Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 24

The Last Shadow Puppets: "The Age Of Understatement"

Alex Turner ist ein echter Goldjunge. Was er anfaßt, verwandelt sich in klingende Dukaten - und das will in diesen Zeiten was heißen, findet Manfred Prescher.    12.05.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

In irgendeinem "Miststück" aus längst vergangenen Zeiten habe ich gemutmaßt, daß Amy Winehouse die ideale Besetzung für das Titelstück des neuen Bond "Quantum Of Solace" wäre. Weil die Stimme so perfekt zu 007 paßt und wie eine zeitgemäße Variante von Lady Shirley klingt, hätte das tatsächlich beinahe geklappt. Allerdings hat Amy permanent von einigen toxischen Substanzen mehr als das normal übliche Quantum Trost in sich, sodaß sie wahrscheinlich nicht mal die drei Minuten im Vorspann des Films überstehen würde. Also: Chance vertan.

James braucht dringend ein neues Intro - am besten eines, das zugleich schüttelt und rührt. In Frage kämen meiner Meinung nach Alex Turner und Miles Kane mit ihrem historisch umtriebigen Duo The Last Shadow Puppets. Schon das Mädel, das im typischen Sixties-Carnaby-Street-Style, mit kurzem Rock und langen Stiefeln, auf dem Schwarzweiß-Cover des Albums sitzt, verströmt Stil aus jedem Pixel: Die junge Bardot trifft auf Cilla Black und Nancy Sinatra. These boots are halt immer noch made for walking. Besser können Nachgeborene die Sechziger gar nicht zitieren.

Womit die Last Shadow Puppets freilich genau die richtige Besetzung für Bond wären; zumindest dann, wenn Daniel Craig die Zeit des jungen Connery oder eines George Lazenby wieder aufleben läßt, mit jeder Menge aktueller Action, versteht sich. Auch dafür wären die letzten Schattenpuppen eine gute Wahl, da die beiden bei aller Retro-Coolness auch ein echtes Britrock-Feuerwerk abbrennen können. Und eine solche pop-pyrotechnische Meisterleistung hat eigentlich seit jeher viel mit dem Blick zurück zu tun: Alles, was sich in der Asservatenkammer seit den Zeiten der Shadows und der britischen Invasion angesammelt hat, fließt irgendwann in einen aktuellen Hype ein. Meistens sind Beatles, Stones, Who und Kinks die sprudelnden Quellen, aus denen man sich bedient, bei Towers Of London kommt noch Pub Rock dazu, bei den Arctic Monkeys wird die jüngere Vergangenheit, also Blur, Pulp und Co. geplündert.

 

Mit den Arctic Monkeys hat Alex Turner allerdings schon vor mehr als zwei Jahren bewiesen, daß er sich nicht nur gut mit den Hits von gestern auskennt, sondern eben auch weiß, wie man sich medial in Szene setzt. Über den unglaublichen Internet-Bohai von Turner und seinen Kumpanen habe ich bereits im "Miststück" Nr. 15 geschrieben - und was im Februar 2006 galt, kann heute noch so stehenbleiben.

Eine amüsante Fußnote hätte ich seinerzeit aber noch hinzufügen sollen: Es wird kolportiert, daß Alex Turner selbst keinen PC besitzt und ihm das Web ziemlich am Gesäß vorbei geht. Er will Spaß bei der Arbeit, und beim Spaß wenig Arbeit haben. Genau das hört man dem Song, der sowohl Single als auch Album seinen Titel gab, deutlich an: "The Age Of Understatement" ist ein lockerer und leichter Pop-Bastard, einfach so aus dem Handgelenk geschüttelt und gleichzeitig so britisch wie der Fünf-Uhr-Tee oder eben 007. Er ist mit allem ausgestattt, was guten Insel-Sound so ausmacht - und mit noch viel mehr.

Der besondere Charme des Tracks liegt daran, daß nicht nur die Ideen der üblichen Verdächtigen aus dem Dunstkreis von Lennon, Ray Davies oder den Gallaghers geplündert werden. Gemeinsam mit Rascals-Frontmann Miles Kane, seinem Partner in Geist, Gitarre und Gesang, begibt sich Alex in die Niederungen des Swinging London: Nie zuvor wurde so offensiv mit den Hits der Hollies, von Manfred Mann oder Dave Dee und Co. umgegangen. Kane und Turner haben erkannt, daß die Produkte der eigentlichen britischen Hit-Fabriken so zeitlos sind wie Minirock und Mini-Cooper. Oder, anders ausgedrückt: Manns "Fox On The Run", "Bus Stop" von den Hollies oder "The Legend Of Xanadu" zünden noch heute. Von da aus geht es spielend und spielerisch leicht in Richtung Seventies, zu englischem Bubblegum von The Sweet, zum Beispiel. Und daß es dann nur noch ein Katzensprung zu Glam-Rock und David Bowie ist, kann man in nur 3:09 Minuten nachhören. Der Zeitsprung ist nicht innovativ, auf den ersten Ton auch nicht wirklich aufregend, geht aber so nachhaltig ins Ohr, daß es eine wahre Freude ist, dem Duo zu lauschen. Sowas nenne ich Understatement.

Nächste Woche begebe ich mich noch einmal auf einen ausgiebigen Streifzug durch die Geschichte: Anläßlich des Jubiläums-"Miststücks" 125 berichte ich von einem anderen Anlaß zum Feiern: Bear Family wird 30. Und ich muß einfach was dazu machen, getreu dem Motto: Wenn einem soviel Gutes wird beschert, ist das ein großes "Miststück" wert.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Last Shadow Puppets - The Age Of Understatement

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Domino/Indigo/Hoanzl (GB 2008)

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