Kolumnen_Miststück der Woche III/64

Volcano Choir: "Comrade"

Was für ein Jahr! Es wird Zeit, das ganze vermaledeite Ding hinter sich zu lassen und mit elegischen Melodien in die erdnahe Umlaufbahn zu schicken - findet Manfred Prescher.    16.12.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

So beginnen ganz oft journalistische Texte oder Filmchen, zumindest, wenn sie aus der Standardschublade stammen: "Für Herrn P aus N war das Jahr ein ziemlich hartes. So wie Herrn P geht es vielen Menschen in D und A." Es ist auch tatsächlich was dran, wir durchschreiten gerade so eine Art Jammertal, in dem es auf den ersten Blick recht karg zuzugehen scheint. Aber laßt euch nicht beirren, denn erstens lebt unter der Steppe tatsächlich noch der Strand, und zweitens ist das Erdendasein doch alles in allem recht lebens- und liebenswert. In diesem Zusammenhang fällt mir der alte Song vom noch älteren Carl Perkins ein: Du kannst mir alles wegnehmen - Kind und Kegel, Haus und Auto. Aber bitte latsch nicht auf meine blauen Wildlederschuhe. Warum ich das sage? Weil es davon eine neue, zeitlose Variante von Da Huwa, da Meier & I gibt? In dem die drei Bayern alles mit sich machen lassen würden - aber sie verbitten sich höflichst, daß die Liebste beim Abschied "ollaweil tschüß" sagt. Weil sich das in unseren Breiten nicht gehört.

Nein. Ich sage das, weil es immer etwas gibt, das für uns so wichtig ist, daß wir drumherum ein Leben zurechtbasteln.

Natürlich ist die Welt noch viel komplizierter. Da verliert man den Job, die Geduld, die Liebe und vielleicht sogar das Leben. Man könnte sich grämen und in einem Meer aus salzigen Selbstmitleidstränen ersäufen. Oder sich in einen Biersee stürzen, der größer als der Schliersee ist. Beziehungsweise nach dem Motto von David Allan Coe leben - je nach Gusto und regionaler Selbstreferenz: "Drink Canada dry before I die" sang der mittlerweile 74jährige Countryzausel vor einigen Jahren.

 

Nein, ich halte es da mehr mit der melancholischen Frohnatur des Indie-Zirkels, mit Bon Iver bzw. Justin Vernon, der viel zu edel ist, um sich über den Grammy zu freuen, den er 2012 als bester Newcomer zugesprochen bekam. "Ach, andere hätten das viel mehr verdient und bekommen vielleicht nie so einen Preis", sagte der begabte Multiinstrumentalist seinerzeit. Und verzog sich kurz ins künstlerische Jammertal zurück. Die Welt ist schlecht und ungerecht, man bekommt einen Preis und die Guten einen Scheiß. Sozusagen. Drastische Erlebnisse brauchen drastische Worte.

Andererseits ist Vernon/Iver, der Schwarm der coolen Trend-Girls, durchaus nicht schlecht. Vor allem, wenn er Gin in Wisconsin nuckelt und ebendort mit seinen Kumpels von Volcano Choir abhängt. Gut Ding hat dann plötzlich Weile, man verschwindet von der Bildfläche, überläßt Californication und seine Hypes den anderen. Man entschleunigt praktisch alles. Dort, hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen, entstanden in gut acht Jahren nämlich genau zwei CDs. Das ist auf den ersten Blick sehr wenig, aber bei genauerer Betrachtung eine ordentliche Leistung. Besonders die neue Langspielplatte "Repave" ist nämlich so liebevoll ausgefeilt, daß es eine Freude macht, in die komplexen Sounds einzutauchen. Die Welt wird einfach besser mit Tracks wie "Tiderays" oder "Comrade". Ein Freund, ein guter Freund ist das Beste, was es gibt auf der Welt, oder? Und irgendwie sind Vernon und Co. gute, weil verläßliche Freunde. Da können sie auch Bukowski sampeln - wie in "Alaskans" - und uns in sexuelle Abgründe blicken lassen. Freunde dürfen das, die nehmen kein Blatt vor den Mund. Nie und nimmer.

 

Die Welt ist oft ein kalter, grauer Ort. Und tatsächlich fordert sie den Menschen einiges ab - vor allem, wenn das Ozonloch im eigenen Hirnschwurbel dank äußerer Einflüsse größer und größer wird. Ja, der Alltag scheint uns aufzufressen, die Hamsterräder drehen sich vermeintlich immer schneller. Daher ist es trostreich, wenn Volcano Choir ihre himmlischen Stimmen erheben und Justin Vernon uns mit klarer Reinheit versichert, daß er an unserer Seite bleiben wird. Irgendwie wie ein Indie-Christus, wenn ihr versteht, was ich meine: Der Mann steht praktisch in voller ätherischer Pracht mit uns auf den acht Quadratmetern, die wir dem Leben im harten Kampf abgetrotzt haben. Ja, und plötzlich leuchtet all der Mist um uns herum in einem solch festlichen Glanz, daß Bukowskis "Mann mit der Ledertasche" ebendiese vor lauter freudiger Erregung glatt aus der Hand plumpsen müßte.

Die Welt ist ein Ort der Liebe, nur daß ihr´s wißt. Ich sage das nur einmal und bitte mir zu glauben. Drum geht zärtlich und einfühlsam miteinander um, verdammt nochmal! In diesem Sinne: Freut euch auf 2014, denn das Jahr wird es in sich haben. Viele bunte Smarties werden auf euch herunterpurzeln. Den Veganern unter euch sei gesagt, daß das Smarties-Tier nicht vom Aussterben bedroht ist und stets ganz rücksichtsvoll abgemurkst und mit Zuckerguß überzogen wird. Ansonsten regnet es rote Rosen, flattern Schmetterlinge in euren Bäuchen, und selbst das marodeste AKW bekommt einen rosa Anstrich - zumindest, wenn ihr schön artig Volcano Choir hört.

Nächste Woche schreibe ich dann über eine absolute Neuentdeckung, die ich dem "Zündfunk" auf Bayern 2 verdanke - über Mutual Benefit. Bis denne!

 



Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Volcano Choir: "Comrade"

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Enthalten auf der CD "Repave" (Jagjaguwar/Cargo Records)

 

(Photos: Volcano Choir: Cameron Wittig, Bon Iver: D.L. Anderson)

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