Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 18

R.E.M.: "Supernatural Superserious"

Sie hätten das Missing link zwischen Stadion-Rock und Indie-Intellektuellen sein können. Leider ist das Konzept nicht aufgegangen - findet Manfred Prescher.    10.03.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Vor Jahr und Tag hatte Dagobert Duck einen scheinbar großartigen Plan: Ermutigt durch Hits wie "Losing My Religion" oder "Shiny Happy People" dachte er, daß er den Indie-Pop von R.E.M. so auf Massenkompatibilität trimmen könnte, daß der Geldspeicher sich automatisch füllen würde. Was zunächst mit dem durchaus programmatisch betitelten "Automatic For The People" auch gelang. Bevor die Konkurrenz nun auf den Plan kommen konnte, die Band aus Athens/Georgia mit lukrativen Verträgen zu ködern, unterbrach DD sein Geldbad, stopfte mehrere Fantastilliarden Taler in einen großen Sack und band R.E.M. auf immer und ewig an seine Media-Division Warner Music. Leider ging die Rechnung des Wirtschaftslenkers nicht auf - und man erzählt sich, daß er sich nachts die Federn aus dem Bürzel reißt, wenn er die Verluste addiert.

War der Deal mit R.E.M. am Ende nur ein Mißverständnis? Das Finale einer Rallye der überzogenen Erwartungen? Schwer zu sagen. Zwei Gründe sorgen dafür, daß sich der Kontrakt immer weniger rechnet: Da ist zum einen der stark rückläufige Abverkauf von "physischen", also real existierenden Tonträgern bei gleichzeitig immer noch nicht genug gewachsenem Online-Markt; zum anderen ist es aber auch die höchst unterschiedliche Qualität der R.E.M.-Alben seit den ersten beiden Warner-Veröffentlichungen "Out Of Time" und "Automatic For The People". Automatisch geht also schon gar nichts mehr. Die Lockerheit der frühen Jahre ist dahin, die Platten sind keine Selbstläufer mehr, nicht einmal die besseren. So bin ich wahrscheinlich einer der wenigen Menschen auf Gottes weitem Rund, dem das bisher letzte R.E.M.-Werk "Around The Sun" überhaupt zu Ohren gekommen ist. Was natürlich eine Tragödie antiken Ausmaßes darstellt, weil noch nicht mal ich die Platte gekauft, sondern als Pressemuster erhalten habe.

 

Die Prognose für das mittlerweile ergraute Trio fällt sogar noch schlechter aus als die Analyse des Status quo. Da kann Herr Stipe noch so sehr den Erzengel Michael geben und den Teufel - also Umweltzerstörung, Krieg und George W. Bush - mit dem lyrischen Flammenschwert austreiben wollen. An sowas hat sich der Mensch spätestens seit der Schlacht auf dem Lechfeld, nach der Michael zum Schutzpatron des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation wurde, wahrscheinlich aber bereits seit der Offenbarung des Johannes schon so gewöhnt, daß es außergewöhnlicher Leistungen bedarf, um die verlorenen Fans wiederzuerwecken. So in etwa: "Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht, und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im Himmel. Und es wurde hinausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen."

Wie bei Superhelden üblich, hat sich damals auch dieser Flügelmann gegen den Megaschurken durchgesetzt und ihn mit Schmackes auf die Erde geworfen. Und wie in den Comics gang und gäbe, hat der Böse auch diese Niederlage überlebt. Michael wurde aufgrund des kämpferischen Erfolgs zuerst zum Schutzpatron der Soldaten und dann - in seiner Stipeschen Wiederkehr - eine Zeitlang zum Säulenheiligen der Gutmenschen.

Doch diese Ära ist vorbei. "Supernatural Superserious" ist so mittelprächtig dahingeschrummelt, daß vor Jahr und Tag noch nicht mal kleinere Indie-Labels das Stück herausgebracht hätten. Die Vietnam Veterans oder jede halbwegs begabte Band aus dem Umfeld des SST-Labels haben vor 15 oder 20 Jahren schon bessere Lärmkaskaden mit wesentlich eingängigeren Melodien hinbekommen - von R.E.M. ganz zu schweigen. Damals, als Drummer Bill Berry noch an Bord war und nicht nur Dagobert Duck den phantastischen Vier aus der Intelligenzler-Enklave im tiefen amerikanischen Süden eine große, engelsgleiche Zukunft offenbarte, wäre so ein Stück noch nicht einmal in der relativen Versenkung einer B-Seite gelandet.

Nun soll es sogar Appetit auf ein ganzes Album machen - und ist doch nur trist-musikalische Schwarzweißmalerei. Da paßt das ebenfalls unbunte Cover von Single und Langspielscheibe wie angegossen. Langeweile und Uninspiriertheit werden darauf wenigstens artgerecht umgesetzt. Übrigens auch textlich, da solche Zeilen schon seit Freddy Krueger abgestanden sind: "No one saw your face, no one saw your fear/If that apparition had just appeared/Took you up and away from this place and sheer humilation/Of your teenage station/Nobody cares, no one remembers and nobody cares."

 

Vom anstehenden 14. Album von R.E.M., das übrigens am 28. März herauskommen und "Accelerate" heißen wird, erwarte ich natürlich keine Impulse in Richtung Erlösung der Menschheit von allen Übeln, obwohl sich das Trio mit dem Produzenten von U2 - der anderen Heilsbringer-Eliteeinheit - zusammengetan und die CD teilweise sogar in der Kathedrale St. Bono eingespielt hat. Aber auch die Hoffnung auf etwas musikalisch ebenso Großes, wie es "Automatic For The People" war, oder doch wenigstens auf ein okayes Altersruhewerk wird höchstwahrscheinlich enttäuscht werden.

Auch nicht neu, aber eindeutig schwungvoller als "Supernatural", vor allem aber nicht sooo "Superserious" ist "Funplex" von den B 52´s. Um die Gruppe, die seinerzeit bei "Shiny Happy People" für das "Happy" zuständig war, wird es im nächsten "Miststück" gehen.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

R.E.M. - Accelerate

Leserbewertung: (bewerten)

Warner (USA 2008)

Links:

Kommentare_

Leo - 10.03.2008 : 13.26
Selten so einen Schwachsinn über die "seit knapp 20 Jahren größte, kleine Band" gelesen!

Supernatural Superserious ist mit Sicherheit kein Gassenhauer wie What's the frequency, Kenneht oder It's the end of the world, aber der Song passt sehr gut zum, im Gegensatz zu Reveal, wirklich sehr gutem Album Accelerate!

Die britische, us-amerikanische und tw bereits deutsche Musikpresse lobt die Platte zurecht! R.E.M. sind zurück, und wie!

Thomas - 10.03.2008 : 13.35
Albert Koch vom Musikexpress sagt bereits: "Die beste Platte seit Automatic for the people"

Ich werde mich selbst eine Meinung bilden, bin aber davon überzeugt, dass diese von der Ihren weit entfernt sein wird!
Christian - 12.03.2008 : 15.15
Die Single ist ein schöner Rock-Song (nicht mehr und nicht weniger). Das Album, das ich glücklicherweise schon hören durfte, ist hingegen sensationell. Und im Kontext des Albums hat auch "Supernatural Superserious" eine ganz andere Wirkung. Also, hier nicht abschrecken lassen. "Accelerate" ist so ziemlich das Beste, was R.E.M je veröffentlicht haben. Kein Vergleich zum tatsächlich relativ schwachen Vorgänger "Around The Sun".

Und die erste Warner-Veröffentlichung war "Green" und nicht "Out Of Time"
Manfred Prescher - 17.03.2008 : 14.56
Hallo Ihr Kommentatoren,

dass ich "Green" unterschlagen habe,ist wirklich verwerflich, zumal ich alle Alben der Band besitze.. Sorry dafür und Asche auf mein Haupt. Zur aktuellen REM-Single kann ich aber auch nach dreißigsten Hören nichts anderes sagen. Im Gegensatz zu Christian hatte ich das Album beim Schreiben der Kolumne aoch nicht gehört, es kommt ja erst raus., ich habe also nur Vermutungen angestellt. Vielleicht hätte ich die neuen Songs doch illegal herunterladen sollen. Spaß beiseeite: Generell halte ich bei REM ja auch alles für möglich...
Wenn ich mir nun die Rezi im aktuellen Musik Express anschaue, dann ist die zumindest nicht hymnisch. Eingeordnet in den Werkkontext der Band (und damit in die anderen Besprechungen) würde ich die Rezi, bzw. die Bewertung, als "mittelprächtig" bezeichnen. Da gab es schon deutlich positivere, inklusive "Album des Monats"-Titel. Setzt man nun voraus, dass der ME die Band ebenso mag wie ich, dann relativiert sich das Ergebnis noch mal. Was soo schlimm nicht ist, weil selbst ein schlechtes Album von REM besser ist als vieles, was sonst so auf CD gepresst wird.
Bleibt die Frage, was daran Schwachsinn ist, wenn man den Deal mit Warner beschreibt, dem REM nicht mal Ansatzweise als Umsatzträger gerecht werden. Wahrscheinlich - und das halte ich für sehr gut möglich - will Stipe das auch gar nicht. Die größte kleine Band entzieht sich den Mechanismen und wird so für Warner in wirtschaftlicher Hinsicht zum Irrtum. Was freilich gar nix über die Qualität der Musik aussagt. Weil sich ja zu "Around The Sun" alle (einschl. Musik Express) einig sind, muss ich mich noch mal outen: Mir hat diese CD sehr gut gefallen. Nicht so gut wie "Green", erst recht nicht so gut wie "Automatic", aber zumindest so, dass ich die Scheibe regelmäßig rausziehe und höre.
cp - 18.03.2008 : 17.57
wenn man ehrlich ist, verweilt die ganze platte auf dem niveau der single - und das ist leider kein besonders hohes.
Andreas - 21.03.2008 : 12.02
Ich hab mir jetzt auch die Platte zu Gemüte geführt und was ich sagen kann ist, dass sie großartig ist! Die beste Platte seit dem grandios unterschätzten Up!

Beim ersten Mal hören enttäuscht die Platten, nach einigen Durchgängen lässt sie einem nicht mehr los! Großes Kino!

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