Bonnie "Prince" Billy - Beware
Domino/Indigo
Irgendwie ist der Mann schon ein guter Freund. Er steht einem immer hilfreich mit neuen Songs zur Seite, wenn grad mal wieder Trübsalblasen angesagt ist - meint Manfred Prescher. 11.05.2009
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Heute entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob in Deutschland verschwurbelte Nachnamen wie Müller-Lüdenscheidt-Steinmeier-von-Dingenskirchen zugelassen werden - und wo da, im Sinne der nachfolgenden Generationen, Grenzen zu setzen sind. Schließlich kann es aufreibend sein, wenn der Urenkel des obengenannten MLSvD nach weiterem Namens-Overkill bei jeder Unterschrift, die es zu leisten gilt, eine teure Viertelstunde über dem Formular brütet. Und wehe, man ist dann einen Wimpernschlag lang unkonzentriert und verschreibt sich ... oder die Unterschriftenzeile ist zu kurz für den Rattenschwanz an Buchstaben. Gar nicht auszudenken, wo das alles hinführen könnte.
Fans von Will Oldham können mehrere Lieder davon singen. Der Songwriter aus Kentucky verblüfft seit Jahren, indem er seine Meisterwerke ziemlich unkonsequent unter verschiedenen Bannern veröffentlicht: Palace Brothers, Will Oldham, Palace, Bonnie Billy oder eben auch Bonnie "Prince" Billy. Was "Erbermittler" wie Professor Doktor Jürgen Udolph hinsichtlich des Nachnamen-Wirrwarrs vermuten, also einen Verlust der Identität, ist bei Oldham allerdings nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Die Mischung aus Country, Folk und düster-symphonischem Rock steht wie ein Fels zwischen Modewellen.
Vor Jahr und Tag ist der "Alternative Country"-Prince übrigens sogar durch Johnny Cash geadelt worden, er dürfte also auch ein "von" oder "zu" im Namen führen. Der geneigte Leser erinnert sich? JC coverte den typischen November-wohlige-Depri-Stimmung-vor-dem-warmen-Kamin-Klassiker "I See A Darkness". Wem das Herz bei den Balladen von Nick Cave aufgeht, der kommt auch an den Liedern von Will "Palace" Billie nicht vorbei.
Auch nicht am aktuellen, meiner Zählung nach 15. Studiowerk, das Oldham in den vergangenen 16 Jahren veröffentlichte - die diversen Kollaborationen mit befreundeten Kreativlingen wie Björk, Nicolai Dunger, Jason Molina oder Tortoise nicht eingerechnet. "Beware" ist ein herrlich herbstliches Album, das sich aus zweierlei Gründen besonders einschmeichelt: erstens, weil Oldham, der sich wieder einmal Bonnie "Prince" Billy" nennt, einfach wunderbar unspektakulär-perfekte Melodien unter den Hemdsärmeln hervorzaubert, und zweitens, weil seine kraftvoll-hohe Stimme selbst Eisblockmassive zum Schmelzen bringt. Steine fangen zu weinen an, wenn Wills Organ erklingt. Dabei - und das ist das Geniale - ist der Ausdruck zwar manchmal sentimental, nie aber klebrig. Honigsüße Schnulzen sind nicht zu erwarten.
"Beware" hat es übrigens als erste Platte Oldhams in die deutschen Charts geschafft. Das liegt natürlich daran, daß kaum noch Tonträger über den Ladentisch gehen, hat aber auch mit der Suche nach echten musikalischen Freunden zu tun, die viele Menschen zu iTunes oder in den Media Markt treibt. Zuverlässig wirksam wie guter Bourbon aus Kentucky wärmt der Mann die gestreßten, genervten, frustrierten oder nur mal melancholischen Seelen. So etwas erwartet man von einem guten Freund.
Spätestens seit den Tagen von Willy, Kurt und Hans, den Dreien von der Tankstelle, weiß jeder, daß einer, mit dem sich durch Dick und Dünn gehen läßt, "unbezahlbar ist". Irgendjemand muß einem ja Rückendeckung geben, wenn es am O.K. Corral zur finalen Schießerei kommt. Deshalb ist es nur konsequent, daß das Titelstück von Oldhams CD "Beware Your Only Friend" heißt. Genau: "Ein Freund, ein guter Freund/Das ist das Beste, was es gibt auf der Welt/Ein Freund bleibt immer Freund/Und wenn die ganze Welt zusammenfällt." Ich will an dieser Stelle nicht auf die defätistische Bedeutung des Ufa-Klassikers, der am Vorabend wahrlich finsterer Tage entstand, eingehen, aber eines stimmt: Ein guter Freund steht einem in der Not bei, und wenn du, lieber Leser, einen aussuchen darfst, der dir via HiFi-Equipment beisteht, dann solltest du Will Oldham wählen. Und plötzlich ist die allgemeine darkness gleich viel weniger dunkel.
Nächste Woche wird es an dieser Stelle gruslig. Dann werde ich nämlich eine Formation vorstellen, die frisch aus der Gruft auf einem abgelegenen Friedhof auf uns zugekrochen kommt. Daher kennt sie bislang auch kaum jemand: I Monster. Boris Karloff trifft Kraftwerk, Air verbindet sich mit Bela Lugosi - das Ergebnis kann sich hören lassen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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