Kolumnen_Miststück der Woche - V/025: Million Dollar Baby

Ada Rook: "Someday (Dear ______) - World Doesn´t Come Apart"

Lärm oder Wohlklang? Eigentlich geht beides ganz ordentlich zusammen, findet Manfred Prescher. Schließlich ist die Welt seit jeher aus Widersprüchen gebaut. Musikalischer Wechselstrom kann die irdische Quintessenz auch gut bündeln, wie Ada Rook zeigt. Manfred Prescher berichtet über musikalische und andere Spannungsfelder.    08.07.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.


Das kleine Schwarze für die gediegene Party oder doch die schwarze Kluft für die Nacht in der Gruftdisko? Bei Ada Rook aus Toronto ist beides möglich - und das, wenn ihr danach ist, auch am selben Abend. Sie mag sich da nicht festlegen, weil Festlegungen zwar unter Umständen ein Zeichen von Charakterstärke und Geschmackssicherheit sind, aber allzuoft  auch in betonierte Lebensrealitäten und im Gefangensein in einem unumstößlichen Regelwerk münden. Die Frauen von Stepford könnten ein Lied davon singen, wenn sie noch in der Lage dazu wären. Nein, Ada Rook legt sich nicht fest, auch musikalisch nicht. Oft ist ja die Welt innerhalb weniger Augenblicke ganz anders. Das weiß auch der bayerische Nachrichtensender B5 aktuell, der lange Jahre damit warb, daß sich in nur fünf Minuten die Welt komplett verändern kann.

 

Weil auch in einem kurzen oder mittellangen Song fast alles möglich ist, mag es Ada Rook nicht, wenn man ihre Musik als "Noise Pop" bezeichnet, also ihre Möglichkeiten begrenzen und sie als Künstlerin samt ihrer Kunst in eine Schublade stopfen will. Aber irgendeine Art des Sortierens und Wegräumens braucht der moderne Mensch doch, oder? Er kann schließlich nicht verkaufen, was sich nicht greifen läßt. Was man nicht zuordnen kann, das landet im Keller, also dort, wo das Undefinierbare vor sich hingammelt. Anders ausgedrückt: Black Dresses - so der Name von Adas erstem, vor kurzem erst dahingeschiedenen Projekt, ist ein vager Begriff. Schwarze Klamotten? Wo würde frau denn in der "Buutikke" (Loriot) danach suchen? Aber das Dilemma hatten wir schon, siehe oben.

Das Dilemma ist damit gut umrissen - und wer beim Sound klare Zuordnung zu irgendeinem Genre will, wird sich zwangsläufig auch mit Rooks Soloalbum "2,020 Knives" schwertun: In jedem einzelnen Track stecken nämlich so viele verschiedene Bezüge, Richtungs- und Tempowechsel, daß man nicht einfach so auf dem Klangteppich schweben kann wie weiland der Großwesir von Absurdistan beim legendären "Magic Carpet Ride". Wie in vielen Hitchcock-Filmen passieren plötzlich auch hier unerwartete Dinge, schließlich ist Ada Rook ebenfalls eine "Master Of Suspense".

Kurzer Exkurs: Der große Regisseur arbeitete ganz oft - man höre nur den Soundtrack von "Psycho" - mit pointiert eingesetzter Musik. Um seine Vorstellung so exakt wie möglich umzusetzen, sagte er den Komponisten, was genau er wo hören wollte. Oder er schrieb die Sound-Elemente gleich selbst. Bei den "Vögeln" machte er das so gut, daß man noch Jahre nach dem Kinobesuch die schrillen Sound-Sequenzen im Ohr hat. Dabei kommt der Film völlig ohne Musik aus, womit ich dann doch wieder zurück bei Ada Rook wäre.

Die Kanadierin baut auch Stille in ihre Tracks ein, das ist wie die Ruhe vor dem sprichwörtlichen Sturm. In meinem Lieblingslied, dem mehr als sechs Minuten langen "Someday (Dear ______) – World Doesn´t Come Apart", wechselt sie die Stimmungen so, als ob ihr mittendrin jemand - höchstwahrscheinlich der namenlose Platzhalter im Titel - zwischendrin die Laune gründlich verhagelt hätte. Dieser uns unbekannte Mensch, wer mag das sein? Theoretisch könntest du es sein. Oder auch ich. Auf jeden Fall war dieser Zeitgenosse mal wichtig. Als Partner oder Partnerin womöglich?

Das Ende von Beziehungen ist oft austauschbar. Man changiert zwischen Wut, Trauer, Verzweiflung, Sehnsucht, Reue und anderen Emotionen hin und her, wechselt vom "Ich" – "Ich Arsch, warum habe ich ihr das angetan?" ins "Du" – "Die blöde Kuh, warum hat sie mir das angetan?" – und nach dem Wechselstromprinzip mehrmals wieder zurück. Wenn man das schon öfter und mit wechselnden Sidekicks erlebt hat, kann man Gedichte oder Songs von erschütternder Austauschbarkeit schreiben. Was dann aber weniger an den Verflossenen als an der Wiederholung der eigenen Stereotypen liegt. Deshalb kann man den jeweiligen Heinz, die jeweilige Helga, die spezifische Maxine, den spezifischen Moritz und natürlich auch die Ilse und den Werner undsoweiter durch einen Platzhalter - hier einen langen Unterstrich - ersetzen. Das wird ihrem persönlichen Anteil an der Beziehung und deren Ende zwar nicht gerecht, aber man spart es sich, jedes Mal gleich zum Stift zu greifen oder in die Tastatur zu hämmern. Die Welt hat schließlich – von "So Long Marianne" (Lenny Cohen) über "Hit The Road Jack" (Ray Charles) bis zu "Piss Up A Rope" (Ween) und zu "I´m Not Yours" (Angus & Julia Stone) schon genug gute Lieder über Trennungen zu hören bekommen. 

 

 

 

Ada Rook fügt dem Thema aber doch einen weiteren, fast schon finalen Song dazu. Den könnte man immer wieder verwenden - was ein gelungenes Schlußmachlied auch ohne Platzhalter für den Namen des/der demnächst Verflossenen seit jeher auszeichnet. Sie beschreibt das Ende mit Schmerz, Schrecken und mit der Sicherheit, daß die Welt nach der Trennung weder unter "noch nauf" (Fredl Fesl) geht: "World Doesn´t Come Apart". Bis sie jedoch zu dieser tröstenden Gewißheit kommt, nimmt sie uns mit auf eine Klangreise voller Zerrissenheit. Der Track besteht daher aus drei Teilen: Er beginnt mit Elektropop im Stil der 1980er, man hört Vince Clarkes Depeche Mode oder von mir aus auch Robyn, Visage und Human League heraus. In der Mitte bricht sich dann ein Orkan aus wütendem Geschrei brachial Bahn in unsere Gehörgänge - und das erinnert an Ministry und noch mehr an Gwar oder frühe Einstürzende Neubauten. Zum Schluß, also dann, wenn alles gesagt ist und die Zukunft leise anklopft, kehren Depeche Mode und Human League wieder zurück. So ist das Leben, manchmal zumindest.

Es mag Leute geben, die es hinbekommen, eine einzige Partnerschaft ein Leben lang festzuhalten, aber auch diese Zeitgenossen werden zwangsläufig immer wieder mal an dem Punkt angelangen, an dem sie dem oder der Liebsten die Beziehungskiste direkt vor die Füße kippen wollen - und es dann doch nicht tun. Schließlich schaut auch nach einem Streit die Welt irgendwann wieder anders aus. Schon Udo Jürgens wußte das: "Immer wieder geht die Sonne auf" sang er. Allerdings war er bekanntermaßen keine besonders treue Seele. Was wir daraus lernen? Der Sonne sind unsere Scharmützel egal, die Welt geht - wenn überhaupt - erst durch uns und nach uns endgültig kaputt. Und: Der Krug geht bekanntermaßen so lange zum Mund, bis man bricht. Ein Bruch allein muß freilich kein Unglück sein. Das sollte uns die Erfahrung doch mittlerweile gelehrt haben. Was das für die Musik von Ada Rook bedeutet? Die selbsternannte "Torture Bitch" führt uns mit viel Geschick aus jeder Krawallkaskade noch rechtzeitig zu den schönen Seiten ihrer Musik zurück. Chronische Schmerzzustände sind somit nicht zu befürchten.

 

Nächste Woche wird es natürlich auch wieder eine Kolumne geben. In deren Mittelpunkt soll ein wohlklingender Song stehen; soviel sei hier schon mal verraten. Bis es soweit ist, haltet fest, was euch wichtig und kostbar ist. Liebet euch selbst so, wie ihr den/die Nächste(n) liebt - oder umgekehrt.

Manfred Prescher

Ada Rook - "Someday (Dear ______) – World Doesn´t Come Apart"

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Photos: © Ada Rock & N/A

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Kommentare_

carmen - 10.07.2020 : 13.23
...die jeweilige Helga hat heute Geburtstag -----------------------
aber sie kann nicht durch einen Platzhalter/in ersetzt werden. EHRLICH!

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