Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 14

Cat Power: "Ramblin´ (Wo)man"

Ist es erstaunlich, daß sich eine junge Frau an Hank Williams wagt und einen seiner Songs covert? Nur auf den ersten Blick - findet zumindest Manfred Prescher.    11.02.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Wenn aktuelle Nashville-Rednecks Zuckerbäckerware oder ungeheuer fette Brote herstellen, von denen der Zuhörer dröge wird, so sind die Songs, mit denen Hank Williams in den späten 40ern und ganz frühen 50ern zum absoluten Country-Superstar wurde, das genaue Gegenteil: karge Mahlzeiten, reduziert auf wenige, wohl- und herausschmeckende Zutaten, die erstaunlicherweise ziemlich satt machen. Oder anders ausgedrückt: In einer Handvoll Hank-Songs sind alle Hörstoffe enthalten, die der Mensch braucht, um einen Tag zu überstehen.

Die CD-Box mit dem Gesamtwerk des Mannes, der eigentlich Hiram King Williams hieß, beugt sogar allen Arten von musikalischer Mangelernährung vor. Hank soll - so wird es kolportiert - den gefährlichen Sound-Skorbut geheilt haben, an dem viele Deutsche und Österreicher zur "Jazztanzen verboten"-Zeit gelitten haben.

Dick wird man von "I´ll Never Get Out Of This World Alive", "Kaw Liga" oder "Ramblin´ Man" natürlich nicht. Sonst hätte Hank nie und nimmer so klapperdürr ausgesehen und wäre nicht im Alter von nur 29 Jahren im eigenen Innereiensud gen Songwriter-Himmel geschwommen. Es ist schon paradox: Während Generationen die Lieder des Schmerzensmenschen schätzen und sich an der klaren Weltsicht seiner Texte wärmen, litt der selbsternannte "Drifting Cowboy" Höllenqualen, vor denen ihn auch die Federn seiner damals fabrikneuen Cadillac-Sänfte nicht schützten. Wahrscheinlich ist Hank auf einer bestimmten Daseins- oder Weggetretenseins-Ebene der Grandpa von Amy Winehouse. Hoffentlich schaut er auf sie und gibt ihr Tips für ein besseres Ende, etwa "Kauf dir nie einen Caddy" oder "Mind your own Business".

Hank war übrigens der erste magersüchtige Mann der Menschheitsgeschichte und ein geeignetes Vorbild für Hungerhaken beiderlei Geschlechts. Es wäre schlicht falsch, wenn ich an dieser Stelle Cat Power als anämisches "Haut-und-Knochen-Model" bezeichnen würde, nur weil sie Hanks "Ramblin´ Man" neu interpretiert. Die Musikerin aus Chicago posiert zwar für Chanel vor der Kamera, ist aber trotzdem wohlproportioniert. Daß sie dieses Lied covert, hat drei Gründe: Erstens macht sich Chan "Cat Power" Marshall gern und oft die Werke anderer untertan, was ihr mit Frank Sinatra, den Rolling Stones, mit Joni Mitchell oder James Brown so perfekt gelang, daß alle Brücken zu den Originalen abgerissen wurden. So klingt - was man eigentlich für unmöglich halten sollte - sogar "Satisfaction" so, als sei der Song eben erst von und für Cat Power geschrieben worden. Zweitens steht Frau Marshall sehr auf klassisches Country-Liedgut, weshalb es zum von Hank bestellten Feld für sie nur ein Katzensprung war. Williams´ Songs wurden schon zu dessen Lebzeiten oft und erfolgreich gecovert; die Zahl der Varianten, die es von "Ramblin´ Man" gibt, ist gigantisch: Die Melvins coverten ihn gemeinsam mit Hank III, dem Enkel des Schmerzenmannes, Surf-Gitarrero Dick Dale, Del Shannon, die Residents und sogar Williams senior (als Luke The Drifter) nahmen alternative Versionen des Songs auf.

 

Neu ist nun - und damit bin ich beim dritten Grund für Cat Powers Interesse an Hank im allgemeinen und diesem Lied im speziellen angelangt -, daß sie ein selbstbewußtes Outlaw-Rollenmuster entwirft: Die "Ramblin´ (Wo)man". 1951, als der Hit geschrieben wurde, waren Lieder über Menschen, die ihre Beziehungsunfähigkeit, ihre Rast- und Ruhelosigkeit in einer lebenslangen Flucht auslebten, en vogue, aber sie handelten stets von Männern. Hanks Lied ist da keine Ausnahme. Natürlich waren Tramps und Hobos immer schon Außenseiter, allerdings haftete ihnen der Duft von Freiheit und Abenteuer an - eine romantische Vorstellung, die meilenweit von der Realität entfernt war und in der ein Ende auf einem Rücksitz nicht vorkam.

Noch weniger sah es den Lebensweg des vagabundierenden Einzelkämpfers für Frauen vor. Selbst zur Hochzeit der Outlaw-Cowboys um Waylon, Willie, Kris und Johnny war Freiheit Männersache. Wahrscheinlich ist es heute nicht anders, denn erstens singt kaum noch jemand vom Gefangensein in der ewigen Flucht und zweitens ist unter diesen Jemanden kaum eine Frau - bis auf Isobel Campbell, die ebenfalls "Ramblin´ Man" coverte. Weil aber die Hälfte der Welt den Ladies gehört, besitzen sie auch 50 Prozent der Anteile an Williams´ Zeilen: "Some folks might say that I´m no good/That I wouldn´t settle down if I could/ I love to see the towns go crawling by/There´s something I´ve got to do before I die/I love you baby but you got to understand/When the lord made me he made me a ramblin´ woman." Wer den Originaltext kennt, weiß, daß in der Lizenzvereinbarung zum femininen Hank-Nachsingen auch das Recht auf Neudichtungen enthalten gewesen sein muß. Der ursprüngliche Geist aus Selbsterkenntnis und Schicksalsergebenheit blieb aber auch in Cat Powers leicht abgewandelten Zeilen erhalten.

Sehr schön ist diese weibliche Version übrigens auch, so daß ich nur noch zwei Wünsche habe: Cat Power sollte eine geschlechterübergreifende Variante aufnehmen - am besten als Duett mit Hank III, Williams eingeborenem Enkelsohn. Und dann hätte ich gern ein wirklich Fettes Brot, aber darauf muß ich bis nächste Woche warten.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Cat Power - Jukebox

(Photos © Stefano Giovannini, Steve Gullick)

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Matador/Indigo (USA 2008)

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