Laura Marling - Alas, I Cannot Swim
EMI (GB 2008)
Weil dieses Lied so frisch ist wie ein Frühlingsmorgen auf einer irischen Wiese, verleiht ihm Manfred Prescher das Unbedenklichkeitssiegel des Öko-Pop-Verbandes. Wir gratulieren! 25.02.2008
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Wenn ich diesen Song höre, muß ich unwillkürlich an den Hollywood-Film "Der Geist und Mrs. Muir" denken. Das, was Laura Marling auf ihrer Single darbietet, könnte die perfekte Untermalung für ein Remake der folgenden Geschichte abgeben: Eine junge Frau flieht vor ihrer Schwägerin und der Schwiegermutter ihres verstorbenen Mannes aus der Stadt an die südenglische Küste. Dort, umgeben von grünen Hügeln und dem Tosen der Brandung, will sie wieder Kraft und Hoffnung schöpfen. Sie verliebt sich ein altes Haus, das günstig zu haben ist, weil es darin angeblich spukt. Und richtig - der kantige, knarzige Kapitän, dem das Gebäude zu Lebzeiten gehörte, will auch diese Person mit gespenstischen Tricks verjagen. Aber es kommt anders, und man nähert sich über die Grenzen der Daseinsebenen hinweg an.
Richtig zusammen kommt das Paar trotz aller Wesensähnlichkeit natürlich nicht, weil sich Feststofflichkeit und ätherische Inkarnation nicht verbinden lassen. So ist das Paradies eines, das bei aller Schönheit der Landschaft und bei aller Tiefgründigkeit der Wesensverwandtschaft einsam bleiben muß. Frau Muir wird ihr Leben damit verbringen, den Geist zu suchen und ihn logischerweise erst mit dem eigenen Tod finden. Von da an steht freilich einer echten Freundschaft nichts mehr im Wege.
"Ghosts" erzählt diese Geschichte erneut, aber eher aus der Sicht der Enkelin, die den zu ihr passenden Geist noch nicht gefunden hat. In einem folkigen, melancholischen Song, in dem die Brise der Küste und das Rascheln der Bäume im Wind förmlich zu hören sind, trauert sie ebenfalls - zum Beispiel um die beendeten Beziehungen. Die Männer sind selber zu Schimären geworden, die in den Winkeln ihres gebrochenen Herzens sitzen. Genauso romantisch ist diese Einheit aus Traurigkeit, Enttäuschung und kerngesundem, kraftstrotzendem Bio-Pop. "The ghosts that broke my heart", das sind nicht die Geister, die man freiwillig aus ihrer Flasche befreit und über deren Handeln und Mißhandeln Frauen und Mädchen Tagebücher schreiben.
Auch das kann man sich prima vorstellen: Laura Marling sitzt auf einem Hügel, der sanft zur Küste hin abfällt, blickt immer wieder gedankenverloren auf das weite Meer hinaus, um dann wieder zum Stift zu greifen. Wie von Geisterhand füllt sich die Kladde mit Gedanken und Gefühlen, mit Erinnerungen und Eindrücken. Und mit der Hoffnung, daß beim nächsten Mann alles anders wird: "Lover please do not fall to your knees/It´s not like I ever believed in everlasting love."
Irgendwann in ihren wenigen gelebten Jahren hat sie an die große Liebe geglaubt und würde das auch gern wieder tun. Mit einer Spur Optimismus blickt sie in die Zukunft. Mit 18 hat man schließlich noch Hoffnungen. Zu diesem in eine sehr hübsche Melodie gekleideten Schutzbedürfnis paßt auch die Optik von Laura Marling: Irgendwie wirkt sie wie ein zerrupfter Vogel, den man gern wieder aufpäppeln möchte - auf daß er uns noch lange mit seinem Gesang bezaubern möge.
Das Erscheinungsbild der jungen Künstlerin aus Reading/Berkshire läßt sich auch in Pop-Metaphern ausdrücken, da Laura aussieht wie die ungekämmte und ungezähmte Schwester von Annie Lennox, was natürlich etwas altmodisch wirkt. Wenn ich an die Eurythmics-Frontfrau denke, fällt mir sofort "Sisters Are Doin´ It For Themselves" ein - und schon wäre der Übergang zum englischen Mikrokosmos der singenden Liedermacherinnen geschafft. Laura Marling ist weniger philosophisch-altklug als Kate Nash und in etwa so Teenager-mäßig wie Adele. Die Grenze zwischen Kitsch und dem Ausdruck von wahrhaften Gefühlen ist ein langer, ruhig fließender Bach.
Sogar der Geist, der sonst immer alles verneint und in der Regel meint, mit Kalauern auf musikalische Spatzenhirne schießen zu müssen, hält sich bei diesem eben erst aus dem Nest gefallenen Singvögelchen zurück. Dafür gieße ich aber nächste Woche um so mehr Hohn, Spott und Gelächter über "Auf Kiel" von Subway To Sally aus.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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