Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 12

James Blunt: "You’re Beautiful"

Natürlich gönnt Manfred Prescher kleinen Mädchen die Schwärmerei für schnuckelige Typen mit Schmeichelstimme. Doch James Blunt geht ihm mehr und mehr auf die Nerven.    23.01.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Wie reimten Insterburg & Co.? "Wir singen laut aus unserem Hals, da schmilzt das härteste Ohrenschmalz." Genau von dieser Qualität ist der Gesang des Briten James Blunt. Sein von Tom Rothrock (Beck, Elliott Smith) produziertes CD-Debüt "Back To Bedlam" ist so erfolgreich, daß Künstler und Werk demnächst wahrscheinlich mit so ziemlich allem ausgezeichnet werden, was es in der Branche einzusacken gibt - ob Brit Award, "Bravo"-Otto oder das Pappmaché-Herz der Vereinigung Kärnter Matura-Schülerinnen. Schließlich ist Blunt auf der nach oben offenen Girlie-Schmacht-Skala sogar noch oberhalb von Adam Green und dessen Golden-Retriever-Blick angesiedelt. Alles schön und gut - wenn er nur aufhören würde, mir mit "You´re Beautifu-u-l" auf die Nerven zu gehen. Aber nein, Blunt gibt keine Ruhe, es wird immer schlimmer.

Diesem Song kann man nicht entgehen, er ist überall. Besonders hinterlistig: daß "You’re Beautiful" eigentlich recht unaufdringlich daherkommt, der Song zunächst im üblichen Einheitsgedudel von Ö3, B3 oder Antenne Hinterland nicht sofort negativ auffällt. Irgendwann summe ich ihn mit, später ertappe ich mich dabei, die hochintelligenten Zeilen "You´re beautifu-u-l, your´re beautifu-u-l, you´re beautifu-u-l, it´s true" mitzusingen. So funktionieren diese Miststücke ja immer, und in diesem Fall wirkt der zarte Schmelz des Beinahe-Falsetts, die niedliche, mediokre Melodie nicht nur auf Bauchfrei-Teenies und den "schwer erziehbaren schwulen Schwager aus der Schweiz" (Max Goldt) charmant. Aber irgendwann ist einfach Schluß. Es kann doch nicht sein, daß ein Lied monatelang auf den Playlists der Radiostationen so weit oben steht, daß es in jedem x-beliebigen Sender mindestens zwei Mal pro Stunde aus den Lautsprechern säuselt. Und doch ist genau das der Fall - selbst in den wenigen Blunt-freien Momenten kommt man nicht zur Ruhe, sondern singt, summt, brummt und pfeift "beautifu-u-l".

Der Song verklebt die Gehörgänge wie Bienen ihre Waben - und das durch schiere Omnipräsenz. Als ich ihn zum ersten Mal bewußt wahrgenommen hatte, dachte ich noch, daß das Liedchen doch ganz nett sei, allemal besser als das Meiste, was so auf vorderen Chart-Rängen rumgurkt und auf Namen wie Christina Stürmer oder Tokio Hotel hört. Ich nahm "You’re Beautiful" fast schon freudig zur Kenntnis, wenn ich ihm beim Shoppen in der City über den Weg lief, was zusehends häufiger geschah. Erst dachte ich, daß die Menschheit vielleicht doch eine Chance auf ein wenig mehr Geschmackssicherheit hätte, dann fand ich, daß die Zeile "But we shared a moment that will last till the end" etwas sehr Tröstliches hat. Mittlerweile ist mir jedoch klar, daß sie die komplette Bluntsche Fluchformel enthält: Ein Ende ist absolut nicht in Sicht, und man fühlt sich längst von diesem Hit verfolgt.

Nein, das ist falsch. Überall, wo man hinkommt, hat sich der Song schon breitgemacht. Ähnlich wie ein Virus, bloß schneller. Vielleicht ist man selbst der Überträger? Das würde zumindest erklären, daß das Ding so hartnäckig in meiner unmittelbaren Nähe bleibt. Vielleicht arbeitet der Sänger auch mit fiesen militärischen Tricks, die darauf abzielen, die Bevölkerung eines Feindeslandes in den Wahnsinn zu treiben? Ganz auszuschließen ist das nicht, denn Blunt hat reichlich Militärerfahrung und war im Kosovo-Krieg. Es ist ja bekannt, daß dort mit allerlei merkwürdigen Stoffen herumexperimentiert wurde. Mittlerweile tut er zwar so, als sei er vom Saulus zum Paulus, sprich von der Frontsau zum putzigen Hausschweinchen, vom harten Mann zum Warmduscher mutiert, aber wer weiß? Möglicherweise steckt aber auch nur diese vermaledeite Musikindustrie dahinter, die endlich mal wieder ein Eselchen entdeckt hat, das verstrahltes Material mit enormer Halbwertszeit ausspuckt und das Tier natürlich sofort an die Gewinn-Abschöpf-Maschine anschließen mußte.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

James Blunt – Back To Bedlam


Warner (GB 2005)

 

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