Stories_Madness vs. Brian Setzer

Helden von gestern

Mit Cover-Versionen versuchen die Altstars erneut zur großen Sause zu blasen. Wie das gelingt, verrät der direkte Vergleich.    23.09.2005

Die englischen Ska-Popper Madness waren schon in Würden ergraut und gereift, als ihre wüste Zeit mit Hits wie "One Step Beyond", "The Prince" oder "Baggy Trousers" samt 2-Tone-Stampede gerade mal drei, vier Jahre zurücklag. Mit relativ geschmacksicherem Pop und Songs wie "Our House" oder "Tomorrow’s Just Another Day" konnten sie eine Zeit lang sogar in den USA punkten. Mit dem phänomenalen, aber leider völlig gefloppten "Michael Caine", einer dazugehörigen Platte voller Perlen ("Keep Moving") und einem faden, letzten Aufbäumen namens "Mad Not Mad" verließ das Septett schließlich die Bildfläche. Die schwarzen Anzüge hatten Suggs, Carl und der Rest der glorreichen Sieben schon vorher abgelegt.

Jetzt sind sie in der Originalbesetzung wieder da und irgendwie freute man sich auch auf Madness. Es hätte ja alles so weitergehen können wie anno dazumals im ersten Herbst ihrer Karriere. Radiotaugliche Hits der besseren Sorte, "Our House" halt, gespielt von gesetzten Kumpels. Aber auf The Dangermen Sessions laden sie erneut zur Party, tragen wieder die Anzüge – und vergeigen es völlig. Was auf der "Dangermen"-Tour noch cool und witzig wirkte, weil die Band live wirklich die alte Wucht rüberbrachte, ist auf CD ein Pop-Sampler, der leider nur mäßig nachgesungene Versionen bietet. Weichgespült, teilweise unnötig oder gar völlig verblödet: Wer braucht schon eine Reggae-Version von "Lola", noch dazu ohne das laszive Element eines Ray Davies? Zumal es schon in den 70er Jahren eine Aufnahme von John Holt gab? Genau diese Variante spielen Madness nun nach und hinterlassen einen faden Nachgeschmack. Für ihre Versionen des Supremes-Hits "You Keep Me Hanging On" oder für "Israelites" gilt das genauso. Einzige Lichtblicke im Kaufhaus-Sound sind die Einspielungen der Studio-One-Rocksteady-Klassiker "Taller Than You Are", vom ohnehin gottgleichen Lord Tanamos geschrieben, und die Single "Shame And Scandal". Den Song haben zwar schon viele Jamaikaner aufgenommen, aber Madness bringen ihn mit Schwung zurück ins Gedächtnis. Sie zeigen nebenbei, daß sie es immer noch können, wenn der Schleier der Orientierungslosigkeit fällt oder der Zwang, die Renten aufzubessern, mal keine Rolle spielt.

 

Mitte der Achtziger Jahre hätten Madness den Coolness-Preis gegen Brian Setzer jedenfalls gewonnen. Setzer hatte als Teenager mit den Kumpanen Slim Jim und Lee Rocker das Trio Stray Cats gegründet und eine wirklich gute Debütplatte veröffentlicht. Mit "Ubangi Stomp", "Fishnet Stockings" oder "Rumble In Brighton" und mit jeder Menge Jerry Lee Lewis oder Big Jay Mac Neely drin. Doch schon mit dem zweiten Album überwog das Gefühl, drei ewig Gestrigen zu lauschen. Im Jahr 2005 wirkt Setzer mit Rockabilly Riot Vol. 1 jedoch viel authentischer und damit auch cooler als die Madness-Boys. Das liegt an der Sturheit des Musikers aus Masssapequa, Long Island. Setzer hat in den 25 Jahren, die seine Karriere nun schon dauert, nie etwas anderes gemacht, als Rock’n’Roll und Rockabilly. Auch sein kurzer, zeitweise erfolgreicher Ausflug in die Welt der Swingcats war nichts anderes als Rockabilly, bloß halt mit Big Band zur Gretsch-Gitarre. Und nun besinnt er sich auf die Wurzeln. Das hat was und wirkt - im Gegensatz zu den "Dangermen Sessions" - nicht beliebig. Man glaubt Setzer, daß er seine Lieblinssongs aus dem Fundus von Sun Records herausgekramt hat, denn er spielt sie mit Drive und Leidenschaft. Auf seiner Website fragt er "What’s a summer without sun?" und hat Recht. Die Sachen sind auch nach 50 Jahren noch klasse. Man könnte jetzt natürlich hergehen und die Raritäten aus dem Sam-Phillips-Schrein suchen, aber das Finden von Originalen, etwa von Gene Simmons’ "A Peroxide Blonde In A Hopped Up Model Ford" oder "Flatfood Sam" von Tommy Blake, ist wirklich schwierig. Für den Anfang tut es auf jeden Fall auch Setzers "Rockabilly Riot". Die CD bietet 23 heiße Teile aus der Schmiede, die Elvis, Johnny Cash, Roy Orbison, Jerry Lee Lewis und viele andere hervorbrachte. Neben ultrararem Sun-Stoff wie "Stairway To Nowhere" von Ernie Barton stehen auch einige Hits des Labels auf dem Programm, so Charlie Richs "Lonely Weekends", Johnny Cashs "Get Rhythm" oder Carl Perkins’ "Blue Suede Shoes". Und alles paßt zusammen, ist stilsicher, kompetent und wirklich prima gespielt. Setzer gewinnt das Duell der alten Helden somit gleich wolkenkratzerhoch!


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Brian Setzer - Rockabilly Riot Vol. 1: A Tribute To Sun Records

ØØØØ 1/2


Sony BMG (USA 2005)

 

 

Links:

Madness - The Dangermen Sessions

Ø 1/2


V2/edel (GB 2005)

 

Links:

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