Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 62

Brian Setzer: "Really Rockabilly"

Der King of Rockabilly packt die legendäre Gretsch aus und schlägt mit dem Korpus der Gitarre auf seine Untertanen ein. Manfred Prescher fragt, ob die sich darüber freuen.    08.01.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Stellen Sie sich vor, daß in 15 oder 20 Jahren der mittlerweile längst senile Paul McCartney all seine Geschäftstüchtigkeit vergißt und beginnt, Generationen von Beatles-Fans wüst zu beschimpfen. Manche von ihnen sind längst selbst in den eigenen Gehirnwindungen gefangen, bekommen das also nicht mit. Der Rest ist sauer, weil Macca seinen Midas-mäßigen Reichtum schließlich ihrer Kauflust verdankt.

Na gut, sowas ist schwer vorstellbar. McCartney wird sich auch als uralter Grattler soweit im Zaum haben, daß er die stetig nachwachsende Schar der Pilzkopf-Liebhaber mit der bei ihm üblichen Noblesse behandelt. Den Geschwistern Gallagher wäre so ein rüpelhafter Umgang mit der eigenen Fan-Gemeinde schon eher zuzutrauen. Oasis werden spätestens dann mit Schmackes und voller Kraft der brüderlichen Kiefermuskeln in die Hände derer beißen, die sie füttern, wenn das Volk einmütig ein Album oder einen Song für schlecht hält.

 

Von Brian Setzer hätte ich hingegen nicht erwartet, daß er sich mit der Szene anlegt, die sein Auskommen sichert. Wer einmal bei einem Konzert des Rockabilly-King aus Long Island war, weiß um die persönliche Nähe des Musikers zu seinem Anhang - auch wenn bei ihm die Tolle längst auf Eddie-Cochran-Maß geschrumpft ist und er sich zwischenzeitlich sogar mal mit swingender Big Band präsentiert. Das verunsichert freilich einige Hardliner der ersten Stray-Cats-Tage, die dem knackigen Trio-Sound hinterhertrauern und dabei vergessen, daß Louis Jordan oder Louis Prima echter Rock´n´Roll waren.

Im Interview zur Swing-CD "Dirty Boogie" zeigte sich Setzer 1998 als ein Mann mit musikalischem Fachwissen, selbst Fan und Suchender. Er blickt über den Rand seines winzigen Szene-Tellers hinaus, weiß um Zusammenhänge und die historische Bedeutung von Stilen und Künstlern. Sein Album "Rockabilly Riot Vol. 1 - A Tribute To Sun Records" (2005) zeigt das noch mehr als die Swing-Werke. Den allgemeinen Umgang mit dem Begriff "Rockabilly" bezeichnete er schon sieben Jahre zuvor im erwähnten Gespräch als rigide und hemmend. Daß der Sound nicht tot ist und immer wieder junge Menschen zu einer Musik finden, die es im Kern seit mehr als fünf Jahrzehnten gibt, ist an und für sich gut. Daß diese Kids nach Singles von damals suchen, wird dafür sorgen, daß Songs wie Jerry Reeds "Rockin´ In Baghdad" nicht vergessen werden - zumindest nicht von der jeweiligen abgeschotteten Splittergruppe.

Die Grenze zwischen geschmackssicherer Preziosenfahndung und schierem, nicht hinterfragtem Zitieren von Stilelementen ist fließend. Rockabilly hat immer sehr viel mit Kleidung, Frisuren und dem Tragen der richtigen Symbole zu tun. Gut, das gilt im Kern generell für Pop, aber in diesem speziellen Fall ist das komplette Ganze noch wichtiger - und so kann es sein, daß die Gretsch nicht nur ein absolut cooles Musikinstrument ist, das mit tiefer Gewalt Songs vorantreibt, sondern ein Kultobjekt, das sich der Fan ins Zimmer stellt, obwohl er es gar nicht spielen kann. Diese Zweckentfremdung ist es, die Setzer mittlerweile stört.

 

Außerdem prangert er in "Really Rockabilly" an, daß sich die Subszenen willkürlich voneinander abgrenzen und diese feinen, für Außenstehende nicht wahrnehmbaren Demarkationslinien nichts mit Qualität oder musikalischer Unterscheidbarkeit zu tun haben. Die Abschottung führt nicht mal mehr zu Gang-Battles, wie sie in den 50er Jahren üblich waren, was Setzer mit ironischen bis bösen Zeilen beschreibt. Man muß nur "quite right" durch die sich gleich anhörenden Worte "white riot" ersetzen: "Livin´ in a time that´s long since gone/It´s not quite right, there´s something wrong/Look! There goes another Betty Page/Get with it chick, it´s all the rage."

Die Ewiggestrigen machen die haar- und meinungsgefestigte Mehrheit der Rockabilly-Zunft aus. Setzer, der die Vitalität des Rock´n´Roll in die heutige Zeit transportieren will, watscht die geistlosen Zitierer ab. Weicheier, Memmen, Schnapsleichen, aber "Really Rockabilly": "He´s really, really, really rockabilly/Really, really, really rockabilly/He pissed in his pants/He´s too drunk to care/He´s wearin´ 1956 underwear". Kaum auszuhalten, der Gestank der Vergangenheit - aber hübsch anzusehen. "Here they come in their cuffed Levi´s/Hair slicked back, they´re real tough guys/Black t-shirt and a bad attitude/Better not step on their blue suede shoes." Eine stylishe Hülle für das innere Vakuum. Fragt sich, ob das nicht schon auf die Szene zutraf, als Setzer mit seinen Kumpanen Lee Rocker und Slim Jim Phantom um die Häuser streunte und über "Fishnet Stockings" sang.

Slim Jim, der bei "Really Rockabilly" an den Drums sitzt und mit einem straighten Beat dazu beiträgt, daß ausgerechnet die Abrechnung mit den Rockabilly-Cats der beste Setzer-Song seit langen Jahren ist, dürfte sich mit seiner hörbaren Teilnahme auch keine Freunde in der Szene machen. Aber von welcher Szene reden wir denn? Wenn wir Setzer glauben wollen - und der muß es ja wissen - gibt es unter anderem "Neo-Rockabilly", Psycho-Rockabilly", "Starbucks-Orange-County-Rockabilly", "Euro-Ja-Ja-Wir-Machen-Rockin´-Rockabilly", "Western-Swing-Traditional-Blues-Influenced-Rockabilly" oder "Australian-Shrimp-On-The-Barbie-Carry-Your- Surfboard-To-Sears-To-Buy-Your-Rolled-Up-Levi´s-Rockabilly" undundund. Das Fazit des verdienten Recken: "It´s all so stupid and it´s just plain silly".

Was macht man da, wenn man selbst ein Genre-Idol ist? Flüchten? Oder Standhalten? Setzer entscheidet sich verbal für die zweite Option: "I want a new job/Rockabilly retards and Rockabilly slobs/It used to be fun to play the guitar/Now I just want to run real, real far". Auf dem neuen Album "13" ist zu hören, wohin die Reise geht. Die Mehrzahl der Songs atmet eher den Geist von Van Halen oder Mötley Crue und hat kaum etwas von Carl Perkins oder Tennessee Ernie Ford. Aber das hat Setzer so gewollt. Mit "Really Rockabilly" ist ihm allerdings ein echter Kracher gelungen, ein finaler Faustschlag in Form eines großartigen Rockabilly-Songs.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

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