Pet Shop Boys - Fundamental
EMI (GB 2006)
Die Ersten werden die Letzten sein - und die Allerletzten sind die Pet Shop Boys: Das einst so fortschrittliche Duo zelebriert mittlerweile Rückständigkeit auf Weltniveau. 29.05.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Anfang der 80er Jahre diskutierte die Philosophen-Kaste unter den Musikjournalisten in ihrer monatlich erscheinenden Diskussionsschrift "Sounds" darüber, wie verlogen die Rockmusik im großen und ganzen sei. Multimillionäre versuchen Volksnähe zu beweisen und geben den Straßenkämpfer, obwohl sie längst ins Jet-set aufgestiegen sind. Ob Revolutionär oder (als wachsweiche Entsprechung in Öko-Szene und Grüner Bewegung) Gutmensch - Rockstars biederten sich den jugendlichen Protestmassen an. So sahen das zumindest die Pop-Päpste.
Daß Diederichsen und seine Gruppe 82 nicht nur Unrecht hatten, zeigte sich spätestens durch "Live Aid", das Gutmenschentum, Pop-Kapital und Marketing zu einer wirtschaftlich erfolgreichen Verbindung zusammenfügte. Dabei sollen sogar einige Brosamen für Afrika abgefallen sein. Und wenn eine Gruppe für die Harmonie von westlichen Werten und Humanismus steht, dann U2, die in Platin gemeißelten Fab Five des Pop-Kapitalismus mit sozialem Antlitz. Es ist natürlich müßig, darüber zu diskutieren, ob jemand, der so steinreich wie Bono ist, ein Gewissen haben und dieses mit seiner Medienmacht öffentlich zur Schau stellen kann, aber im Pop-Diskurs der frühen 80er wurden etablierte Rockmusiker eben generell, vor allem aber, wenn sie sich sozial oder politisch engagierten, als perfide Kerle angesehen. Rock gaukele nur noch vor, schmutzig zu sein.
Die Schlußfolgerung, die daraus gezogen wurde, erwies sich letztlich als falsch, hatte aber einen edlen Armani-Charme: Warum sollten die Stars nicht die Wahrheit sagen und auch zeigen? Das tat zwar Marc Bolan Anfang der 70er Jahre auch schon, als er in "Children Of The Revolution" dreist "I drive a Rolls Royce/´Cos its good for my voice" reimte. Aber da fehlte noch der Pop-Diskurs drumherum. Der wurde dann ein Jahrzehnt später geführt und gipfelte in der These, daß die Zurschaustellung des Überflusses nicht nur ehrlicher sei, sondern auch dazu führen würde, das eigentlich Verlogene des Kapitalismus allen sichtbar zu machen. Man solle sich nicht davor scheuen, den Gang durch die Fünf-Sterne-Institutionen zu gehen, hieß es.
Eine Zeit lang schienen Luxusleben und revolutionärer Geist prima zu harmonieren, was vor allem an Heaven 17 und Human League lag. Und an Chris Lowe und Neil Tennant, den beiden Pet Shop Boys. Tennant führte den Pop-Diskurs erst mit der Schreibmaschine: Als Musikjournalist des trendigen Magazins "Smash Hits" rief er die Pop-Revolution aus. Mit der zweiten Single der Pet Shop Boys verkündete er dann die Losung: "Let´s Make Lots Of Money" - und da hatten Tennant und Lowe die Autobahnauffahrt zum Reichtum längst schon mit Höchstgeschwindigkeit und "West End Girls" genommen.
Was danach kam, ist bekannt: Die Pet Shop Boys hatten nie Probleme damit, ihre Pop-Sounds entweder als politisch relevant und/oder als Kunstwerke zu sehen, sie näherten sich - speziell in ihrer Spätphase - dem allgemeinen Kunstschmock so sehr an, daß glatt davon auszugehen ist, daß das Duo einmal auf der Documenta ausstellen oder ausgestellt werden wird - natürlich mit Pylonen auf den Köpfen.
Mit "I´m With Stupid" sind sie wieder purer Pop. Die neue Single der Pet Shop Boys könnte eine ganz alte sein, so sehr erinnert sie an "West End Girls" und die Hits dieser Zeit. Das ist fast schon unangenehm, weil der Song so gestrig wirkt, daß er jenen Geist der Greatest-Hits-Liveshows verströmt, für den bislang eher Suzi Quatro oder Dave Dee zuständig waren. Und es ist zugleich eine Irreführung des Hörers, da die Pet Shop Boys keine Zombies aus längst vergangenen Epochen sind, sondern allerhöchstens in ihrer eigenen Vergangenheit nach etwas suchen, das die Karriere wieder in Schwung bringen könnte.
Das Parfum des Gestrigen wird nicht nur durch das Lied mit seiner typischen Eurodisco-Tanzbarkeit und dem nicht minder typischen, einschmeichelnden Gesang verströmt. Es ist auch das Drumherum, das das Duo zwanghaft zu inszenieren versucht: Der Pop-Diskurs wird zwar auch von Tennant nicht mehr geführt, aber ein wenig Sinngehalt sollte schon sein. Also konstruiert der Ex-Redakteur eine Geschichte: Er behauptet, in "I´m With Stupid" würden die Pet Shop Boys die Beziehung von George W. Bush und Tony Blair beschreiben - aber davon ist in den wenigen Zeilen nichts zu finden. Die Jungs beziehen keine Stellung, verschanzen sich allerhöchstens hinter dürren Worten, die vielleicht ein Teenager einer beendeten Beziehung nachdichtet: "I have to ask myself/Like any lover might/Have you made a fool of me?"
Der angebliche politische Bezug ist so sehr an den Haaren herbeigezogen, daß ich mir wünsche, Tennant und Lowe würden einfach zugeben, daß sie einen ganz normalen, ganz okayen Popsong geschrieben haben - ohne wenn, aber und ohne jedwede Bedeutung. Und nur aus einem Grund: Genau – let´s make lots of money! Das wäre doch gleich viel ehrlicher ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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