Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 5

Babyshambles: "Fuck Forever"

Laut James Bond lebt man zweimal - also kann man im ersten Leben getrost die Sau rauslassen und Selbstzerstörung betreiben. Ob das auch beim zweiten Mal gutgeht?    28.11.2005

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Sagt man zu Männern Miststück? Eigentlich nicht, also ist Pete Doherty ein Mistkerl. Und was für einer. Sein Lebensmotto könnte lauten "Eklig sei der Mensch, lautstark und dicht." Er nimmt alle erdenklichen Drogen, haust zwischen Knast und Psychiatrie, Koks-Party und kreativem Output. Das war schon so, bevor er mit Carl Barat die Libertines gründete und tatsächlich tolle Songs wie "Time For Heroes" und "Death On The Stairs" schrieb. Viele Lieder hat der in Liverpool geborene Doherty allerdings in den paar Jahren, die er mit seiner Haßliebe Barat zusammenarbeitete, nicht auf CD herausgebracht. Er stellte die gemeinsamen Werke lieber ins Internet - das ging schneller und ließ Zeit, die Aufnahmefähigkeit des eigenen Körpers zu testen.

Doherty war hauptsächlich damit beschäftigt, Schneeflocken vom Tisch zu wischen und sie in den Labors der Boulevardpresse auf Echtheit untersuchen zu lassen. In Interviews gab er seinen Drogenkonsum offen zu; leugnen hatte angesichts der Spur der Verwüstung, die seine Sucht hinter sich herzog, ohnehin keinen Zweck. Stattdessen sonnte er sich im Glanz eines spätestens mit den Gallagher-Brüdern verblichen geglaubten Rockstar-Kults, changierte vom Koks- und Crack-Wrack zum Rowdy und retour, verband sich mit Supermodel Kate Moss. Wieviele Lines das Pärchen gemeinsam genoß, ist der "Sun" und dem "Mirror" zu entnehmen. Die beiden fachten den Skandal weiter an, indem sie die Trennlinien zwischen Wahrheit, Lüge und Übertreibung verwischten.

 

Was das alles mit Musik zu tun hat? Eine ganze Menge. Nach der Trennung von den Libertines gründete Mistkerl Doherty die Babyshambles. Wieder nützte er das Internet, um die Songs zu testen. Um den Erfolg der Debüt-CD "Down In Albion" und der Singles zu erhöhen, setzte er allerdings geschickt auf den zusätzlichen Wirbel, den die heftige Beziehung mit dem Star der Hochglanz-Modeblätter mit sich brachte. Ganz nebenbei wurden auch noch die Masterbänder des Albums gestohlen und tauchten als MP3s im Web wieder auf. Presse und Fans mutmaßten, daß Doherty dahintersteckte, was freilich nicht erwiesen ist. Der Rummel schien ihm aber gerade recht zu kommen: Mit der zusätzlichen Promotion schaffte Doherty etwas, was in der britischen Pop-Historie einzigartig sein dürfte: Er wurde zweimal als das "nächste große Ding" gehypet. Und das auch noch zu Recht, muß man konstatieren. Die neue Platte ist großartig und hätte solchen Zinnober gar nicht nötig gehabt.

Eigentlich ergeben die Babyshambles-Stücke zusammengenommen eine musikalisch umgesetzte Boulevard-Zeitung: Doherty erzählt von den Exzessen mit Kate, von Drogen, vom Knast und vom Schmutz, der ihn umgibt, und von Gefühlen. Ob die echt oder inszeniert sind, fragt man sich, wenn man die Texte liest, doch die Musik läßt alle Zweifel an der Ehrlichkeit des Mistkerls schwinden. Irgendwo zwischen Morrissey und Ray Davies zelebriert er Todessehnsucht und breitet eine ungemütliche, aber in rauhe und schöne Songs verpackte, Sicht auf sein kaputtes Leben vor uns aus.

"It´s one and the same, one and the same oh/So what´s the use between death and glory?/I can´t tell between death and glory?/Happy endings, no, they never bored me/Happy endings, they still don´t bore me /But they, they have a way/They have a way to make you pay/And to make you toe the line/Sever the ties/Because I´m so clever/But clever ain´t wise" – so beginnt "Fuck Forever", der große Hit. Und genau das ist es: Doherty ist ein Cleverle, das sich seinen Schnee vergolden läßt. Aber das ist eben alles andere als weise, denn die Folge seines Lebensstils wird von ihm als Gratwanderung zwischen Ruhm und Tod erkannt - mit deutlich absehbarem Ende.

Mich beschleicht beim Zuhören das Gefühl, daß ich Teil eines Rock-Rituals bin und das Ende von Peter schon in diesem Lied erahnen kann. Dohertys Ahnen sind Cobain und Morrison. Ich möchte mit Doherty schreien "Oh, you´re so clever, you´re so clever/But not very nice". Denn "Fuck Forever" hinterläßt mich - wie die anderen 15 Stücke des Albums in abgeschwächter Form auch - in einem Zwiespalt der Gefühle. Ich bin einerseits Voyeur eines auf die Katastrophe zuschlitternden Lebens, kann aber nicht helfend eingreifen. Andererseits sind die Gedanken, die Doherty mitteilt, oft von einer so klaren Prägnanz, daß sie sein Elend hinter sich lassen und mich sogar wirklich wärmen oder trösten. Aber vielleicht will der Mistkerl mit seinem Miststück auch was ganz anderes erreichen? "But you have heard about that ay/To make you feel I should soon make you pay ... And fuck forever/If you don´t mind/See I´m stuck forever/Oh I´m stuck forever in your mind". Und genau das habe ich befürchtet.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Babyshambles im Web


Photo © Jasmine Worth

 

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Babyshambles - Down In Albion


Rough Trade (GB 2005)

 

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