Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 70

Söhne Mannheims: "Iz On"

Achtung, Achtung! Obwohl Xavier Naidoos aktuelles Motto "Alles kann besser werden" lautet, läßt er seine Rap-Kampfgruppe wieder auf die Menschheit los. Wer sich nicht in Sicherheit bringt, hat die Konsequenzen zu tragen, orakelt Manfred Prescher.    03.08.2009

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

 

In der verwichenen Woche warf ich justament an dieser Stelle (beziehungsweise etwas weiter unten im Zeilenkonvolut) die Frage auf, was meine Heimatstadt Nürnberg mit der EVOLVER-Homebase Wien verbindet. Natürlich läßt sich in beiden Citys ganz prächtig leben, lieben, labern und abendlich losziehen und die Flüssigkeitsreserven leertrinken. Und natürlich gibt es sowohl in Wien als auch in Nürnberg hübsche Töchter und coole Söhne. Aber im November wird quasi zwangsweise durch das Diktat eines überregionalen Konzertveranstalters noch eine andere Verbindung ins Portfolio der Gemeinsamkeiten gestellt: Dann sind die Sprößlinge einer anderen Stadt im Doppelpack mit ihrem berühmtesten Sohn zuerst in Franken und dann in Österreichs Hauptstadt zu Gast.

Für alle, die entweder "Flüchten oder Standhalten" (H.-E. Richter) wollen, liest sich das so: Am 1. November treten die Söhne Mannheims in der Nürnberger Frankenhalle auf, am Tag darauf ist am selben Ort Xavier Naidoo alleine zu besichtigen. Dann läßt sich der Troß direkt nach Vienna schippern, um dort die Verbindung aus Geigen, gläubiger Andächtigkeit und HipHop zu zelebrieren. Am 4. November weiht Furienkardinal Xaver der I. die Stadthalle, am 5. soll dann dort, so kolportiert man zumindest, vom badischen Nachwuchs das eine oder andere offene Wort gesprochen werden. Wahrscheinlich gehören auch diese hochpolitischen Sätze dazu: "Die Politik ist nicht an allem Schuld/Das ist natürlich quatsch/Und schuldlos ist sie auch nicht/Und manches ist echt kraß/Doch wir alle machen Fehler und wir bauen alle Mist/Ich sag das nur so deutlich, daß es keiner vergißt." Um diese höchst dialektische Weisheit werden die Söhne Mannheims ganz sicher nicht nur von Angela Merkel und Werner Faymann, sondern auch von Kapazundern wie Oskar Negt, Carl Joachim Friedrich, Karel Brückner und "Bundesjogi" Löw beneidet. Könnten Rap-Dichter wie Chuck D. oder Eminem deutsch, dann wäre dieser brillante, gesellschaftsrelevante Text auch für sie ein richtungsweisendes Fanal - ob in die richtige Richtung, ist freilich fraglich.

 

Jede Stadt hat die Söhne, die sie verdient. Was jetzt nicht heißen soll, daß Mannheim ein übler Ort ist. Die Stadt ist quadratisch, praktisch und gut, immer eine Reise wert - und hat sich so nebenbei an Stuttgart vorbei zur Rap-o-Pole Nummer 1 im Ländle entwickelt. Das liegt natürlich zum einen daran, daß die auch nicht eben jünger gewordenen Fanta-4-Mitglieder mittlerweile quer über den deutschsprachigen Teil des Globus verstreut leben und Benztown nur mehr für Großkonzerte und Familienfeiern besuchen.

Der andere Grund heißt Xavier Naidoo und ist der Mastermind hinter den Aktivitäten der Söhne. Weil es ihn gibt, bräuchte Deutschland eigentlich keinen Superstar mehr zu suchen, denn er ist auf unserem Eiland der absolute Heiland. Die Idee, ein Soul-Rap-Irgendwas-Großorchester zu gründen, ist eine wirklich extravagante, weil einzigartige. Derzeit gehören neben St. Xaver 13 andere Mitglieder zur Big Band: Vier Sänger, zwei Keyboarder, zwei Gitarristen, zwei Rapper, ein Schlagzeuger, ein Percussionist, ein Bassist und ein DJ bilden die Musikbrigade. Habe ich jemanden vergessen? Schon möglich. Erweitern läßt sich das Ensemble in jede Richtung: Sollen mal Oboen eingesetzt werden? Kein Problem. Kammbläser oder A....geigenquartett? Nix ist unmöglich.

Deshalb gehen einem beim Anschauen des Videos zur ohnehin hektischen Single "Iz On" nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen über. Solch ein Gewusel bietet nicht mal der unterirdische Nagetiertreffpunkt in Pixars "Ratatouille". Diese schwunghafte Video-Weiterentwicklung des Run-DMC/Aerosmith-Crossover-Herumgezappels "Walk This Way" ist ebenso fast wie furious. Ganz nebenbei belegt die bildgewordene Fünfminutenterrine, daß die Begriffe "Zappeln" und "Zappen" doch nahe Verwandte sind. Seitdem das Ding auf MTV läuft, weiß ich, welche Kanäle mein Fernseher hinter den Musikkanal einsortiert hat: Phoenix und den TV Shop HSE. Ach, wie entschleunigt geht es doch in der Welt der Umstandskleider für Nichtschwangere und der beutellosen Staubsauger zu.

 

Eh ich es vergesse: Single und Album sind "Iz On" benannt. Aber was heißt das? "Iz On - heißt soviel wie 'jetzt geht´s los'/Iz On - nehmt eure Hände aus dem Schoß/Iz on - heißt 'Jungs, wir schlagen los'/Iz On - heißt 'das hier wird in diesen Tagen groß' " etc. pp. Die Zeilen holpern gegeneinander wie zwei Autos, die mit platten Reifen auf Crash-Kurs sind. Bei den Ramones hieß sowas noch "Hey, ho, let´s go" und war doch irgendwie lustiger.

Was der Titel "Iz On" soll, erklärt sich aber erst beim Blick in die Diskographie der Söhne Mannheims: Ihre drei Alben sind "Zion", "Noiz" und eben "Iz On" betitelt. Schade, daß Naidoo und Co. nicht aus der ehemaligen Tätärä (the country formerly known as DDR) kommen, denn dann könnte die vierte CD glatt "Zoni" heißen. Super Wortspiel, da setz´ ich mich doch glatt auf meine eigenen vier Buchstaben, schreib´ noch kurz, daß die Söhne Nürnbergs/Wiens auf jeden Fall cooler sind und verweise auf nächste Woche. Denn dann wird es in dieser Kolumne um Haindling und deren Betrachtungen zum leidigen Thema Zeitstreß gehen.

 

 

 
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Söhne Mannheims - Iz On

(Photos © Söhne Mannheims)

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Söhne Mannheims/Tonpool

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