Stories_Steirer in der Unterwelt, Pt. III

Die Steine sind nicht, was sie scheinen

Ingrid und Heinrich Kusch erforschen seit 40 Jahren gemeinsam Höhlen und Geheimgänge. Für sie gibt es nicht nur zwischen Himmel und Erde mehr, als sich unsere Schulweisheit erträumen läßt - sondern auch darunter. Peter Hiess stieg mit ihnen hinab in die Tiefe.    16.12.2013

Das Höhlenforscher-Ehepaar Ingrid und Heinrich Kusch aus Graz erkundet seit einigen Jahrzehnten mysteriöse Gänge und Kammern, die auf die Existenz früherer Zivilisationen hinweisen - oder auf fremde und längst vergessene unterirdische Welten. Peter Hiess hat die beiden ins Erdinnere begleitet.

Lesen Sie hier, wie alles begann.

 

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Unsere Forschungen führten uns letztendlich in eine Welt, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, die aber dennoch - wenn auch nicht für jedermann sofort sichtbar - existiert. Wir lernten auch, daß die Dinge nicht immer so sind, wie sie für den Betrachter auf den ersten Blick zu sein scheinen, und daß die Wirklichkeit vieles, was wir zu wissen glaubten, in den Schatten stellen kann.

(aus dem Buch "Tore zur Unterwelt" von Heinrich und Ingrid Kusch)

 

Beim Mittagessen im Vorauer Gasthof Erzherzog-Johann-Höhe, dessen freundliche Wirtin Andrea für die Kuschs und ihre Forscherkollegen eigens ein phantastisches "Unterwelt-Gröstl" kreiert hat, geraten wir unweigerlich ins Spekulieren. Die Welt der Höhlen und Geheimgänge wird von ihren Fans nicht umsonst als der "siebente Kontinent" bezeichnet, über den wir noch sehr wenig wissen. Theorien gibt es allerdings zuhauf, seit Jules Verne seine Romanhelden zum Mittelpunkt der Erde reisen ließ. "Auf der ganzen Welt berichten Mythen, heute vor allem bei Naturvölkern, von Ländern unter der Erde, von geheimnisvollen Völkern und verschwundenen Reichen", erzählt Heinrich Kusch. "So existiert zum Beispiel die Legende von Agartha, einem Zentrum unter dem Himalayagebiet, von dem aus Gänge auf alle Kontinente führen sollen und wo angeblich der 'König der Welt' regiert. Diese Geschichte wird heute noch von tibetanischen Mönchen tradiert."

Unter der Erde muß die Freiheit wohl grenzenlos sein ... Nicht nur in Büchern, sondern auch in Internet-Foren werden Thesen über das Innenleben unseres Planeten eifrig diskutiert. Da gibt es etwa einen gewissen Douglas Dietrich, der als Bibliothekar im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums jahrelang streng geheime Dokumente in den Verbrennungsofen geworfen haben will. Und aus denen, so erzählt er, sei hervorgegangen, daß die Deutschen längst das subterrane "Unterland" besiedelt hätten, daß die Nazis nach dem verlorenen Krieg über eine große Öffnung in der Antarktis dorthin geflüchtet seien und daß sie aus der Tiefe auch ihre UFOs - oder vielmehr die Vril-Flugscheiben - ausschickten. Andere Quellen wiederum verbreiten das Gerücht, daß ein Höhlenforscher in Hallstatt vor wenigen Monaten bei der Begehung der vielen dortigen Stollen eine Gruppe reptilienartiger, zweibeiniger Wesen im Gespräch überrascht habe, aber die seien sogleich geflüchtet. Vielleicht waren es ja auch "die da unten", die all die dicken Mauern gebaut haben, um von uns nicht behelligt zu werden ...

Mit solchen Dingen halten sich die Kuschs aber nicht lange auf. Sie müssen vor den strengen Augen der Mainstream-Wissenschaft bestehen, wenn ihre Forschungsergebnisse ernstgenommen werden sollen. "Wir wollen die vorgefundenen Objekte und bearbeiteten Steine nach anerkannten Methoden datieren lassen, Untersuchungen mit Bodenradar durchführen und unsere Forschungsergebnisse nach objektiven Kriterien auswerten lassen - und das alles kostet leider viel Zeit und Geld", sagt Heinrich Kusch. "Wir sind davon überzeugt, daß zumindest einige der Gänge jahrtausendealt sind, auch wenn sie später immer wieder benützt und verändert wurden; daher finden sich auch jüngere Spuren darin. Als Forscher wollen wir aber nicht zuviel in unsere gesammelten Daten hineininterpretieren, sondern uns nur an Fakten halten. Deshalb überstürzen wir lieber nichts, sondern lassen unsere Entdeckungen derzeit wissenschaftlich bearbeiten. Und die Resultate werden brisant sein, soviel können wir heute schon verraten."

 

Die letzte Exkursion an diesem Sommertag führt uns auf den etwa 1100 Meter hohen Lüßwaldsattel. Der Abend dämmert bereits, im Wald wird es langsam finster. Hier sollen besonders viele Menhire und andere bearbeitete Steine liegen, sämtliche Hänge des Berges (der auf Luftaufnahmen übrigens verdächtig nach einer flachen Pyramide aussieht) sind damit übersät. Als wir uns dem Waldstück nähern, das uns das Ehepaar Kusch zeigen will, finden wir ein trauriges Bild vor: Nicht nur Höhlen und Erdställe werden bei jeder Gelegenheit zugemauert und verfüllt, auch die im Freien liegenden Steine sind permanent gefährdet, in diesem Fall durch einen Harvester, der dort oben gewütet hat. Die Erde ist von Fahrzeugspuren aufgewühlt, überall liegen kleinere Äste und Zweige, und ein Großteil der bearbeiteten Steine ist verschwunden, entweder zerschlagen oder vergraben - als sollte sie niemand mehr sehen.

Doch dazu gibt es im Umkreis der Bergrückens einfach zu viele Objekte, die wir im schwindenden Tageslicht fasziniert betrachten: große runde Steinblöcke (Ingrid Kusch: "Das sind entgegen der üblichen Meinung garantiert keine Mühlsteine; wer würde denn die so weit heroben aus dem Fels hauen, schön bearbeiten und dann erst ins Tal schleppen?"), dreieckige Steinblöcke mit eindeutigen Bearbeitungsspuren und manche Gebilde, die aussehen wie mit einem riesigen Messer perfekt geschnittene Steinsitze oder Säulenstümpfe. "Man ist versucht, dabei an uralte Tempelanlagen zu denken", sagt Heinrich Kusch - und weckt damit Assoziationen an Klassiker der phantastischen Literatur über versunkene Kontinente und hochentwickelte Zivilisationen, die viele Jahrtausende vor der unseren existierten, über ihre titanischen Gebäude und furchterregenden Gottheiten, die nicht tot sind, sondern nur schlafen ...

Und wir wissen: Die Wahrheit ist irgendwo da unten.

 

Doch jetzt war die Macht der Vernunft unwiderruflich erschüttert, denn dieser zyklopische Irrgarten quadratischer, gewölbter und abgewinkelter Felsblöcke besaß Merkmale, die jede tröstliche Selbsttäuschung ausschlossen. Vor uns erhob sich zweifellos jene blasphemische Stadt aus der Luftspiegelung, die zur nackten und unbestreitbaren Wirklichkeit geworden war. ... Als wir die verwitterten zyklopischen Blöcke mit den Händen berührten, spürten wir, daß wir eine beispiellose Verbindung zu vergessenen Zeitaltern geknüpft hatten, die unserer Spezies eigentlich verwehrt sind.

(aus der Horrorstory "Berge des Wahnsinns" von H. P. Lovecraft)

Peter Hiess & Heidelinde Moser

Steirer in der Unterwelt

ursprünglich erschienen in der Zeitschrift "2012"


Photos: Kurt Prinz

 

 

Erinnern Sie sich noch, daß vergangenes Jahr eigentlich die Welt hätte untergehen sollen?

Die österreichische Zeitschrift 2012 - Das vielleicht letzte Magazin der Welt begleitete ihre Leserschaft Monat für Monat auf dem Weg ins Verderben und versorgte sie journalistisch mit den wirklich wichtigen Themen im Leben.

Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) einige ausgewählte Beiträge aus dem Heft.

Links:

Ingrid und Heinrich Kusch - Tore zur Unterwelt


Stocker Verlag (2009)

Links:

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