Editorial_25. 6. 2009/Das Wort zum Donnerstag

Blanke Schande

Die gute Nachricht: Ab sofort werden Männer in kurzen Hosen exkommuniziert. Die schlechte Nachricht: Es ist leider nicht wahr. Der Körper-Irrsinn geht ungehindert weiter - und Pater Michael Hass macht sich seine geistlichen Gedanken dazu.    02.07.2009

Auch einem Mann Gottes begegnen im Lauf seines Lebens und seiner geweihten Laufbahn naturgemäß eine Menge Beladene, Arme im Geiste (die ja bekanntlich selig sind) und solche, deren Verstand in anderen, sehr weit entfernten Gefilden unterwegs ist. Wäre ich hier privat, so würde ich sie "gefährliche Irre und haltlose Psychopathen" nennen, aber sowas werden Sie von mir nie hören. Jedenfalls: All diese Problemfälle treiben sich dank offener Psychiatrie und offener Handynetze ungehindert auf der Straße herum, und wenn es Sommer ist, sind sie nackt. Oder so gut wie.

Ja, wieder einmal ist die Zeit gekommen, da die Menschen ihre Kleidung abwerfen und sich so präsentieren, wie der Herr sie garantiert nie schaffen wollte. In abscheulicher Tradition - wir erinnern uns, wer sich einst der Minirock- und Hotpants-Mode am intensivsten widmete - werden abgründige Dekolletés, bauchfreie Katastrophenlandschaften und orangenhäutige Beine dargeboten, die das leidgeprüfte Auge des Betrachters in den endgültigen Ruhestand schicken wollen. Kurz und gut (und trotz aller religiösen Differenzen): Man kann nicht umhin, andere Kulturen zu schätzen, in denen ein strenges Verschleierungsgebot herrscht. Das hilft nämlich allen.

Weil die moderne Welt sich aber nicht helfen lassen, sondern lieber immer weiter in die unergründlichen Dimensionen des Elends vordringen will, wird die unverlangt dargebotene Nacktheit auch noch kosmetischen Mutationen unterworfen. Das ist nichts Neues; schon vor Jahrzehnten ließen sich die Reichen, Schönen und Hollywood-Schaufensterpuppen schönheitsoperieren, um schiefe Nasen, Doppelkinne und das eine oder andere Rinnaug´ zu beseitigen. Neu ist, daß sich heute jeder diesen Unfug leisten kann, selbst Langzeitsarbeitslose und Sozialhilfempfänger, die das seit den 68er-Nachwehen ausgerufene Bewußtsein für den eigenen "Köaapa" nun mit preisgünstiger chirurgischer Unterstützung ausleben dürfen.

Da flatterte vor einigen Tagen beispielsweise eine Schrift durch den Briefschlitz meiner Pfarre, auf deren Umschlag sich ein höchst befremdliches Institut als "Ihre Zahnklinik und Plastische Chirurgie Partner in Ungarn!" anpries - so von einem funktionellen Analphabeten zum anderen halt, wie das mittlerweile üblich ist.

Was hier geboten wird, ist wahrlich atemberaubend, allein deshalb, weil es einem gleich alles mögliche die Speise- und Luftröhre hinauftreibt. Nebem dem seit Jahren verbreiteten Zahnirrsinn, über den ich mich an dieser Stelle nicht näher auslassen will (was soll man schon zu Menschen sagen, deren offensichtliche Kunstgebisse einen anstrahlen wie Nebelscheinwerfer?), heißen die freundlichen Nachbarn aus dem ehemaligen Ostblock ihre prospektive Kundschaft nun nämlich auch "im Reich der Schönheit" willkommen. Die hauseigenen plastische Chirurgen des Instituts werfen kunstvoll ihr Opärationsbästäck an, um deprimierte Ostösterreicher endlich wieder attraktiv und selbstsicher zu machen. Und zwar nicht nur Frauen, sondern auch die Herren, die "härzlichst" erwartet werden (ja, so steht das wirklich drin), um sich künftig das "Privileg der Schönheit" zunutze machen zu können.

Na, Grüßgott! wie unser lieber Mesner sagen würde. Und würde er dann auch noch die "Plastisch-Chirugischen Preise" und die Angebotsliste in der Broschüre studieren, dann bekäme er wahrscheinlich rote Ohren - vor Scham oder vor Aufregung, wir wissen es nicht. Aber das macht nichts, weil ihm die freundliche Beauty & Dental Klinik für diesen Fall gleich eine Ohrenkorrektur, einseitig oder zweiseitig, gegen Aufpreis wohl noch mit Entfärbung, anbieten könnte. Und dann geht´s erst richtig los: Wer nie reich werden kann, aber wegen der in ihm tobenden Todsünde der Hochmut dennoch schön werden muß, der leistet sich Brustvergrößerung, Gesichtsstraffung, Nasenplastik, etwaige Botox-Behandlungen und für alle Fälle noch eine der derzeit so beliebten Lippenvergrößerungen – obwohl man sich beim Anblick trauriger Fälle wie der ehemaligen Kinoschönheit Melanie Griffith oder der heimischen Kabarettistin Schmolly Didinger doch lieber fragen sollte, ob man wirklich daherkommen will wie ein Opfer häuslicher Gewalt oder eine alternde Urlauberin, die versehentlich ein Schlauchboot verschluckt hat.

Wie Katechismuskundige ganz genau wissen, ist nicht nur die Eitelkeit eine schwere Sünde, sondern auch die Wollust. Genau an dieser Stelle setzt das erweiterte Programm der ungarischen Zahn- und Körperverstümmler an: Männer, die sich dem fleischlichen Laster überzeugender hingeben wollen, können nahe der österreichischen Grenze nämlich alle Grenzen des guten Geschmacks überschreiten - und das Fett, das sie sich für viel Geld aus der eigenen Bierwampe absaugen ließen, schon wenige Minuten später zwecks Penisvergrößerung andernorts eingespritzt bekommen.

Nein, ich will nicht wissen, wie das aussieht, vielen Dank; es gibt Dinge, die mich dem Herrn mehrmals täglich für Zölibat und Keuschheitsgelübde danken lassen. Ich frage mich nur, warum sich der gemeine Mensch nicht für die paar Jahrzehnte seines irdischen Daseins mit dem Körper zufriedengibt, den die Natur ihm schenkt, und sich stattdessen um Wichtigeres kümmert, sei es nun das Gebet oder die große Revolution (wobei ich natürlich zu ersterem rate). Irgendwann werden nämlich auch die Operierten vor dem Himmelstor stehen und um Einlaß bitten - und dann werden Petrus und die Erzengel lauthals über all die Silikon- und Eigenfettinjektions-Opfer lachen, bevor sie sie in die Hölle schicken. Oder nach Ungarn, zur Weiterbehandlung.

 

PS der EVOLVER-Redaktion: Pater Michael Hass wird am 16. Juli live aus seinen Predigten vortragen und sich dabei von wunderbaren Tastenklängen seines Ordinarius und Musikmeisters Roland Guggenbichler begleiten lassen.

Ort: Pathologisch-anatomisches Bundesmuseum in Wien; Beginnzeit: 19 Uhr; Eintritt: € 6,-

Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Narrenturm-Sommerprogramms Tower of Power 2009, wo Sie auch Eintrittskarten reservieren können.

Gehen Sie hin, auf daß der Zorn Gottes nicht über Sie komme!

Pater Michael Hass

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