Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 94

Prince: "7"

Nein, es ist nicht das größte Meisterwerk des kleinsten Prinzen jenseits von de Saint-Exupéry, aber ein Lied, das als Remix im Club gut funktioniert hat. Und heute ist es ein Edelstein, der inmitten der anderen Prince-Diamanten nicht besonders herausfunkelt. Doch es lohnt sich, das Juwel zu entdecken - sagt Manfred Prescher.    06.09.2010

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Wir schreiben das Jahr 1992. Oasis liegen noch irgendwo in den Tiefen eines Bierbüchsenmeers vergraben und warten darauf, daß jemand den Müll wegräumt und zu ihnen vordringt. De La Souls Gänseblümchenzeitalter ist genauso vorbei wie der Elan, mit dem Public Enemy wüteten. Die 90er Jahre müssen sich erst noch zu dem Jahrzehnt mausern, in dem Pubrock zu Britrock und Gangsta-Rap zu Eminem wird.

Inmitten dieses orientierungslosen Zeitalters ist Prince auch nicht mehr das, was er vorher war. Er streitet mit seiner Plattenfirma, die nicht zusehen mag, wie er sich in Daddeleien auflöst, und die lieber mehr "Purple Rains" und "Little Red Corvettes" verlangt. Der Zwist wird in Bälde soweit gehen, daß der hochbegabte Star seinen in den Ausweis eingetragenen Vornamen aufgibt und sich hinter TAFKAP solange verschanzt, bis auch der letzte Belagerer aufgegeben hat. Das Äffchen, das sie als Prince künstlerisch ausbeuteten, wird sich noch etwas später als Internet-Pionier versuchen und heute das Ende des Webs ausrufen.

Damals, ’92, waren diese forthcoming Schwurbeleien schon angelegt, aber wir merkten es nicht. Als er zum Love Symbol wurde, dachten wir uns nicht viel dabei. Ein nettes Zeichen, das sogar eine Zeit lang als Computerbuchstabe für Times New Dingenskirchen verfügbar war. Bevor er sich dann wirklich, frei nach Douglas Adams, in einem Unlogikwölkchen auflöste, schuf er mit dem poppigen "Diamonds And Pearls" und dessen Nachfolger "Symbol" noch zwei sehr gelungene Alben, die die zeitgenössische R&B-Grütze schal schmecken ließen, aber im Werkkontext eher medioker ausfielen. Wir tauben Dummbatze ahnten ja seinerzeit nicht, daß der Kleine wirklich noch viel schlechter können würde.

 

"Symbol" ist ein sehr funkiges, in den Kernstücken tanzbares Ding, ein polyrhythmischer Abgesang auf Prince, auf die 80er Jahre und auf die Zukunft. Vital genug, den letzten Schweißtropfen des Tänzers in die Hemden zu treiben, wirkt es, als sei der Rand des Vulkans erreicht und das Hineinfallen in die Lava nur noch eine Frage der Zeit. Spätestens im Morgengrauen ist Schluß mit lustig, dann sind wir alle am Ende. Heute, gut 20 Jahre danach (so lange ist der Scheiß schon wieder her), ist das deutlich zu spüren; damals setzte ich die Maxi-Singles und Remixes dazu ein, um das Haus zum Rocken und die Ladys zum Bewegen zu bringen.

Die beiden ersten Tanzflur-Kracher waren "Sexy MF", das als vorab erhältlicher Teaser die Richtung des Albums vorgab - und "My Name ist Prince". Hedonismus in Reinkultur. Wenn uns nach der Party der Teufel holt, soll er wenigstens wissen, wer vor ihm steht. Ein letztes lüstern-kraftvolles "My Name Is Prince", bevor der Symbolismus regiert. Single Nummer drei war in den USA erfolgreicher als die knochentrockenen Hämmer vorher: "7" fängt mit der hübschen A-cappella-Passage und den Worten "All seven and we’ll watch them fall/They stand in the way of love/And we will smoke them all/With an intellect and a savoir-faire".

 

Es ist der poppigste Song des Hit-Trios, aber eigentlich auch der mit dem vertracktesten Rhythmus, was bei Prince kein Widerspruch ist, man denke nur an "Kiss". Der Song fordert den Tänzer und den DJ. Getreu dem Motto "Free your mind and your ass will follow" muß man sich auf den Beat einlassen. Der Mann an den Turntables, die die kleine feine Discowelt bedeuten, muß das Tempo im Song langsam, aber stetig hochpitchen und hat dazu gut fünf Minuten Zeit.

Den Rhythmus hat Prince übrigens aus Lowell Fulsoms 1966er-Groover "Tramp" ausgeliehen und den Song selbst gleich mitgesamplet, doch der Geist ist ein anderer. Jetzt, also 1992, sagt Prince, daß ihm die glorreichen Sieben (die sieben größten Plattenfirmen?) nichts anhaben können. Wir werden dastehen oder tanzen, während sie fallen. Wer im Weg steht, wird in der Pfeife geraucht. Weil wir klüger sind und mehr Geschmack haben als sie. Heute wissen wir, was damals auch ohne marxistische Grundbildung erkennbar hätte sein müssen: sie sitzen am längeren Hebel, und mit schillerndem Pop läßt sich kein Krieg gewinnen. Was Prince angeht, den haben die Multis kurz darauf genüßlich in der Pfeife geraucht und sich an den "Greatest Hits"-Sammlungen Koksnasen verdient - "I only want to see you sniffing in the purple rain".

Für uns, die wir die Katastrophe überlebt haben, ist speziell "7" eine Hymne an ein goldenes Zeitalter. Wer wie ich nicht nur das Lied in den Ohren, sondern auch noch die geschmeidig-sinnlichen Bewegungen einer besonderen Tänzerin vor Augen hat, bekommt ein 3D-Kino, das cooler ist als "Avatar", plus den besseren Soundtrack. Für die anderen, die damals noch in Abrahams Wurstkessel herumschwammen, sei "7" ein echter Tip. Denn wer noch Ohren hat, der hört einen überraschend zeitlosen Track, der garantiert eine gute Figur macht.

 

Nächste Woche zähle ich runter zur Sechs. Weil ich grad nicht durstig bin, fiel die Wahl nicht auf "Six Pack To Go" von Hank Thompson, sondern auf Nick Caves frühes Düsterwerk "The Six Strings That Drew Blood". Und dann schreibe ich mir die Finger wund, bis mir das Blut unter den Nägeln hervorspritzt.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Prince - Symbol

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Paisley Park/Warner (1992)


Photos: Prince Music

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