich natürlich auch, denn der Megahit, dessen singuläre Existenz man hierzulande wieder verschlafen hat, klingt ziemlich anders, als es die Kings Of Leon sonst tun. Bislang waren die vier aus Texas eher Kritikerlieblinge, die ihre musikalischen Zelte irgendwo zwischen abgehangenem SST-Sound, Alternative Country, Southern- und Stoner Rock aufschlugen, aber jetzt schielen sie nach goldenen Schallplatten. Tatsächlich ist das neue Album "Only By The Night" nicht ganz so knarzig-schön wie der Vorgänger "Because Of The Times", auf den in unzähligen Rezensionen ein Loblied angestimmt wurde: Platte des Monats, des Jahres und blablabla. Dafür hat das neue Werk den herausragenden Killer-Track zu bieten. Und der macht uns mindestens so viel Freude wie der blutrünstige Dexter im Pantoffelkino.

 

Mit dem Erfolg von "Sex On Fire" haben Caleb, Jared und Nathan Followill sowie ihr Cousin Matthew Followill nicht gerechnet. Sie waren sich überhaupt nicht sicher, wie ihr neues Material ankommen würde. Daher boten sie ihre erste Vorab-Veröffentlichung "Crawl" als kostenlosen Download an, was nicht allzuviele Zeitgenossen mitbekommen haben. Deshalb - und weil nach den ersten drei Tracks "Closer", "Crawl" und eben "Sex On Fire" allmählich der Kings-Of-Leon-Rock-Alltag auf dem Album wieder einkehrt - wird der Hit auf absehbare Zeit ihre einzige Nummer 1 bleiben. Aber das macht nichts: Wer so schön im Plattenschrank des Vaters wühlt und dessen Inhalte authentisch ins Hier und Jetzt transferiert, der hat zumindest kurzfristig einen Platz in Herz und Becken verdient.

Das Bild von Väterchens Vinylschätzen entspringt übrigens nicht meiner wilden Phantasie oder den für diese Kolumne typischen Assoziationsketten, mit denen ich vom Hundertsten zum Millionsten zu kommen pflege, sondern der Realität: Der Followill-Papa, der übrigens tatsächlich Leon heißt, verfügt über eine Plattensammlung, die im heimischen Nashville legendär ist. Vor allem Country-LPs und Werke aus der Flower-Power-Ära bewahrte er für die begeisterten Nachkommen auf. Leon war ein stadtbekannter Hippie, der nach dem schalen Ende der Bewegung zum Wanderprediger wurde und mit den Söhnen auf dem Tornister "im Auftrag des Herrn" (Elwood und Jake Blues) übers Land zog; eine ziemlich schräge Type also, aber wohl herzensgut. Seine weltlichen Drehscheiben behielt er allerdings - und wahrscheinlich ist auch Arthur Browns Album darunter.

Ob er, wie im Süden der USA üblich, "Satan is real" predigte und die Fleischeslust von "Fire" als Beispiel für genau das Teufelswerk verwendete, das der Song propagierte, weiß ich natürlich nicht. Seinen eingeborenen Söhnen jedenfalls haben die Wanderjahre für die Pentecostal Church nichts geschadet. Ein klein wenig Sexualitätsfeindlichkeit kann man aber schon aus dem Hit heraushören - und das nicht, weil "Sex On Fire" auf Rammstein-mäßig brennende Betten hinauslaufen könnte. Zeilen wie "Your sex is on fire/Consumed/With what´s to transpire" oder "Soft lips are open/Knuckles are pale/Feels like you´re dying/You´re dying" klingen nicht eben nach gesunder Sinnlichkeit. Aber keine Angst, die Kings wollen nur spielen: "If it´s not forever/If it´s just tonight/Oh it´s still the greatest/The greatest/The greatest."

In zwei Wochen geht es an dieser Stelle um einen Mann, der immerhin zur größten und besten Band der Welt gehört - um Farin Urlaub von den Ärzten. Mit seinem Racing Team ist er gewohnt flott, aber ohne Bela B. unterwegs.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Kings Of Leon - Only By The Night

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SonyBMG (USA 2008)

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