Stories_ Rokko´s Adventures im EVOLVER #62

Dimethyltryptamin - Schlüssel zum Multiversum?

Der amerikanische Psychiater Dr. Rick Strassman wollte mit dem Halluzinogen Dimethyltryptamin die psychedelische Forschung wiederbeleben und die menschliche Spiritualität ergründen. Dabei stieß er auf aufregende weiterführende Fragen. Ist die Droge für den Ein- und Austritt unserer Seele verantwortlich? Öffnet sie Portale zu anderen Dimensionen - und gibt es eine Verbindung zu Entführungen durch Außerirdische?    24.01.2014

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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In den sogenannten Grenzwissenschaften kursiert ein sowohl plattes als auch schlaues Erklärungskonstrukt. Immer, wenn man an die Grenzen des empirisch Beweisbaren stößt, wird auf Parallelwelten verwiesen, die durch das Instrumentarium der biologisch beschränkten menschlichen Wahrnehmung nicht oder nur verzerrt wahrgenommen werden können. Seit der erkenntnistheoretischen Revolution der Quantenphysik, die uns, je nach Modell, mit mindestens einer Handvoll zusätzlicher Dimensionen umgeben sieht, handelt es sich dabei um eine sogar wissenschaftlich haltbare, wenn auch (noch) nicht verifizierbare These.

Zu den Dimensionsdurchbrüchen kann die ganze Palette paranormaler Erscheinungen gezählt werden - also UFOs, Begegnungen mit Außerirdischen, Spukerscheinungen, Nahtoderlebnisse oder ähnliches. Es sind Bereiche, die etliche Überschneidungen zu religiösen und mythologischen Gebieten aufweisen; nicht zuletzt die strukturelle Ähnlichkeit vieler Visionen und Manifestationen läßt auf wiederkehrende archetypische Muster schließen.

 

Veränderte Bewußtseinszustände und westlicher Forschungsgeist

 

Um in diese Parallelwelten respektive zu außerordentlichen Wahrnehmungen zu gelangen, bedienten sich die Menschen wohl immer schon auch halluzinogener Drogen; die Beweiskette führt bis zu den Höhlenmalereien prähistorischer Zeiten. Vorrangig in schamanistisch organisierten Kulturen dienten und dienen diese als rituell kontextualisiertes Entheogen (Substanz, die das Göttliche - also spirituelles Erleben - zu evozieren in der Lage ist), als Eintrittskarte in eine unsichtbare und uns dennoch stets begleitende Nebenwelt. Der Schamane wird so zum Reiter und Vermittler zwischen den Welten. Das Wort Hexe leitet sich übrigens vom althochdeutschen hagazussa, dem Wort für Zaun, Hecke ab, was von vielen Völkerkundlern so interpretiert wird, daß die Hexe sich auf dem Zaun zwischen den Welten befindet. Die Rolle der Nachtschattengewächse bei diesem ihrem Ritt in die Geisterwelt ist hinlänglich bekannt. Die wohl größte kulturelle Rolle spielen halluzinogene Pflanzen im südamerikanischen Raum, was wohl mit der Üppigkeit und Vielfalt der Vegetation der Neuen Welt zu erklären ist.

Es war unter anderem dieser Bezug zur Hexerei, der zu einer bis in die Gegenwart anhaltenden Tabuisierung und Verdammung berauschter Zustände durch das Christentum geführt hat; eine Geisteshaltung, die auch in den kolonialisierten Gebieten in einer aktiven Unterdrückung psychedelischen Wissens und der dazugehörigen soziokulturellen Praktiken gipfelte. Dieses Wissen wurde dem westlich-mechanistischen Weltbild untergeordnet und existierte fortan in den Ursprungsländern im Untergrund und im Westen unter den Prämissen der distanziert-objektivierten Beobachtung als ethnographisches Spezialwissen weiter. Nur vereinzelt gaben sich wagemutige Forscher oder erfahrungshungrige Literaten psychedelischen Erfahrungen hin - wobei hier meist Opiate und Haschisch die Mittel der Wahl waren.

Mit dem beginnenden 20. Jahrhundert beschritt die Psychiatrie neue Pfade und entdeckte auch das Drogenexperiment als Mittel der Forschung. Am Beginn stand Kurt Beringers 1927 erschienene Monographie über Meskalin. Die Versuche hielten sich allerdings in Grenzen - einerseits, weil der Gebrauch von Meskalin von massiven Nebenwirkungen wie Erbrechen begleitet wurde; andererseits, weil gerade die durch Freuds Psychoanalyse geprägte negative Bewertung spiritueller und religiöser Zustände en vogue war. 1938 synthetisierte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann auf der Suche nach einem Mittel, das Gebärmutterblutungen stoppen sollte, aus dem Mutterkorn-Pilz Lysergsäurediethylamid. Zunächst maß er der Substanz keinerlei Bedeutung zu, bis er sie einer spontanen Intuition folgend fünf Jahre später im Selbstversuch testete und somit eine Vielzahl weltanschaulicher Revolutionen losbrach.

LSD, hochpotent und leicht herzustellen, wurde rasch zu einer Schlüsselsubstanz bei der Erforschung gehirnphysiologischer Prozesse. Auch war es ein willkommenes Psychotomimetikum, ein Mittel also, mit dem zu deren tieferem Verständnis Modellpsychosen hergestellt werden konnten. Die Droge hatte bald den Status eines Wundermittels, die Sandoz-Labors belieferten großzügig Hunderte von Forschern aus aller Herren Länder und sprachen sich sogar dafür aus, daß junge Psychiater zwecks Einfühlungsvermögen in psychotische Patienten LSD nehmen sollten. Psycholytische Therapieformen wurden entwickelt, angefangen bei extrem hohen Dosierungen, die bei psychisch Kranken eine Neustrukturierung der Persönlichkeit herbeiführen sollten, bis zum etwas sanfter dosierten Medikament Delysid, das eingesetzt wurde, um verdrängte Erlebnisse ins Bewußtsein zurückzubringen. Einer der berühmtesten Vertreter der LSD-Psychotherapie ist Stanislav Grof, der Mitbegründer der Transpersonalen Psychologie.

Auch die - ohnehin mit der medizinischen Forschung vernetzten - Geheimdienste hatten großes Interesse an der vielversprechenden Substanz. Im Rahmen von MK ULTRA wurden seine Anwendungsmöglichkeiten als Wahrheitsdroge, Gehirnwäschemittel und Gesellschaftslenkungsinstrument erforscht. Letzter Punkt ist bis heute Nährstoff verschwörungsaffiner Theorienbildung; es ist nicht eindeutig festzustellen, inwieweit Protagonisten wie Timothy Leary wirklich im Sinne der CIA handelten oder nur deren Vorstellungen (von Beginn an) subversiv unterliefen. Ein nicht unwesentlicher Motor bei der Mainstreamisierung von LSD waren sie auf jeden Fall. Und in dem Ausmaß, in dem die Droge mit der nach Freiheit und individualistischer Sinnsuche gierenden Hippiekultur die Straße eroberte, wucherten auch die Legenden von Horrortrip, Rauschsuizid und Chromosomenbruch. Die Hysterie führte zu einer medialen Kampagne, an deren Ende das 1970 verhängte LSD-Verbot stand, was auch das Aus für die akademische Erforschung psychedelischer Substanzen bedeutete.

Exakt 20 Jahre lang sollte es dauern, bis wieder in diese Richtung geforscht werden konnte. Nach einer extrem aufwendigen Bewilligungsprozedur eröffnete der amerikanische Psychiater Dr. Rick Strassman 1990 eine Testreihe mit Dimethyltryptamin.

 

Die Suche nach dem Bewußtseinsmolekül

 

Dimethyltryptamin, kurz DMT, ist das bislang einzige bekannte endogene, also vom Körper selbst produzierte Halluzinogen. Es durchschreitet problemlos die sonst so sensible Blut-Hirn-Schranke, wird - ähnlich wie Glucose - regelrecht als Gehirnnahrung behandelt. In geringer Konzentration dürfte es für die alltäglichen Gehirnprozesse unabdinglich sein, in höheren Dosen entfaltet es seine halluzinogene Wirkung.

Hergestellt wird das körpereigene DMT allem Anschein nach von der legendenumrankten Zirbeldrüse. Sie ist der einzige Teil des Gehirns, der nicht paarweise vorkommt, sondern mittig verborgen im Gehirn liegt. Schon im dritten Jahrhundert vor Christus wunderte sich der griechische Arzt Herophilus über das getreidekorngroße, kiefernzapfenförmige Organ. René Descartes dachte, die Zirbeldrüse sei der Ursprung aller Gedanken und Sitz der Seele. Das Symbol des ärztlichen und pharmazeutischen Standes zeigt zwei Schlangen, die sich um den geflügelten Stab des Hermes winden, was dahingehend interpretiert werden kann, daß der Stab und die Schlangen das Rückenmark und das sensorische Nervensystem darstellen, die zwei Flügel am oberen Ende die Seitenventrikel und der obere Knauf die Zirbeldrüse. Im Yoga entspricht sie dem zwischen den Augenbrauen gelegenen Ajna-Chakra und wird als "drittes Auge" bezeichnet. Auch in anderen mystischen Traditionen, zum Beispiel der Kabbala, wird der Zirbeldrüse eine wichtige Rolle zugeschrieben. Zum ersten Mal sichtbar wird die Zirbeldrüse 49 Tage nach der Empfängnis, ziemlich genau zu jenem Zeitpunkt, an dem auch das Geschlecht erkennbar wird. Das Tibetanische Totenbuch nennt genau dieselbe Tageszahl als Zeitspanne, bis die Seele eines Verstorbenen reinkarniert.

Die westliche Medizin behandelte die Zirbeldrüse die längste Zeit als rudimentäres Organ, heute aber weiß man, daß sie für den Schlaf-Wach-Rhythmus zuständig ist. Sie besitzt die höchste Konzentration an Serotonin im ganzen Körper und die entsprechenden Enzyme, um daraus die Tryptamine Melatonin und DMT herzustellen. Melatonin ist seit langem bekannt und seine Rolle beim Schlaf geklärt, doch jene von DMT nicht einmal ansatzweise.

Die Zirbeldrüse besteht nicht aus Hirngewebe und steht außerhalb der Blut-Hirn-Schranke, womit sie prinzipiell hochsensibel auf neuromodulatorische Substanzen reagieren sollte. Doch verfügt sie über einen elaborierten Schutzmechanismus, der etwa tagsüber das Blut von den die Melatoninproduktion anregenden Neurotransmittern Adrenalin und Noradrenalin säubert, respektive nur jenes Adrenalin und Noradrenalin durchläßt, das direkt bei der Zirbeldrüse entsteht und nicht jenes, das in der Nebennierenrinde produziert wird. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, daß die beiden von der Nebennierenrinde ausgeschütteten Neurotransmitter Streßhormone sind. Nebenbei produziert die Zirbeldrüse auch Beta-Carboline, die in der Lage sind, den Abbau von DMT durch körpereigene Monoaminooxidasen (MAO) zu verhindern. Kann es sein, daß in bestimmten Lebenslagen diese Mechanismen der Zirbeldrüse durcheinandergeraten und eine psychedelisch wirksame Menge DMT ausgeschüttet wird?

Bei streßverursachenden oder transzendentalen Ereignissen scheint, so eine der Vermutungen Strassmans, genau das zu passieren. Ist es DMT, das mit Einsetzen der Funktionsfähigkeit der Zirbeldrüse den Eintritt des Bewußtseins in den Fötus und umgekehrt beim Ableben Nahtoderlebnisse einleitet? Welche Rolle spielt es bei Meditation und anderen mystischen Zuständen? Wie sehr beeinflußt es die Spiritualität des Menschen? Strassmans Hypothese lautete, daß DMT spirituelles Erleben begünstigt, wenn nicht gar erst ermöglicht, ja, daß DMT gar das Molekül des Bewußtseins sei.

 

 

Zur Fortsetzung ...

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #11

(erschienen im Juli 2012)


Text: Daniel Krčál

Illustrationen: Karin Ziegelwanger

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