Matthew E. White: "Will You Love Me"
enthalten auf der CD "Big Inner"
Eigentlich wollte Manfred Prescher über ein anderes Lied schreiben - aber das ist so fad geworden, daß er weitgehend darauf verzichtet. Auch darüber freuen wir uns. 18.02.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Depeche Mode wurden zu einer Zeit gegründet, als Mose gerade vom Berge Sinai herunterkam. Damals, 1980, klangen die Briten frisch, und alle Mädels standen auf den himmlischen Sphären-Sound. Auch danach schaffe es die Band immer und immer wieder, zu begeistern. Aber nun?
Ausgerechnet die Single "Heaven" klingt so langweilig, daß ich mir ernsthaft überlegen würde, da hinzuwollen, selbst wenn das Paradies eine ewige Chill-out-Area von Depeche Mode wäre. Man stelle sich vor, daß man für immer auf einer Kumuluswolke sein Dasein fristet, dabei in die Harfe greift und den weiblichen Engeln hinterherblickt. Denn natürlich leben die Flatterdamen im "Heaven" von Depeche Mode sehr abstinent. Ach, das erinnert an den harmonischen Platz, den man als "Wachturm"-Leser gut kennt: Der auserwählte Zeuge Jehovas wohnt mit Säbelzahn-Kaninchen, Steinlaus, Wachtelkuh und allem, was je über den Erdboden kreuchte und fleuchte, in einem harmonischen Garten. Da ist nix mit "Doppelkopf"-Spielen, Kuscheln oder so. Um es mit Depeche Mode zu sagen: "Enjoy the silence" - oder geh am besten woanders hin. Gott sei Dank wissen wir guten Katholiken, daß man sich kein Bild vom Paradies machen soll, weil es unsere geistigen Fähigkeiten eh übersteigen dürfte. Deshalb kicken wir die neue Single der Herren Gahan, Fletcher und Gore direkt und mit Schmackes in den Harz und hoffen, daß das neue Album besser wird.
Bis "Delta Machine" im März in die Läden kommt, breiten wir also den Mantel des Schweigens über die Band - und widmen uns lieber guter neuer Musik. Wenn ich mit meinem Mäuselein auf das Play-Symbol von iTunes klicke, dann startet Matthew E. Whites Album "Big Inner". Der einzige Bezug zu Depeche Mode ist, daß man ein Buch nicht nach dem Umschlag beurteilen sollte. (Im Video zu "Heaven" ist übrigens zu sehen, daß sich DM-Sänger Dave Gahan die Zähne richten lassen sollte - sonst darf er am Ende gar nicht rein ins Paradies.) Matthew E. White aus Virginia sieht nun wirklich noch weniger adrett aus; irgendwie erinnert er an eine Mischung aus Waldschrat, Holzfäller, indischem Guru und dicklichem Ent aus "Der Herr der Ringe" von Jens Rudolf Ronald Tollkühn. Doch der Sound, ja, der hat was.
Man stelle sich eine Mischung aus gutem alten Soul, Gospel, modernen elektronischen Grooves und großem Songwritertum vor, dann kommt man nah an "Big Inner" von Matthew E. White heran. Wer will, kann Isaac Hayes oder Al Green und Willie Mitchell darin entdecken, von mir aus aber auch Adele oder den Phillysound der Seventies. Ist alles wurschtegal, denn das Ergebnis dieser stilvollen Mixtur klingt aufregend neu. Man braucht keine Bezüge, um die Platte zu lieben. Höchstens vielleicht hübsche Bettbezüge, um ein wenig herumzukalauern. Zur Musik von White kann man sich nämlich prima aneinanderschmiegen und den Himmel ein Stück weit auf die Erde herunterbeamen.
Für paradiesische Momente eignet sich "Will You Love Me", das an "Games People Play" von Joe South erinnert - aber nur, wenn man sich daran erinnern mag oder will. "Wirst du mich lieben?" fragt White, und man darf annehmen, daß die von ihm angeschmachtete Engelin Vorbehalte hat: "Vielleicht", wird sie sagen. Und dann diesen Satz dranhängen: "Wenn du rasiert bist und mir der Typ gefällt, den du hinter der Gesichtsmatratze versteckst." Man soll zwar nie nur aufs Äußere allein schauen, aber so einen Bart, wie ihn der ohne das Haarwerk sicher viel jünger aussehende Matthew spazieren trägt, mögen nur wenige Frauen. Die Musik allerdings werden fast alle Ladies lieben. Mein Wort darauf.
Und auch den direkten poptheologischen Vergleich mit Depeche Modes "Heaven" gewinnt Matthew E. White klar und deutlich: Sein Song "Brazos" preist Christus auf eine sehr angemessene, warme Art. Wenn jemand einen modernen Lobgesang braucht, hier ist er. Aber wie alle guten Soul-Platten mindestens seit Sam Cooke zelebriert auch "Big Inner" sowohl heilig-spirituelle als auch zwischenmenschlich-techtelmechtelnde Momente. "Will You Love Me" ist jedenfalls die Frage, die man gern und ganz weltlich real mit "Ja!" beantwortet haben möchte. Wenn man sie so stellt wie Matthew E. White und dann noch einen Rasierapparat zur Hand hat, kann die Antwort eigentlich nur positiv ausfallen.
Nächste Woche möchte ich an dieser Stelle einmal über ein ganz uraltes Lied sprechen - und es mit einem neuen verbinden: Ich werde Paul Ankas Lovesong "A Steel Guitar And A Glass Of Wine" mit "You´re So Cool" von der Teenie-Band The History Of Apple Pie mixen. Seid gespannt!
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Matthew E. White: "Will You Love Me"
enthalten auf der CD "Big Inner"
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