Kolumnen_Miststück der Woche III/47

Robin Thicke feat. T.I. & Pharrell: "Blurred Lines"

Letzte Woche stellte Manfred Prescher die Frage, was "Blurred Lines" mit Wolfgang Amadeus Mozart zu tun hat. Die Antwort ist einfach: Der alte Meister würde bessere Sommerhits schreiben.    19.08.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Was zeichnet einen Sommerhit aus? Er muß rasant ins Ohr gehen, genug Tempo für die Strandparty auf Malle oder im "Duisburger Hallenbad" (Helge Schneider) haben. So ein Lied soll uns auf dem Weg zur Arbeit daran erinnern, wie gern wir wieder mal hitzefrei hätten.

Da fällt mir ein, daß ich den letzten Monat ohne meinen Führerschein verbringen durfte. Was das jetzt wieder mit Sommerhits zu tun hat? Eine ganze Menge: Als Esel in puncto Verkehrsverhalten fuhr ich allermeistens mit dem Drahtesel ins Büro, doch ab und an nahm mich auch ein lieber Kollege mit. In seinem Auto lief dann irgendein Privatdudelfunk, und da hatten sie dieses bescheuerte Spiel "Ziemlich beste Freunde". Eine Person wurde nach dem coolsten/schrecklichsten Erlebnis innerhalb der Beziehung, dann nach irgendeiner Vorliebe und schließlich nach einem ziemlich intimen Detail aus dem Sexualleben gefragt. Stimmten die Antworten mit dem überein, was die andere Person von sich gab, gewannen die "echt besten Freunde" irgendeinen Unfug und durften sich gemeinsam einen Sommerhit wünschen.

Das Ergebnis mußte dann natürlich ins Formatschema - also zur "Heavy Rotation" - passen, und deshalb wurden stets Lieder wie "Wake Me Up" von Avicii, "Get Lucky" von Daft Punk oder "Blurred Lines" von Robin Thicke vorgeschlagen. An den beiden letztgenannten Stücken ist übrigens Pharrell Williams maßgeblich beteiligt. Das ändert aber nichts daran, das "Blurred Lines" irgendwo zwischen abscheulichem Mist und ordentlichem Popsong herummäandert. Bei Licht betrachtet, ist das kein Wunder - der Titel läßt sich ja schließlich auf gut deutsch mit "verschwommene Grenzen" übersetzen. Und, so wette ich, Mozart würde "Wake Me Up" okay finden, bei "Get Lucky" würde er die Melodie vermissen ... und "Blurred Lines"? Ich frag´ den Mann, dem wir bezaubernde Lieder wie "Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich" verdanken, am besten selbst. Ich traf das Wolferl zufällig gestern abend, als ich vor der Tiefgarage darauf wartete, mein Auto wieder benutzen zu dürfen. Er ist über die Jahrhunderte richtig fett und aufgeschwemmt geworden. So rundlich schlich er auf dem Anwesen herum, sammelte Pfandflaschen aus dem Müllcontainer und pfoff diese herrliche Arie. Genau, es war die "Königin der Nacht".

 

Ich: Guten Abend, Herr Mozart. So spät noch so umtriebig?

Mozart: Man muß halt leben, und irgendwie reicht es hinten und vorne nicht. Aber es ist eh wurscht. Hinten können mir sowieso alle den Buckel runterrutschen, und von vorne sag´ ich euch, daß ihr alle miteinander Geschmackskrüppel seid.

Ich: Das ist aber ein hartes Wort!

Mozart: Es stimmte schon zu meiner Zeit, denkens doch an den Carl Ditters von Dittersdorf. Da möchte man den Namen schon nicht in den Mund nehmen. Gut, daß der praktisch vergessen ist. Das wird mit eurem modernen Kram auch so gehen. In den Lokus, das ist der "locus iste" dafür. Sie verzeihn mir den Kalauer? In bildungsfernen Zeiten muß man die Bildung raushängen dürfen. Das ist auf jeden Fall besser, als die Hose unterhalb der Gesäßbacken aufhören zu lassen, wie es euer Jungvolk tut. Ich frag´ mich immer, wozu hat der liebe Gott eigentlich den Gürtel oder die Hosenträger erfunden? Aber weil die den lieben Gott sowieso mit Bushido verwechseln ...

Ich: Was halten Sie denn von den aktuellen Sommerhits?

Mozart: Wollens a ehrliche Antwort? Fast immer ist der Darmwind von einem Rindviech musikalischer. Aber Mist gab es zu meiner Zeit auch, nur halt weniger davon. Ihr produziert von allem zu viel - auch von getretenem Topfen. Nehmens nur des "Blurred Lines". Die Melodie ist so albern ...

Ich: Hätte die in Ihren Salons auch funktioniert?

Mozart: Nur, wenn es bei uns schon Videos gegeben hätt´. Das Ding ist ja nur deshalb so erfolgreich, weil es Frauen so ausgezogen zeigt, wie ich es nur im chambre à coucher erlebt hab. Was mir gfallt, ist aber, daß ihr visuelle Möglichkeiten habt, Musik in Szene zu setzen. Aber jetzt muß ich weiter, ich schreib´ grad an einem Werk, das mindestens eine Klasse besser sein wird als dem Jackson sein "Thriller". Fand ich übrigens ordentlich, die Platte. Ich tät´ aber gern noch was zu Sommerhits sagen, wenns mir das erlauben ...

Ich: Aber immer, Sie haben das Wort, werter Herr Mozart!

Mozart: Amüsieren tu ich mich grad sehr über "Sommer, Sonne, Kaktus" von dem Schneider. Der hat übrigens auch meine "Kleine Nachtmusik" wunderbar umgesetzt. Hörens doch einfach einmal, was der singt: "Sommer, Sonne, Kaktus, playing Federball on the beach/Blauer Himmel, gute Laune and a beautiful girl aufm Schoß/Never, never go to work, lieber holiday/Die Gitarre um Hals, schnell gekämmt, ja, das is the way." Der macht sich auf hohem Niveau über euch lustig.

Ich: Dann danke ich Ihnen für das Gespräch.

 

Mozart watschelte von dannen, hinein ins nächtliche Dunkel. Ich hörte ihn irgendwas von "Schaas" murmeln - und weg war er. Mich ließ er ratlos zurück. Die Sommerhits mochte er alle nicht; aber muß ich mein Hörverhalten ändern, nur weil es irgendeinem dahergelaufenen Genie nicht ins Qualitätsmanagement paßt? Natürlich nicht. Was Helge Schneiders neuen Song angeht, hat er aber recht. Mir gefällt der Schluß am besten, weil so endete definitiv noch kein Sommerhit: "Sommer, Sonne, Kaktus, ach wie wär das schön/Doch leider hier in Duisburg muß ich ins Hallenbad gehn ... /und es ist auch für mich ... /was das denn? Ne Laus? Scheiße, ich hab Läuse."  Alle Jubeljahre haut der verrückte Kerl einfach einen raus.

Nächste Woche wird es hier wieder mal etwas ernsthafter, dann stell´ ich euch die kommenden femininen Hoffnungsträger des Pop vor: Haim sind witzig und sehr talentiert. Bis dahin laßt den Sommer und die Sonne in eure Herzen, nehmt den Liebsten oder die Liebste in den Arm oder auch mal auf den Arm. Und genießt das Leben. "Es ist eh zu kurz", rufen Euch Wolfang Amadeus Mozart und Michael Jackson gemeinsam vom Himmel aus zu. Die beiden müssen es ja wissen.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Robin Thicke feat. T.I. & Pharrell: "Blurred Lines"

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Enthalten auf der gleichnamigen CD (Interscope/Universal)

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