Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 21

Udo Lindenberg & Jan Delay: "Ganz anders"

Nörgeln und Nuscheln: So kennt man den Udo, seit die Dinosaurier durch Dortmund stampften. Jetzt gibt´s die Stimme auch noch im Doppelpack. Und das ist nicht schlecht - findet Manfred Prescher.    14.04.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Was kann man mit fast 62 Jahren noch werden? Für den normalen Arbeitsmarkt inklusive "Dieter Bohlen sucht den Superstar" ist man damit eindeutig zu alt und für den Job als Kurienkardinal oder Papst eindeutig zu jung. Große Veränderungen in der Berufslaufbahn sollten sowieso nicht mehr vorgenommen werden, die bringen einen nur schneller aufs Altenteil. Also kann man auch gleich bleiben, wie man ist.

Etwas anderes kommt für Udo Lindenberg ohnehin nicht mehr in Frage. Der gebürtige Westfale, der sich mindestens so hanseatisch-hamburgerisch gibt wie der Wiener Freddy Quinn, ist längst so mit seiner Figur - also mit Hut, Lederbux, Gürtel, Schnodderschnauze und bewährten Sprüchen - verbunden, daß man den Menschen Udo nicht mehr vom Kunst-Udo trennen kann. 41 Studioalben in beinahe genauso vielen Jahren und eine Inszenierung, die zumindest in den Siebzigern ebenso groß wie cool war, sorgten für die Borg-gleiche Assimilierung.

Uns Fans der ersten Stunde bescherte der "Panik-Udo" geniale Platten wie "Alles klar auf der Andrea Doria", "Ball Pompös", "Votan Wahnwitz" oder "Galaxo Gang - Das sind die Herrn vom andern Stern". Und natürlich jede Menge Sätze für die Oberstufen-Schulbänke oder die Klotür: "Alles im Lot auf dem Riverboot", "Und dann reicht er mir das Glas, das volle/Und sagt: Alles unter Kontrolle", "Und sehn wir uns nicht in dieser Welt/Dann sehn wir uns in Bielefeld" oder - für die Leere im Gehirn der keifenden Mehrheit - "Die Musik ist laut und die Leute sind stumm/Die hängen da rum und manche gucken sehr dumm/Als hätten sie in ihren schönen Köpfen leider nur ein Vakuum."

Sowas prägt sich ein. Logischerweise sorgt es auch dafür, daß die Sprücheklopferei, das Mikroschwingen auf den immer opulenter ausstaffierten Bühnen, der ganze Kokolores um Sex, Alkohol und panische Zeiten dazu führte, daß der Wort-Detektiv, zu dem sich Udo nach Krautrock- und Jazzer-Jahren entwickelte, zur Selbstpersiflage wurde. Man mußte einfach den Eindruck gewinnen, daß in ihm selbst ein schwarzes Loch entstanden war, das Einfälle verschluckte und eine Art Ideen-Vakuum erzeugte: Nicht erst mit der Sitzplatzreservierung im "Sonderzug nach Pankow" verkam Udo zur Karikatur seiner selbst ... Blöderweise konnten andere - von Otto über den Autor dieser Zeilen bis hin zu Helge Popelge - ihn viel besser nachahmen und wirkten so sogar authentischer als das zusehends schwächelnde Original.

Ich habe dann mit der 81er-LP "Udopia" mit ihm abgeschlossen und mich mehr an seine Nachfolger, also an Fehlfarben, ZK/Die Toten Hosen, Trio und an alles, was Ata Tak und ZickZack so hergaben, gehalten. Ein kurzes Aufflackern der Udo-Liebe gab es zwar später mit der intensiven und sehr intimen, der Lindi-Mutter gewidmeten Platte "Hermine", aber das war´s dann. Aus, Äpfel, Amen.

Von mir aus hätte er bis zum Ende seiner Tage im Hotel Atlantik residieren und sich dort als Grüßaugust verdingen können, der die erwarteten Sentenzen von sich gibt. Und seine Gemälde ausstellen dürfen, jene mit Acryl und Schnaps gepinselten Selbstporträts. Jeder braucht schließlich ein Auskommen und einen heimatlichen Hafen, besonders, wenn er wie Udo immer auf der Suche nach dem Gin des Lebens ist.

 

Aber jetzt ist er wieder da - und wie: Von den Medien landesweit wiederentdeckt und auf ein Podest gehoben, an dem sie alle mitgezimmert haben: "Stern" und "Spiegel", "Welt am Sonntag" und via dpa jede popelige Tageszeitung von hier bis Quakenbrück und Lindenberg im Allgäu. Das ist schon erstaunlich, denn Udo ist sich mit dem Album "Stark wie zwei" absolut treu geblieben. Irgendwo stand zu lesen, daß Produzent Herbig eine Großtat vollbracht habe, die mindestens so bedeutend sei wie die von Rick Rubin, der seinerzeit Johnny Cash aus der Versenkung holte. Journalisten neigen halt zur Übertreibung, wenn´s der Story gut tut ...

Wahr ist auf jeden Fall, daß der Steuermann sehr sachte und unspektakulär mit dem Ballast von 40 Vorgängeralben und besonders mit Udos Panik-Frühgeschichte umgegangen ist und die Songs durchaus Substanz haben. Daß Lindenberg so zum Hype wird, ist dennoch ein Wunder und läßt sich nicht mit dem T.-Rex-Riff oder dem lässigem Helge-Schneider-Duett, sondern am ehesten mit der Überalterung der Gesellschaft und mit massiven Nachwuchsproblemen erklären. Für Lindenberg sollte es auf jeden Fall den udoquaten Lebenswandel auf Jahre hinaus sichern, denn "Stark wie zwei" stieg dann schon sehr erwartungsgemäß auf Platz 1 in die Charts ein. Übrigens: Weder "Votan", noch "Andrea Doria" oder eine seiner anderen Langspielplatten erreichten je die Spitzenposition in den Charts.

Ein echter Hit ist auf der neuen Platte auch noch zu finden - und der faßt das ganze Dilemma des zum ewigen Udo verdammten Sängers zusammen: "Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur viel zu selten dazu/Du machst hier gleich mit einem Bekanntschaft/Den ich genausowenig kenne wie du", heißt es in "Ganz anders", einem sehr groovigen, trotz vergleichsweise höherem Tempo sehr entspannten Stück Sound. Dazu hat der Song etwas, was die vielen anderen Duette in Udos langer Karriere nicht bieten konnten, nämlich die typische Nuschelnörgelei im Doppelpack. Lindenberg-Bewunderer und Ex-Absolute-Beginner-Kopf Jan Delay braucht sich dazu noch nicht mal zu verbiegen: Der Hamburger singt "in echt" schon wie ein Stimmverwandter. Oder, wie es Udo in einem Interview ausdrückte: "Wir haben die zugestopftesten Nasen der Republik." Dem ist nichts hinzuzufügen - außer, daß wir längst nicht mehr wissen wollen, wie anders der echte Udo Lindenberg wirklich klingt und wie es hinter der Fassade des alten Sackes aussieht.

Ein alter Sack ist auch Snoop Dogg. Um den Rapper mit der Hundeschnauze geht es dann im nächsten "Miststück".


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Udo Lindenberg - Stark wie zwei

(Photos © Tine Acke)

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Warner (D 2008)

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Kommentare_

Heiko Scholz - 14.04.2008 : 18.29
Diese Platte hat etwas was es in der Spontafixzeit nur noch sehr sehr selten gibt - Es gibt dort keinen Song für die Tonne, alle haben etwas pfiffiges an sich - Der Kauf hat sich gelohnt

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