Kino_Die zweigeteilte Frau

Bourgeoisie im Zwiespalt

Alles wie gehabt im Hause Claude Chabrol: Der französische Meisterregisseur erzählt auch in seinem neuen Film von Liebesverirrungen inmitten der Scheinheiligkeit der gutbürgerlichen Gesellschaft.    14.01.2008

Das Überleben in der Gesellschaft ist nicht einfach, vor allem angesichts ihres heuchlerischen Charakters. Besonders schlimm ist es in einem bourgeoisen Milieu, in dem Emotionen eigentlich fehl am Platz sind. In solch einer Umgebung überlebt nur, wer keine Skrupel oder viel Geld besitzt. Wer damit nicht aufwarten kann, ist meist verloren - oder zumindest zweigeteilt.

In Claude Chabrols "La fille coupée en deux" ist die zweigeteilte Frau Gabrielle Deneige, gespielt von Ludivine Sagnier. Die junge Frau steht am Anfang ihrer Karriere. Sie arbeitet als Wetterfee im Fernsehen und lernt auf diesem Wege den berühmten Schriftsteller Charles Saint-Denis (François Berléand) kennen. Während zwischen dem fast pensionsreifen, aber faszinierenden Mann und der zauberhaften Gabrielle eine interessante Beziehung entfacht, tritt ein anderer Mann auf die Bildfläche: der schwerreiche Paul Gaudens (Benoît Magimel), Erbe eines genialen Chemikers und Industriellen. Dieser ist in seiner Verführungskunst weniger subtil als der ebenso feinsinnige wie erfahrene Charles und stellt Gabrielle mit unaufhörlichen Liebesbekenntnissen nach. Trotz seiner aufdringlichen Art findet die junge Frau aber auch an dem dekadenten Muttersöhnchen Gefallen und sich selbst schnell zwischen zwei Männern wieder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ihr Herz gehört aber letztlich dem charmanten Charles, der sie zu verführen weiß und Gabrielle mit seinen sexuellen Erfahrungen in den Bann zieht. Doch das Glück währt nicht lange, ist Gabrielle für Charles doch nur eine von vielen - und so verschwindet er einfach, als er genug hat. Die am Boden zerstörte Gabrielle wendet sich nun aus Verzweiflung Paul zu und willigt sogar in eine Ehe ein: eine Entscheidung mit schweren Folgen, die die Figuren emotional noch tiefer verstrickt.

 

Wie immer zeigt Chabrol Kunstfertigkeit, wenn es um die tiefen psychologischen Abgründe seiner Figuren geht. Nicht nur die Dreiecksbeziehung von Gabrielle, Paul und Charles, sondern auch die Nebenrollen (wie Pauls Mutter oder Charles´ Frau) sind in einem Strudel aus Selbstzerstörung und -verleumdung gefangen. Zwischen der nach außen getragenen Maske und den wahren Gefühlen eines jeden liegt eine riesige unüberwindbare Kluft. In solch einer Welt aus Scheinheiligkeit und versteckter Wahrheit kann ein Mädchen wie Gabrielle kaum überleben. Sie ist zu Beginn zwar die einzig wirkliche ehrliche Person im Film, kann sich später aber aus dieser verworrenen Gesellschaft nicht mehr befreien.

Chabrol setzt die Welt voller Glanz und Glamour, der sowohl der berühmte Charles als auch der reiche Paul angehören, gekonnt der kaputten und krankhaften Gefühlswelt der Figuren entgegen. Mittendrin steht die schöne Gabrielle im Zwiespalt zwischen dem gefühlskalten Mann, den sie liebt, und dem gewalttätigen und leidenschaftlichen Paul. Daß aus dieser Situation am Ende nichts Gutes werden kann, läßt sich leicht erraten. Die Figuren fallen unaufhörlich tiefer und tiefer, in gesellschaftlicher wie emotionaler Hinsicht. Ob aber nun zumindest Gabrielle diesem Wahnsinn am Ende als geläuterte Seele entsteigt, bleibt eine offene Frage.

Chabrol begnügt sich nämlich damit, Fragen zu stellen und überläßt die Antworten lieber dem Publikum. Daß er die Unaufrichtigkeit der bourgeoisen Gesellschaft verachtet, weiß man schon aus seinen früheren Filmen. Hier erinnert er noch einmal daran, welche Ambivalenz in den Menschen steckt und wo sie hinführen kann. Ganz überzeugend ist er dabei nicht immer. Oft agieren die Figuren unpassend. Gabrielle ist trotz der unhaltbaren Handlungen ihrer beiden Männer immer versöhnlich gestimmt - nur daß Charles sie verläßt, kann sie nicht verzeihen. Daher flüchtet sie sich zu Paul, einem verwöhnten, brutalen Typen, der glaubt, alles haben zu können. Ob eine Frau wirklich so handeln würde, bleibt fraglich. Auch Gabrielles Mutter ist eine Figur, deren Sinn für die Geschichte nicht ganz eindeutig ist. Sie ist wohl die einzige, die sich nicht in den Wahn aus Heuchelei und Lüge hineinziehen läßt. Trotzdem versucht sie nicht, ihre Tochter aus deren verzweifelter Lage zu befreien. Daß Ludivine Sagnier, Benoît Magimel und François Berléand die Doppeldeutigkeit ihrer Figuren derart wunderbar widerspiegeln, macht Chabrols neuen Streifen aber trotz seiner kleinen Fehler und Ungereimtheiten zu einem Paradebeispiel für gelungenes französisches Kino.

Christa Minkin

Die zweigeteilte Frau

ØØØ 1/2

(La fille coupée en deux)

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F/D 2007

115 Min.

Regie: Claude Chabrol

Darsteller: Ludivine Sagnier, François Berléand, Benoît Magimel u. a.

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