Casper: "Hinterland"
Enthalten auf der gleichnamigen CD (Four Music/Sony Music)
Vergangene Woche war Halloween – doch für Manfred Prescher war der Tag wieder einmal eine echte Enttäuschung. Da hilft es auch nicht, daß der Sonnenaufgang im "Hinterland" richtig schön war. 04.11.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Es ist jedes Jahr das gleiche Drama - und daher schwör´ ich meinem Glauben bald wirklich ein für allemal ab. Seit mir mein Freund Linus damals in frühen Kindheitstagen erzählt hat, daß es sich lohnt, auf den Großen Kürbis zu warten, mache ich das ebenso konsequent wie leider erfolglos. Vielleicht mangelt es mir dann doch an der letzten Konsequenz, der Leidenschaft oder einfach nur am nötigen korrekten Lebenswandel? Schon Linus sagte mir ja immer wieder, daß der Große Kürbis nur den Menschen erscheint und nur die Leute beschenkt, die im zurückliegenden Jahr brav, ehrlich und selbstlos gewesen sind.
Aber es ist, wie es ist. Jedes Mal aufs neue mache ich mich in meinem direkten Surrounding zum Gespött, meine Hood geht höchstens mit ins Kürbisfeld, um einen Lach-Mob zu veranstalten. So was ist dann natürlich kontraproduktiv, weil es den Großen Kürbis sicher verschreckt. Der beschenkt dann lieber irgendwelche Menschen an Orten, die man nie im Leben sehen wird. Also kann man dort noch nicht mal irgendwem die Geschenke oder die Frau oder das neue iPad klauen - was sich aber vielleicht positiv auf die Erfolgschancen in puncto Halloween 2014 auswirken könnte. Oder gilt der Gedanke schon quasi als Ausführung? Mist, dann wird es wieder nichts mit der Carrera-Bahn und den Kondomen mit Marillenmarmeladenbrötchenaroma.
Ich will jetzt gar nicht weiterjammern, denn im "Hinterland" gefällt es mir eigentlich ganz gut. Dort, "wo meine Sonne scheint und wo meine Sterne steh´n, da kann ich der Hoffnung Glanz und der Freiheit Licht in der Ferne seh´n." So heißt es jedenfalls in einem philosophischen Traktat, das ursprünglich von einem Mann gesungen wurde, dessen Name mir aktuell nicht einfallen mag, der aber auf jeden Fall viel weiser, aber auch viel schwärzer als ich ist. Genau, Harry, hol schon mal das Bananenboot vor. Im "Hinterland", da wartet die Liebste mit zwei Backen voller Küsse und vielleicht auch mit ein paar Mon Chéri - nein, Leute, das sind nicht die debil aussehenden kleinen Plüschaffen - und eventuell mit neuen Ideen, die Streitkultur auf die nächste Evolutionsstufe zu stellen. Ansonsten ist es im "Hinterland" praktisch immer so wie letzte Woche im Kürbisfeld, sozusagen eine terra postica aeterna: "Wo jeder Tag aus Warten besteht/Und die Zeit scheinbar nie vergeht/In diesem Hinterland, verdammtes Hinterland/Wo Gedanken im Wind verwehen/Und die Zeit scheinbar nie vergeht/Geliebtes Hinterland/Willkommen im Hinterland."
Diese Zeilen sind nicht von mir, sondern von einem Mann, der aus einer Gegend irgendwo südlich vom Polarkreis, genauer aus Ostwestfalen stammt. "Ostwestfalen" ist ein Wort, das für Außenstehende ungefähr so schräg klingt wie "Mannweib" oder "Haßliebe", aber auf jeden Fall weitläufig der Hinterland-Area zuzurechnen ist. Eine gewisse Schrulligkeit zeichnet den Menschenschlag "da oben" angeblich aus, doch dieser Kerl ist schon ein besonderer Schwurbel. Dem ist glatt zuzutrauen, daß er in Hövelhof oder Stemwede auf den Großen Kürbis gewartet hat. Immerhin trägt er seinen Künstlernamen "Casper" angeblich deshalb, weil er die Cartoons mit dem freundlichen Geist so gern mochte. Die sind aber auch so was von nüddelich, daß Casper seit den dreißiger Jahren fröhlich herumspuken darf. Wie lange unser neuer Casper zwischen "Kaschberl und Schenie" (Ringsgwandl) hin- und herummäandern mag, ist allerdings noch fraglich. Ein drittes, wirklich gutes Album namens - genau - "Hinterland" hat er auf jeden Fall schon rausgebracht.
Nächstes Jahr wird Casper aber auch schon 30 - und im Gegensatz etwa zu Eminem, der sich grad im hohen Alter von 41 Jahren als "Rap God" bezeichnet, ist Benjamin Griffey, wie das Kasperle bürgerlich heißt, kein arroganter Egomane. Eher steckt in ihm eine Vielschichtigkeit, die vielleicht auch mal zu Persönlichkeitsspaltungen der intellektuellen Art führen kann. Irgendwie wie bei Hölderlin, der übrigens auch aus dem "Hinterland" stammt. Allerdings aus einem anderen, aber das nur am Rande.
Casper ist sehr eigen, ein Liedermacher wie Gisbert zu Knyphausen, ein intelligenter Rocker wie der junge Lindenberg und ein Rapper, wie ... na, wie es hierzulande keinen vergleichbaren gibt. Mit ihm zusammen fühlt es sich nicht so einsam an im persönlichen Hinterland; dort, wo es so ist, wie er beschreibt: "Wenn Taten mehr sagen als Worte, sind die Stille selbst/Man gibt uns gut zu verstehen, die leeren Gläser der Theke sind beste Lupen aufs Leben/Unterm Haus der Straßenlaterne nun um elf/Gemeinsam am Ende der Welt/Willkommen zuhaus." Was diese Zeilen bedeuten? Keine Ahnung. Man muß nicht alles hinterfragen. Das wäre schlecht, es würde sonst keiner mehr an den Großen Kürbis glauben. Nächste Woche werde ich hier über Goldfrapp schreiben, die mich tatsächlich tief in meiner schwarzen Seele berühren und sie aufhellen.
Bis dahin: Seid so brav, wie ihr könnt, dann klappt es vielleicht beim nächsten Halloween mit den Geschenken. Eine Tüte Peanuts ist allemal drin.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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