Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 80

Das kleinste Miststück aller Zeiten

Melodien schwirren überall herum, unkontrollierbar wie eine Atomreaktorkatastrophe, ob aus der Kehle isländischer Singvögel oder deutscher Rapper. Und manchmal gehen sie einem im wahrsten Sinne des Wortes tierisch auf die Nerven - meint Manfred Prescher.    14.05.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Daß in so einem kleinen Körper ein solch leistungsstarkes Organ steckt, ist schon ziemlich verwunderlich. Und es kann einen Menschen wahrlich zur Weißglut bringen. Ich spreche jetzt nicht von Björk, der winzigen Fee aus dem Land der Geysire. Mit ihrem mehroktavigen Gekiekse kann Frau Guðmundsdóttir zwar auch nerven, aber sie ist wenigstens oft genug wirklich genial. Abhängig vom persönlichen Aggregatszustand, kann ein einzelner Mensch "Earth Intruder" lieben oder hassen. Die Botschaft des Songs kommt natürlich an: Wir haben die Erde nur von irgendwem geleast, und es steht uns nicht zu, die Natur zu malträtieren. Daß diese sich aber ausgerechnet an mir rächt und erbarmungslos zuschlägt, ist allerdings schon gemein. Ich meine, mein CO2-Ausstoß ist sicher nicht signifikant höher als der anderer. Sogar auf das Furzen in aller Öffentlichkeit verzichte ich weitestgehend. The darmwinds of change wehen also auch nicht durch Flora und Fauna.

Warum also diese Naturgewalt, die mir allmorgendlich entgegenschlägt? Keine Ahnung. "Es könnt´ alles sooo einfach sein, isses aber nicht", wie Herbert "Mähähähänsch" Grönemeyer im Verbund mit den Fantastischen Vier singt: Ich gehe abends zu Bett, höre vielleicht vorher noch ein musikalisches Betthupferl von der genialen neuen CD der weithin leider unbekannten Southern Culture On The Skids und hoffe, daß ich mit "No Longer A Sweetheart Of Mine" auf den Lippen erwachen werde. Das wäre würdig und recht, ein besserer erster Song des Tages läßt sich derzeit kaum vorstellen. Bevor allerdings meine innere Jukebox auf das Lieblingslied schalten kann und der interne Tonarm auf der imaginären Platte im Hirn aufsetzt, drängt sich etwas mit einer brachialen Vehemenz dazwischen. Ein kleines Ding, tatsächlich um ein Vielfaches winziger als Björk - aber fast noch lauter: Es ist ein an und für sich "possierlicher Geselle", wie Heinz Sielmann es sicher formuliert hätte: Das von Ornithologen als Weidenlaubsänger bezeichnete, im gemeinen Volk aber eher als Zilpzalp bekannte Tierchen ist ein Vögelchen von nicht eben beeindruckender Gestalt.

 

Der Vogel ist gerade mal acht Gramm schwer und zwischen 11 und 16 Zentimeter groß. Die genauen Body-Maße meiner privaten Krawallschachtel weiß ich natürlich nicht, aber das "zilp-zalp-zelp-zilp-zalp", das er ohn´ Unterlaß von sich gibt, klingt eindeutig nach einem größeren Resonanzraum. Es ist so schrill, daß selbst Nina Hagen vor Neid erblassen müßte.

Mir geht es da natürlich anders. Ich würde dem Plagegeist am liebsten sein winziges Hälschen umdrehen und die letzten 4 bis 7 Kilohertz aus ihm herauswringen. Das liegt nicht daran, daß ich generell etwas gegen unsere gefiederten Freunde habe. Ich ruhe sogar ganz gern auf Vogelfedern. Aber ich liebe es nicht, zur nachtschlafenden Zeit von einem animalischen Gekreische geweckt zu werden. Während draußen noch nicht einmal die Zeitungsfrau unterwegs ist, um die täglichen Katastrophen in die Briefkästen zu verteilen, brüllt es "zilp-zilp-zalp-zelp-zilp-zalp". Es ist mir egal, ob sich der Kleine auf Brautschau befindet. Ich würde ihm einen ganzen Harem voller leichtgewichtiger und flatterhafter Damen kaufen, mit der er dann gleich mehrere Laubsängerfamilien gründen könnte.

Wenn er nur Ruhe gäbe. Aber es stünde zu befürchten, daß sich der Lärm dieser Mini-Melodie dann noch vervielfältigen würde. Und das ist der Unterschied zu Björk, die auf jedem Album nur partiell nervt, dazwischen aber auch mit genialen Momenten lockt - während der Schreihals vor dem Schlafzimmerfenster mit Ausdauer ein Weibchen bezirzen will, was ihm aber bislang nicht gelang. Außerdem kommt die Isländerin nur alle Jubeljahre mit einem neuen Werk heraus, während der Vogel wahrscheinlich all die kommenden Jahre weiterjubelt. Ach, es könnt´ alles sooo einfach sein ...


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Die Fantastischen Vier - Fornika


Sony BMG (D 2007)

Links:

Southern Culture On The Skids - Countrypolitan Favorites


Cargo Records (USA 2007)

Links:

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