Herbert Grönemeyer - 12
EMI (D 2007)
Der Mann ist ein Phänomen - und wird seit "Mensch" auch von denen akzeptiert, die ihn bis dato für einen Schlagerfuzzi hielten. Manfred Prescher stürzt sich mit ihm ins Jammertal. 05.02.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Wieso eigentlich "Lied 1"? Ist es vielleicht das von Bela B. und Lee Hazlewood besungene "erste Lied des Tages"? Ein Miststück, das im Hirnkasterl umhermäandert und die Geschmackssensoren überlagert? Oder ist es das erste Lied, das Herbert Grönemeyer jemals geschrieben hat? Noch bevor er mit dem "Boot" gekommen ist, um im kollektiven Gedächtnis respektive auf dem Meeresgrund zu bleiben? Ob er es auf den Lippen hatte, als er den Leutnant Werner gab? Ist es der wichtigste Song seiner Karriere - oder doch bloß der Opener des neuen Albums "12"?
Das werden wir wissen, wenn Anfang März das Tuch gelüftet wird und die Geheimniskrämerei um den Nachfolger des ultramegaerfolgreichen Albums "Mensch" ein Ende hat. Aber Herbie ist schon jetzt da, war eigentlich nie weg. Sein Erfolgsmotor schnurrt konstant im höchsten Drehzahlbereich, der Mann läuft und läuft und läuft - fast wie sein Namensvetter aus Wolfsburg, der mit der Startnummer 53 schnellere, schönere, sportlichere Autos in Grund und Boden fuhr.
So geht es auch Herbert G., der sicher nicht der bestaussehende und talentierteste Sänger in unserer von quietschenden Kens und Barbies verseuchten Popwelt ist. Ich nenne das "Dylan-Effekt": Man mag die Stimme oder man verabscheut sie. Grönemeyer klingt in den Ohren vieler wie ein Hund, dem jemand zu lange auf den Schweif tritt. Oder wie eine Bergziege ("M-äh-äh-äh-nsch"). Und dann nuschelt er auch noch so, daß man ihn speziell in und um die Alpengletscher öfter falsch versteht. Es macht schon einen Unterschied, ob es "Momentan ist richtig" oder "Momentan ist Frühstück" heißt. Letzteres ergibt sprachlich mehr Sinn und macht außerdem satt, verleiht dem Grönemeyer-Text gleich zu Beginn des Songs "Mensch" eine deutlich andere, profanere Würze. Aber statt locker-luftigem Brötchen geht es ihm mehr um metaphorisch-philosophische Zustandsbeschreibungen des Homo sapiens an sich. Schuld ist er freilich selber, weil er bellt, weil er kürzt, weil er lebt.
In "Lied 1" ist die abgehackte Stakkato-Lyrik natürlich auch zu finden, speziell im Refrain - und der enthält mal wieder so alles, was man in den Gedankengütern von Aristoteles bis Heinz Erhard finden kann. Natürlich so komprimiert, daß es in 32 Worte paßt, und natürlich gibt Grönemeyer seiner Anhängerschar damit wieder kräftig was zu denken für lange Regenabende oder andere Schaffenspausen.
Man könnte es freilich auch mit Evelyn Tremble (Peter Sellers in der 67er-Bond-Parodie "Casino Royale") halten: "Unklar ist der Rede Sinn" sagte der damals. Aber leset und staunet selbst: "Ein Stück vom Himmel/ein Platz von Gott/ein Stuhl im Orbit/wir sitzen alle in einem Boot/hier ist dein Haus/hier ist was zählt/du bist überdacht/von einer grandiosen Welt". Wenn Helge Schneider das sänge, würde man drüber lachen und denken, daß er wieder kräftig in die Stegreifschüssel gelangt hat.
Auch der Texteinstieg ist gewohnt kryptisch, den kann man leicht falsch oder auch gar nicht verstehen, obwohl Herbie versucht, den Mund beim Singen zu öffnen und alle Buchstaben zu artikulieren: "Warum in seinem Namen/wir heißen selber auch/wann stehn wir für unsere Dramen/er wird viel zu oft gebraucht/alles unendlich, unendlich/welche Armee ist heilig/du glaubst nicht besser als ich/Bibel ist nicht zum einigeln/die Erde ist unsere Pflicht/sie ist freundlich, freundlich/wir eher nicht." Im Gegensatz zum Ratzl-Papst wird Grönemeyer sicher nicht zum Angriffsziel von islamischen Fundamentalisten, denn die verstehen von seinen Zeilen wahrscheinlich auch nicht mehr als wir. Der Gesamtsinn bleibt verborgen, aber daß es irgendwie um den aktuellen Glaubenskrieg geht, scheint gewiß.
Das ist das Problem mit den Assoziationsketten: Es fehlt der thematische Zusammenhalt. Wenn ich Grönemeyers "Lied 1" höre, hoffe ich nicht nur, daß "Lied 2" besser ist, ich denke auch an meine Frau, die mich immer tadelt, wenn ich nur die Hälfte eines Gedankens zu Papier bringe und den Rest für mich behalte.
Fragt sich, ob ich ein größeres Stück vom Grönemeyer-Himmel haben möchte. Ich bin nicht sicher, weil der Song musikalisch doch sehr eingängig ist; er bleibt im Ohr, was durchaus nicht so unangenehm ist. Weil man ja nicht zu verstehen braucht, was Herbie singt. Und weil man ihm wirklich genau zuhören muß, wenn man nichts verpassen will, verhält es sich im umgekehrten Fall in etwa so wie mit englischen Versen: Da fällt das Weghören im Zweifelsfall auch einfach.
Nur zum Schluß des Liedes redet Grönemeyer Klartext, aber das klingt dann sehr nach "Wozu sind Kriege da?"-Saumseligkeit von Udo Lindenberg. Fehlte nur noch, daß ein Kind die plakativen Zeilen mitsingen darf: "Es gibt keinen Feind/es gibt keinen Sieg/nichts kann niemand allein/wer hat sein Leben verdient/es gibt genug für alle/es gibt viel schnelles Geld/wir haben rauhe Mengen/und wir teilen diese Welt/und wir stehen in der Pflicht". Damit läßt sich mühelos eine Monatsproduktion Parka-Buttons bestücken. Alle Gutmenschen der Welt würden sich drum reißen.
Mir fallen jetzt spontan zwei weitere Gründe ein, warum "Stück vom Himmel" auch noch "Lied 1" heißt: Weil es von Null auf Platz 1 in den Charts einsteigen wird, was so gewiß ist wie der Wetterbericht am Schluß der Tagesschau, oder weil kein anderes dem Künstler aus Bochum so wichtig ist wie dieses. Das fände ich jetzt aber doch bedenklich.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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Kommentare_
Schwach...ja genau schwach ist das einzige was mir zu diesem Artikel einfällt. Der Autor scheint sich einfach nur mit Gewalt etwas gescuht zu haben über was man etwas sinnfreies, ansatweise komisches schreiben könnte. "Stück vom Himmel" ist meiner Ansicht nach ein Lied das zum Nachdenken anregt und viele Argumente einbringt warum diese Welt so ist wie sie ist. Mit dem scheint sich der Autor ihres Artikels allerdings nicht auseinandergesetzt zu haben, ansonsten hätte er festgestellt wie Recht Grönemeyer hat. Ausserdem ist es auch interessant wie sämtliche christliche Seiten dieses Lied zerreisen ohne auch nur ein gewichtiges Argument zu bringen. Daraus lässt sich meiner Meinung nach nur folgern dass Herbert Grönemeyer Recht hat mit seinem Lied und sich im Gegensatz zu ihrem Autoren Gedanken über das was er sagt gemacht hat. Ich finde es unter aller Würde diesen Artikel hier zu veröffentlichen. Genau sie sollten sich mal Gedanken über unsere Welt und den Umgang mit anderen Menschen und ihren Meinungen machen.
Mit frendlichen Grüßen
gutmensch ... gutmensch!!!