Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 37

Metallica: "Cyanide"

Die Höllenhunde des Mainstreams sind wieder da - runderneuert und doch ganz die Alten. Kein Wunder, meint Manfred Prescher, da ihre Bandbreite doch beachtlich ist.    22.09.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

"Cyanide sind Salze und andere Verbindungen der Blausäure", sagt uns Wikipedia. Im weiteren Verlauf des Lexikoneintrags wird noch erwähnt, daß das Zeug giftig ist. Und zwar durch "Hemmung des Enzyms Cytochrom -c-Oxidase in der Atmungskette" - was immer das in der Realität zu bedeuten hat. Wahrscheinlich ist man schneller mausetot, als man "Cytochrom" buchstabieren kann.

Insofern eignet sich der Name "Cyanide" prima als böser Titel eines bösen Metal-Songs, so wie es mal en vogue war, eine laute Band Anthrax oder Biohazard zu nennen. Und natürlich paßt das toxische Wording perfekt zu einem Hammer aus der Schmiede um James Hetfield und dem Snare-Großmeister Lars Ulrich. Der im Metallica-Zeitrahmen vergleichsweise unverbrauchte Robert Trujillo, der schon für Old Ozzy und die Suicidal Tendencies den Baß bearbeitete, trägt viel dazu bei, daß der Rhythmus auch im ultrahektischen Geknüppel noch stimmt.

 

Metallica sind ein Phänomen. Keine gefönten Weicheier wie Iron Maiden und die anderen Rockmonster, die sie seinerzeit mit "Kill ´em All", "Ride The Lightning" und natürlich mit "Master Of Puppets" weggeblasen haben, als seien sie Kameraden aus Pappmaché.

Der Sound der Gruppe ist sperrig und eigentlich nicht leicht konsumierbar, Stücken wie "One" oder "Nothing Else Matters" zum Trotz. Ich war schon immer der Meinung, daß Metallica den Trash eines Z´ev mit punkiger Wut und mit einer extrem jazzigen Attitüde verbinden. Sie haben richtig gelesen: Jazz. Für mich wandelt die 1981 von Ulrich und Hetfield in L. A. gegründete Gruppe auf den Spuren des Free-Jazz-Großmeisters Ornette Coleman, da in ihren Soli die Song-Struktur völlig aufgelöst wird. Metal trifft extrem freie Improvisation - eine Fusion, die zeigt, auf welchem Niveau die Formation arbeitet.

Überraschend ist nur, daß die Fans geschlossen mitgehen: Mehr als 100 Millionen verkaufter Langspielplatten, ausverkaufte Stadien, wo und wann immer sie spielen - und selbst wenn weit und breit kein neues Album in Sicht ist. Mit ihrem außergewöhnlichen Spiel haben sich Metallica längst über alle Regeln des Stahlwerker-Busineß hinweggesetzt: Metal-Fans sind konservativ und wollen verdaulichen Krach? Pustekuchen! Nicht nur "Cyanide" belegt, daß es auch anders geht. Erfolgreiche Balladen schaden der Karriere einer echten Rockband, weil mit dem Schleicher die gewöhnliche Hausfrau erreicht wird, einmal ein Album kauft und die Gruppe dann entsetzt, aber schnell wieder vergißt? Nein, "Nothing Else Matters" hatte keine negativen Auswirkungen auf Image und Treue der Fans. Auch das aktuell langsamste Stück "The Day That Never Comes" wird am Nimbus von Metallica nichts ändern. Selbst Motörhead erwiesen ihnen mit ihrer knackigen Version von "Wiplash" die Ehre.

Die Gruppe kann es sich sogar leisten, für das neue Album den Mann ins Studio zu holen, der einst die Band betreute, die ihre einzige Konkurrenz hätte sein können: Rick Rubin, den Entdecker der Metallica-Erzfeinde von Slayer. Er produzierte "Death Magnetic", dessen Dreh-, Angel- und Mittelpunkt "Cyanide" ist. Slayers Ansatz unterschied sich anfänglich nicht so sehr von dem Metallicas: Beide Bands standen für höchste Improvisationsstandards bei gleichzeitig brachialer Gewalt. Während Slayer auf hohem Niveau stagnierten, wurden Metallica in den Pop-Olymp aufgenommen. Auch mit dem bisher letzten und in ihrer Geschichte sperrigsten Album "St. Anger" - immer noch gut, der Name, allemal besser als "Death Magnetic" - wurden sie nicht vor die Himmelstür gesetzt.

 

Die Zeit ist reif für Rick Rubin. Der Mann hat schließlich nicht nur Slayer entdeckt, sondern auch die gar nicht mal so kraß gegensätzlichen Public Enemy, hat Neil Diamond und Johnny Cash aus der Versenkung geholt und wurde nicht nur damit zu einem der einflußreichsten Schattenmänner im Biz. Mit Metallica kehrt er quasi an seine Wurzeln zurück und nimmt die Band gleich mit.

Herausgekommen ist ein Album, das zehn ausufernde, durchschnittlich gefühlte zwölf Minuten lange Songs enthält - mehr Struktur, mehr Tempowechsel, aber genausoviel Wut wie immer. Über das gesamte Werk hinweg offenbart sich ein entscheidender Haken: Im Aufnahmestudio hat Rubin mit seinen Pranken die Regler permanent am oberen Anschlag festgehalten, sodaß es an Verschnaufpausen mangelt. Nimmt man "Cyanide" für sich, so fällt auf, wie filigran die Instrumentierung ist. Im Kontext der restlichen Tracks geht diese hohe Spielkultur im Einheitslärm der Produktion dagegen völlig unter.

Dabei sind Metallica daran interessiert, als Albumkünstler von einmaligem Genius wahrgenommen zu werden. Das Internet und seine MP3-Unkultur wurden und werden abgelehnt: Die ehemaligen Napster-Jäger verkauften bis vor kurzem ihre Werke gar nicht bei iTunes, später dann nur in der kompletten Langspiel-Dosis. Jetzt sind zwar die alten Werke auch in iPod-gerechten Häppchen erhältlich, doch "Death Magnetic" ist im Moment selbstverständlich nur als lautes Ganzes zu haben. Es wird kolportiert, daß die Band einen dermaßen speziellen Vertrag mit dem Apple-Portal hat, daß der sogar den Deal mit Paul McCartney zwecks Online-Verkappung des Beatles-Outputs in den Schatten stellen soll. Das beweist natürlich, daß es Metallica auf eine Ebene des Erfolgs geschafft haben, auf die man mit ihrem Sound normalerweise nicht kommen kann; schon gar nicht ohne massiven Verlust von Credibility bei den eingefleischten Anhängern (siehe unter anderem Slayer). Ich wette beinahe jeden Betrag, daß die Band sogar Colemans LP "Free Jazz" (genau: das Album, wo auf jedem Stereokanal eine Band frank und frei gegen die andere Seite "anbrötet") neu einspielen und zu Gold machen könnte. Der gute alte Ornette würde sich sicher über die Tantiemen freuen ...

Nächste Woche will ich mich an dieser Stelle über die neue Lambchop auslassen. Denn auch in der Ruhe liegt bekanntlich ziemlich viel Kraft. Ach - und eh ich´s vergesse: Erinnert sich noch jemand an die düsteren Prognosen im vorletzten "Miststück"? Als ich doch glatt über die wohl eher bescheidene Qualität des forthcoming Cure-Werks orakelte? Wer will, kann den Text bei EVOLVER (wo sonst?) nachlesen. Auf jeden Fall gibt mir die Realität recht, da die Veröffentlichung der neuen CD erstmal verschoben wurde. Kolportiert wird - wer (ich!) hätte das gedacht -, weil "man damit irgendwie nicht so ganz glücklich" ist.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Metallica - Death Magnetic

(Photos © Universal Music; Anton Corbijn)

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Universal (USA 2008)

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Kommentare_

bery - 25.09.2008 : 13.02
solch einen unseriösen, unqualifizierten und schwachen bericht, hab ich bisher noch nie gelesen.. naive, subjektive rosarote fanbrille nennt man dies wohl...

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