Kolumnen_Miststück der Woche III/33

Charles Bradley: "Let Love Stand A Chance"

Wenn einer im zarten Alter von knapp 65 Jahren als Musiker erfolgreich wird, dann hat er sicher nicht bei einer Castingshow gewonnen. Interessant ist, wenn er trotz oder gerade wegen seiner Lebenserfahrung besonders die jungen Leute anspricht - findet Manfred Prescher.    13.05.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

In der vorangegangenen Ausgabe der von euch so geschätzten Kolumne habe ich von jungen Leuten erzählt, die relativ schwunglos über ihre Altersphase philosophieren. Heute gibt´s das genaue Gegenteil, nämlich einen Mann, der seine erste von bislang zwei CDs mit 62 Jahren aufnahm.

In der Karriere von Charles Bradley läuft einfach alles anders als beim Rest der musikalischen Menschheit. Gesungen hat er immer, meist in diversen Bands, deren Namen heute keiner mehr kennt. Deshalb führte er ein bürgerliches Berufsleben als Koch, war zuletzt Küchenchef in einer psychiatrischen Klinik und könnte sich jetzt eigentlich zur Ruhe setzen. Aber Bradley wurde entdeckt, als er irgendwo in Brooklyn Lieder von James Brown zum allerbesten gab. Die Folge waren Erfolge: Das erste Album "No Time For Dreaming" wurde von den Kritikern mit Komplimenten förmlich überhäuft und verkaufte sich sehr ordentlich. Sein zweites, "Victim Of Love", ist nun ein echter Meilenstein.

Vergleiche mit Otis Redding oder eben James Brown finden sich zwar immer noch in den Besprechungen, aber es sieht doch so aus, als ob Bradley nun endlich auch als Bradley wahrgenommen würde. Übrigens ist der Soulsänger mit der kraftvollen und warmen Stimme live ein besonderes Erlebnis. Irgendwie gleicht dabei alles einem Kirchenbesuch: Man fühlt sich gut und geborgen, wünscht den Mitmenschen ringsum Frieden, und ein Streit löst sich in Lächeln, sanftes Geknuffe und Wohlgefallen auf. Und weil Bradley ein solcher Magier ist, kommt der Mann auch bei jungen Menschen gut an.

Natürlich klingen Stücke wie "Let Love Stand A Chance" ziemlich retro, aber Charles Bradley ist halt kein Trendsetter. Handgemacht ist der Groove, es ist "guter alter" Soul, nur fast schon wieder modern, weil für das Jungvolk die siebziger Jahre samt "Daktari"-Vorabend so weit weg sind wie die Zeit, als das Mammut Manfred noch durch das "Ice Age" trottete. Das samstägliche Bad mit anschließendem Fernsehguck-Ritual, mit Wameru nebst dem schielenden Löwen Clarence, mit "ZDF Hitparade" und Ilja Richters "Disco" um 19.30 Uhr, das kann von den Nachgeborenen keiner mehr nachvollziehen.

"Wie? Soll das heißen, Ihr habt nur einmal in der Woche gebadet? Ihr müßt doch gestunken haben, daß man es von Gamlitz in der Steiermark mindestens hinauf bis nach Vechta gerochen hat! Wenn da nicht alle anderen ebenfalls in trauter Eintracht vor sich hingemüffelt hätten wie die Iltisse ..." Aber, hey, "wer" - um es mit dem Regisseur Pier Paolo Pasolini zu sagen - "nie sein Brot mit Tränen aß", weil es ja heut edle Bioläden, "Joe´s Diner mit den besten Burgern jenseits von Amerika" oder stylische Luxus-Schokolade von Lindt gibt, muß nicht auf uns herabschauen. Wir haben euch schließlich beigebracht, daß ihr täglich duschen sollt. Und seitdem riecht es ja landauf, landab wirklich frisch wie ein Frühlingsmorgen.

Manche Dinge ändern sich aber nie - und deshalb ist ein weiser, vom Leben gezeichneter Mann wie Charles Bradley wichtig. Er singt von der Liebe und von den Schmerzen, die sie verursacht. Das hat der in rund 65 langen Jahren auch alles schon erlebt ... Trotzdem glaubt er immer noch vehement an die Kraft der Liebe, an das, was passiert, wenn DIE eine auf DEN einen trifft: In "Let Love Stand A Chance" hofft er auf ein Leben in Liebe und mit Liebe - "Can´t let it pass me by/Won´t let it pass me by/Not a single day, baby". Das verstehen auch die, die ihre Samstagabende nicht vor dem Fernseher, sondern auf einem "coolen Event" verbringen. Weil Bradley unsere Herzen so erwärmt, daß wir jeden Streit vergessen und uns sanft knuffen wollen. Ganz gleich wie alt wir sind; es ist gut, daß es ihn gibt. Nebenbei ist "der Alte" so stark und kräftig, daß er locker vier Runden um den Neusiedlersee herumjoggen könnte, was ihm "die Jungen" erstmal nachmachen müssen. Singen kann er eh besser.

Nächste Woche wird es hier um geballte Frauenpower gehen: Die Pistol Annies, die 2011 mit dem selbstbewußten "Hell On Heels" für Furore sorgten, sind wieder da. Wo? Hier bei mir in der Kolumne natürlich.

 

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Charles Bradley: "Let Love Stand A Chance"

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Enthalten auf der CD "Victim of Love" (Daptone Records/Groove Attack)

 

(Foto: Darren Bastecky)

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