Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 13

Udo Jürgens: "Geradeaus"

Es ist an der Zeit, endlich mal einen Mann zu würdigen, der sich regelmäßig in die Niederungen der Gesellschaft begibt und dort sein Licht leuchten läßt - meint Manfred Prescher.    04.02.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Wie Freddy und Peter Alexander, die anderen Granden aus der Frühzeit des deutschen Schlagers, ist Udo Jürgens eigentlich Österreicher. Der unter dem wirklich sehr poetischen Namen Udo Jürgen Bockelmann am Rande der Zivilisation (in Klagenfurt) geborene Künstler vertrat die Petite Nation gleich dreimal hintereinander beim Grand Prix und siegte 1966 - nach hervorragenden fünften und vierten Plätzen - mit "Merci Chérie". Nur der Titel und das traurige "Adieu" waren französisch, und das zu einer Zeit, als die deutsche Sprache im restlichen Europa noch als schlechter Witz galt und sich auf einer schiefen Scherzebene etwa gleichauf mit dem Holländischen befand. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an "Wat een geluk", den längst vergessenen Eurovisions-Flop von Rudi Carrell. Jürgens´ Potential konnte man freilich schon unmittelbar nach seinem ersten Auftritt beim "Eurovision Song Contest" erahnen: Sein Lied "Warum nur, warum?" wurde in der von Matt Monro vertonten englischsprachigen Version zum internationalen Hit.

"Merci Chérie" war groß, ein Monument aus Geigentönen und schwelgerischem Style, genau wie die wundervolle B-Seite der Single, jenes "Sag ihr, ich laß sie grüßen". Udo Jürgens wandelte schon damals auf dem Pfad, der ihn zu einem Gipfel führen sollte, den sonst kein Künstler aus unseren Breiten erreichte. Kurzer Einschub an dieser Stelle: Natürlich ist Udo auch Deutscher, verbindet das Österreichische Kaiserthum mit Preußens Glanz - und das nicht nur, weil seine Mutter aus Schleswig-Holstein stammt und der Vater als Sohn eines deutschen Bankenlenkers in Moskau geboren wurde. Oder weil er die deutsche Hymne zur Schmach/zum Triumph von Córdoba schrieb und mit den Kickern sang. So interessant die Familienchronik der Bockelmanns auch sein dürfte, Udo selbst ist ein Mann von Welt, der die Grenzen der Provinzialität von Kärnten und Holstein verwischt, überwindet und schon deshalb in der Schweiz wohnen muß. "Grüß Gott" also auch an die Eidgenossen, "uns Udo" ist auch der eure.

 

Wer schon als junger Mann in einem schlichten Schlager das Wort "Großstadtgetriebe" verwendete, kann so verkehrt nicht sein. Und richtig: Udo Jürgens ist längst - um das ein für allemal klarzustellen - eine für uns bittschön zu verehrende Dreieinigkeit: Als Sänger hat er die Bedeutung erlangt, die Sinatra für die USA zugesprochen wird; er ist der Größte, weil seit fünf Jahrzehnten auf seinem eigenen hohen Niveau agierend. Gleichzeitig ist er auch ein Stilvorbild, unverwechselbar und geschmackssicher wie Dean Martin. Und als Womanizer steht der mittlerweile 73jährige auf einer Stufe mit Tom Jones.

Seine kritischeren Texte sind natürlich einfach und kürzelhaft - und über den politischen Wert der Lieder und von Pop im allgemeinen braucht man nicht zu reden. Aber "warum nur, warum" sollten wir das, was wir bei Johnny Cashs "Man In Black" oder Marvin Gayes "What´s Goin´ On" gutheißen, bei Udos Songs schlecht finden? Nur weil wir Zeilen wie "Die Kronen, die man gestern stolz getragen/Werden zu Staub, zerfallen und zerschlagen/Stumme Zeugen der Vergänglichkeit/Auf der Straße der Vergessenheit" sofort verstehen? Natürlich ist nicht alles Gold, was Udo an Lyrik in seine Melodien verpackt, und die Revolution wird er sowieso nicht ausrufen. Aber es geht schließlich um Entertainment ...

Nehmen wir nur mal "Geradeaus" vom neuen Album "Einfach ich". Mit Worten wie "Gegen Mittelmaß und Schweigen/Denn genug ist nicht genug" wandelt er darin auch zugleich auf den literarischen Spuren von Ricarda Huch und Konstantin Wecker, was ihm erstmal einer in nur zehn Zeilen nachmachen muß. Der aktuellen CD wird von der Kritik vorgeworfen, daß die einzelnen Lieder klingen, als wären sie Kopien von Udos früheren Songs. Das stimmt natürlich und ist auch nicht weiter schlimm - warum sollte "Ol´ White Bathrobe" denn auch plötzlich die Tastatur seines Schimmel-Flügels neu erfinden?

Weil er weiß, daß sein Fundus unerschöpflich ist, arrangiert er sein Werk neu und greift dazu absichtlich auch auf ein altes Stück zurück: "Geradeaus" ist ein Lied aus dem Jahre 1992, das Udo nun mit einem sehr modernen Beat zum Grooven bringt. Ganz nebenbei zeigt er damit auch, daß er locker mit denen mithalten kann, die seine Enkelkinder sein könnten und es vielleicht auch sind. Aber er muß sich bei niemandem anbiedern, auch nicht bei der "Fiesta, fiesta, ist noch´n Rest da, von dem Schlagereintopf zu Eineurozehn?"-Fraktion, die er mit "Anuschka", "Babuschkin" oder "Aber bitte mit Sahne" eh schon immer mit bediente - und so ein qualitätverheißendes Lichtlein in den Kellerlöchern der Einfältigen zum Leuchten brachte.

Ich selbst stand Udo Jürgens früher übrigens zwiespältig gegenüber, aber das hatte rein autobiographische Gründe: Meine Mutter war regelrecht vernarrt in ihn und kaufte sich jede Platte des in den 60er und 70er Jahren bienenemsigen Künstlers bereits am Erscheinungstag. Heute verlangt das mir leidenschaftlichem Fan von diesem oder jenem Barden Respekt ab, doch seinerzeit verstärkte es meinen pubertären Abgrenzungsdrang eher noch. Trotzdem konnte ich mich dem Charme des Live-Meisterwerks "Udo ´70" und vieler seiner Songs nicht entziehen.

Während ich mir schon als Kind von Roy Black keinen Sand in die Augen streuen ließ oder im Alter von 12, 13 Jahren mit Dartpfeilen auf Konterfeis von Peter Orloff oder Erik Silvester warf, taugte Udo als Feindbild kaum. Selbst den anderen Udo oder die Fehlfarben überstanden viele seiner Lieder ohne Qualitätsverlust, und aus eingestürzten Neubauten lugte manchmal das Cover einer frühen Vogue- oder Ariola-Single hervor. So fand ich etwa beim Sperrmüll "Merci Chérie". Die 45er war in tadellosem Zustand, genau wie die beiden Songs, die darauf Zeiten und Moden überdauert hatten und noch heute wie Diamanten funkeln.

Für die meisten Lieder auf "Einfach ich" gilt das nicht, aber das soll keine Kritik sein. Udo braucht schließlich nicht mehr "Geradeaus" zu wandern, er ist längst am Ziel. Dort darf das ehrenwerte, alte Haus sich auf seinen Lorbeeren ausruhen und sich meinetwegen fünf Musicals auf den rüstigen Leib schneidern lassen. Er hat eben so viele Lieder geschrieben, die dafür sorgen, daß schon beim Erklingen der ersten Tonfolgen immer und immer wieder die Sonne aufgeht. Oder, um es mit Udo zu sagen: Ich hab festgestellt, mir tun sie immer gut ...

Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Auch im nächsten Miststück geht es um Pop-Historie, nämlich um das wundersame Hank-Williams-Cover, das uns Cat Power beschert.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Udo Jürgens - Einfach Ich

(Fotos © Dominik Beckmann)

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Ariola/SonyBMG (D 2008)

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Kommentare_

Wolfgang - 04.02.2008 : 20.24
Danke für diesen interessanten Bericht! Leider muss ich hier eine kleine Korrektur anbringen: Das Lied, dass hier speziell auch aufgrund der Überschrift näher beschrieben wird, nennt sich "Fehlbilanz" und ist ursprünglich auf der Studio-LP "Geradeaus" 1992 erschienen. Auch mir gefällt die wunderbar groovige Neuversion sehr gut. Insgesamt ein schöner Artikel. Als kleine Kritik hätte ich mir noch mehr Anmerkungen zur neuen CD gewünscht. Viele Grüße!
Manfred Prescher - 05.02.2008 : 16.40
Hallo Wolfgang,

danke für Deine Anmerkungen. CD-Besprechumgen stehen generell nie beim Miststück, weil dort es in der Kolumne um (meine) Meinung geht. Eine Besprechung von "Einfach ich" ist aber dennoch eine gute Idee. Ich gehe mal in mich uns schau, was sich da machen lässt...

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