Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 84

Prince: "17 Days"

Wer die Fußball-WM schaut, muß mitkriegen, daß halb Afrika "Prince" heißt. Dabei gibt es in Wahrheit nur einen - und der ist praktisch ein Gott. Und irgendwo steht geschrieben, daß man keine anderen Götter neben ihm haben soll. Der Eine wurde übrigens "in echt" auf den königlichen Vornamen getauft, wie uns Manfred Prescher erklärt.    28.06.2010

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Prince kommt zu zwei Audienzen zu uns, also in die weitere Umgegend - er lädt das Volk, das schon so lange nach seinem Erscheinen gelechzt hat, nach Berlin und in die Wiener Stadthalle, wo er am 13. Julei auftreten wird. Ein neues Album hat er nicht im Gepäck, aber jede Menge Klassiker, verschollene Perlen und Songs, die man so gern wieder einmal hören möchte.

Ob er freilich "Another Lonely Christmas", "She Is Always In My Hair", "God" oder "17 Days" spielen wird, ist fraglich, denn diese Nummern kennt nur der echte Fan; sie sind nämlich gut versteckt vor den Zugriffen des gemeinen Volkes geschützt. Weil die Mehrheit nur via iTunes oder Amazon Hits kauft und diese Songs schnöde B-Seiten von Gassenhauern waren, wird sie kaum jemand suchen. Merkwürdigerweise ist der "Greatest Hits"-Kram auch in einer Edition mit den Flipsides erhältlich.

Aber wer braucht solche CDs oder Download-Dingenskirchen überhaupt? Der echte Fan hat alles auf Maxi und weiß sofort, daß "17 Days" die andere Seite der "When Doves Cry"-Goldmedaille war. Gut so, ihr Jünger des Mannes, der sich für uns und unser aller künstlerische Freiheit von den Apologeten des Warner-Imperiums ans Kreuz nageln hat lassen. Man kann ihm natürlich vorwerfen, daß der Streit mit dem Konzern und die merkwürdigen Namensänderungen irgendwie ziemlich doof waren, aber einen Hang zum Irrsin könnte man leicht auch dem Typen vorwerfen, der sein eigenes Hinrichtungsgerät auf Golgatha ("jeder nur ein Kreuz") hochgeschleppt hat.

 

Was Prince angeht, so war die Warner-Ära sicher seine beste Zeit, auch wenn spätestens nach dem "Batman"-Soundtrack und "Graffiti Bridge" der Niedergang erkennbar war. Sicher hat er immer noch (und auch noch recht oft) Hervorragendes abgeliefert. Aber wie ein überforderter Hürdenspringer, der sich die Messlatte auf stolze 6 Meter hochgelegt hat, sprang er meist bei 5,50 Meter unter der Stange durch. Gut, die meisten würden schon bei deutlich niedrigerer Höhe scheitern, doch sie sind auch nicht Prince, der - beginnend mit seinem dritten Album "Dirty Mind" - Geniestreich um Geniestreich herausgehauen hat.

Letztlich ist er also gescheitert, und zwar an sich selbst. Wer wie er manisch schuftet, alles kontrolliert, nichts delegiert, der muß sich irgendwann verzetteln und in sich selbst verlieren. Prince ist bis zum Rand seiner - geschätzt 1,45 Meter kleinen Statur - voll mit Ideen. Was er davon immer wieder in einzelne Songs steckt, reicht bei anderen bequem für ein ganzes Doppelalbum. Und die Vielfalt der beiden Scheiben von "Sign O´ The Times" erreichen andere Musiker oft in einem langen, erfüllten Künstlerleben nicht. Wenn man auf "spartanisch produziert" steht, kommt man wahrscheinlich nicht drum herum, die -zig Tonspuren des Meisters in einzelne Lieder aufzudröseln.

Und dann war da ja immer noch soviel Potential, echte Perlen auf B-Seiten zu versenken. Eine davon ist "17 Days". Wem das Intro und der Beat bekannt vorkommen, dem sei gesagt, daß Prince auch ein Vorreiter der Recycling-Welle war. Er hat das Zeug bei seinem späteren Hit "U Got The Look" wiederverwendet, was der B-Seite von "Doves" genausowenig schadet wie der Ode an die Videooptik der Angebeteten.

 

Im Übrigen beschreibt "17 Days" eindrucksvoll die Zeiten exzessiver Einsamkeit auf ähnliche Art und Weise, wie das praktisch gleichzeitig damit der Body-mäßig auch nicht monströsere Marc Almond mit "In My Room" gemacht hat. Die frühen und mittleren 80er steckten nun mal voller Enttäuschungen. Pop stellte sich nicht als revolutionäre Bewegung heraus, und Innerlichkeit klingt zwar - wie hier - schön, ist aber belanglos. Was andrerseits nix macht, weil es ja nicht der Anspruch eines edlen kleinen Popsongs sein kann, die Welt zu verändern. Er kann uns nur beschwingter, glücklicher, verliebter machen. Oder Phasen von Traurigkeit, Selbstzerfleischung und Wohlstandsdepression untermalen.

Wie viele Prince-Songs kann "17 Days" beides, und das ist etwas, was nur dem Meister möglich ist: Andere sind entweder so oder so, Prince ist alles gleichzeitig: lüstern, keusch, verzweifelt, optimistisch, verschlossen und offensiv zugleich. Für alle, die ihn in Wien oder "Bärlin" (Horst Seehofer) zum ersten Mal in ihrem bis dato vergeudeten Leben live sehen werden, sei gesagt, daß er das auch auf der Bühne perfekt hinkriegt.

Nächste Woche geht es hier ebenfalls um Gott, aber nicht um den, der perfekte Popsongs am Fließband, sondern angeblich den Himmel, die Erde und schöne Frauen gemacht hat. Anhand von Merle Haggards neuem Lied "I Am What I Am" werde ich erläutern, was Jesus und ein Schweineschinken miteinander zu tun haben.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Prince - The Hits/The B-Sides

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Warner (D 1993)

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