Stories_Porträt Lee Hazlewood

Der heimliche Superstar

Er ist einer der großen Schattenmänner des Pop-Geschäfts, der stets rechtzeitig in die Einöde abbog, bevor es auf die Glamour-Allee ging. Eine Würdigung von Manfred Prescher.    10.01.2007

Allerorten liest man derzeit über Lee Hazlewoods neue Platte "Cake Or Death". Das Werk wird hymnisch besprochen - es ist fast so, als sei der Messias nach langer Zeit religiöser Entbehrung zu den nach Heilslehre dürstenden Massen zurückgekehrt.

Die Mehrzahl der Zeitgenossen wird Lee freilich auch dieses Mal ignorieren, so, wie sie es meist in den vergangenen vier Jahrzehnten getan hat. Warum Hazlewood von Kultur- und Musikpresse gerade jetzt gefeiert wird, ist schwer zu sagen. An der Qualität der neuen Platte liegt es nicht. Die ist zwar wirklich recht ordentlich, nimmt aber im Gesamtwerk des sperrigen Künstlers nur einen Platz im oberen Mittelfeld ein. Der Vorgänger "Nancy & Lee 3" war um einiges besser, wurde aber kaum rezensiert, was auch daran lag, daß die CD in Deutschland nicht offiziell angeboten wurde.

Nun ist Hazlewood beim eigentlich auf Hip-TripHop spezialisierten Fanta-Four-Label Four Music untergekommen und wird über Sony/BMG vertrieben. Verdient hat er das allemal, weil ein mediokres Werk aus seiner Feder immer noch besser ist als fast alles, was sonst so von den Preßwerken an Geschmacklosigkeiten unters Volk gebracht wird. Außerdem ist es die letzte Platte, für deren Entstehung er zu Lebzeiten ein Studio aufgesucht hat. Danach wird er mit Cash, Jennings und anderen Querköpfen im Himmel "These Clouds Are Made For Floating" singen.

 
Todestage und Kuchentage

 

Genau das ist die Story, an der sich alle ergötzen und von der sich die Plattenfirma zusätzliche Erlöse verspricht: Der Künstler siecht dahin, sein Kampf gegen den Krebs befindet sich in der Nachspielzeit - und er wird ihn verlieren. Es ist der tragische Tribut für seinen heftigen Lebenswandel; aber Lee hat gerade noch einmal genug Zeit und Kraft, eine allerallerletzte Platte aufzunehmen. Das ist fast wie bei Cashs letzten "American Recordings" - nur daß Hazlewood genug Scherzkeks ist, den Rummel um die letzten Songs selber zu inszenieren und dazu keinen Rick Rubin braucht.

Es gibt Tage, an denen kann er sich am Pflanzendickicht im Blätterwald erfreuen, das sind dann die "Cakedays". Hazlewood unterscheidet die Tage nur noch in die schönen, die Kuchentage, und in die, an denen sich der Nierentumor besonders stark bemerkbar macht, also in die Tage des Todes. Dementsprechend ist der von seinem Lieblings-Standup-Comedian Eddie Izzard stammende Ausspruch auch zu deuten, der zum Albumtitel wurde. Im Zweifelsfalle sind ihm Törtchen und Gebäck immer noch lieber ...

 
Nancy & Lee

 

Allerdings hat Lee sich oft genug auch gegen das üppige Kuchentablett des Erfolgs entschieden. So wollte er in den späten 60er Jahren nicht auf Duette mit Nancy Sinatra festgelegt werden und flüchtete aus dem Umfeld des US-Popzirkus, so weit es ging. Er lebte unter anderem in Schweden und Deutschland, versuchte sich an Jazz und Rock, nahm für Winz-Labels auf - tauchte also mehr oder weniger unter. Finanziell lukrativer wäre eine längerfristige Zusammenarbeit mit Franks schönem Töchterlein allemal gewesen.

Dabei galten beide in den frühen 60er Jahren als untalentiert, und Nancy stand deutlich im mächtigen Schatten ihres Dads. Der mochte Lee seinerseits überhaupt nicht, nahm aber doch dessen "Something Stupid" auf. Lee erzählt in einem Interview in der "Welt" vom ersten Kontakt mit dem Jahrhundertsänger: "Ich erlebte ihn als Daddy, als den Vater seiner Tochter, als den Mann seiner Frau. Ich erlebte ihn privat. Er wußte, daß er zu Hause kein Star war. Da fiel mir erst auf, daß der Mann in der Öffentlichkeit eine ganz andere Rolle spielte. Ich beschloß: So wollte ich nicht werden."

Dennoch schrieb er eine ganze Reihe von Songs für Nancy und sorgte so dafür, daß sie eine Zeitlang mehr Platten verkaufte als ihr erfolgsverwöhnter Dad. Neben "These Boots Are Made For Walking" entstanden einige Lieder für die Ewigkeit aus der vorübergehenden Liaison mit Frau Sinatra: "Some Velvet Morning", "Lady Bird", "Did You Ever", "Sand" (das Lied über den richtigen Mann bei der falschen Frau), oder auch "In Our Time" von Nancys "Boots"-LP. Als Produzent sorgte er für einen vollen, selbst in tragischen Momenten schwelgerischen Sound, der eine deutliche Nähe zu Leiber & Stoller und besonders zu Phil Spector aufweist. Aus deren weiterem Umfeld entwickelte sich die kreative Kraft des Barton Hazlewood.

 
Der letzte Tanz

 

Kaum jemand hat für Abschiede und das Ende von Liebesbeziehungen so schöne Melodien und Worte gefunden oder die im Zweifelsfalle auch bittere Magie zwischen zwei Menschen besser beschrieben. "My eyes grew heavy and my lips they could not speak/I tried to get up but I couldn´t find my feet/ She reassured me with an unfamiliar line/And then she gave to me more summer wine" heißt es im phänomenalen "Summer Wine".

Besonders wirksam sind Melancholie, weltverlorene Traurigkeit, aber auch Schwärmerei im Verein mit Nancy. Die greift das Thema auf, repetiert es, verändert dabei die Sichtweise. Nancy und Lee sind wie Emma und Steed: gemeinsam unschlagbar. Daß die Dynamik des großen Duos auch heute noch funktioniert, zeigt das späte Duett "Save The Last Dance For Me". Die Version des Drifters-Gassenhauers stammt vom Album "Nancy & Lee 3" und nimmt das (Lebens-)Ende stimmungsmäßig vorweg: "Save the last dance for Lee" singt Hazlewood mit seiner tiefen Brummstimme und Nancy antwortet "O.k., Lee!". Mehr muß man nicht dazu sagen, das ist so schön romantisch, daß es einem Tränen in die Augen treibt.

Sein Verhältnis zu Nancy Sinatra faßt Hazlewood in verschiedenen Interviews so zusammen: "Nancy ruft mich ab und zu an, um zu schauen, ob ich schon tot bin." Genau dieser oft schwarze Humor verbindet dieses absolute Traumpaar des Pop. Man kann sich vorstellen, daß sie ihm diesen letzten Tanz gewährt.

 
Was bleibt ...

 

Seine Songs werden ihn überdauern, was wahrscheinlich kein Kunststück mehr sein dürfte, aber auch der Einfluß auf andere Künstler wird weiter zu hören und zu spüren sein. Seit den frühen 80er Jahren besinnt man sich auf ihn. Die Neubauten nahmen sein "Sand" auf; Nick Cave, der zu Lees Freunden gehört, bannte zwar damals "Boots" auf Platte, klang aber erst in der späten Moll-Ära wie der Sohn des Mannes aus Oklahoma. Ein weiterer Kumpel ist Elton John, der angibt, unmittelbar von Hazlewood beeinflußt zu sein. Die Kreise, die der Songwriter zieht, gehen allerdings über Coverversionen von "Summer Wine" oder "Some Velvet Morning" hinaus, reichen von Bands wie Wilco oder Supersuckers und Künstler wie Bonnie "Prince" Billy oder Ryan Adams bis zu R.E.M. und Morrissey, einem weiteren Verehrer von Lees Songs. Also wird er den Kampf gegen den Schnitter am Ende ja doch gewinnen.

Trotzdem: Ein paar Kuchentage seien ihm noch vergönnt.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Lee Hazlewood - Cake Or Death


Sony BMG (D 2006)

 

Bilder: Four Music

 

Links:

Kein Kuchen mehr für Lee

(Update 8/2007)


Zuerst Michelangelo Antonioni und Ingmar Bergman - jetzt der große Lee Hazlewood. Am 4. August 2007 hat der Mann mit der unvergeßlichen Gänsehautstimme das Zeitliche gesegnet. 

Links:

Kommentare_

Sarah Schroer - 23.06.2007 : 13.45
Lee Hazelwood ist ein herausragender Sänger.Seine Stimme hat Wiedererkennungswert,freue mich ,dass Ville Valo Summerwine aufgenommen hat.Stimmlich besteht eine große Ähnlichkeit. Sarah schroer
Anonymus - 06.08.2007 : 16.17
Letzte Grüsse - Du hast alles richtig gemacht.

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.