Kolumnen_Miststück der Woche III/79

Damon Albarn: "Everyday Robots"

Er ist wieder da! Keine Angst, es geht hier nicht um den Bestseller von Timur Vermes - sondern um unseren Kolumnisten. Der ist nämlich von den sanften Hügeln des Allgäus in sein Büro zurückgekehrt. Manfred Prescher zeigt sich erholt, mußte aber erst einmal die Stapel mit den Neuerscheinungen vom Schreibtisch wischen. Sonst wäre er gar nicht an seine Tastatur gekommen ...    02.06.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Wie lange war ich eigentlich weg? Es kommt mir so kurz und doch irgendwie auch ziemlich ewig vor. Eine echte Vorstellung von der Ewigkeit habe ich natürlich nicht, genausowenig wie von der Zahl, die sich hinter "unendlich" verbirgt - oder davon, was sich nächtens hinter den weißen Mauern Oberstaufener Häuser tut. Mysterien über Mysterien, wo immer man hinschaut und nachbohrt: Warum wählt zum Beispiel jemand die AfD? Gute Frage, aber mit der bin ich ein bisserl zu früh im Hier und Jetzt zurück.

Wie lange war ich nun eigentlich wirklich weg? Es ist auf jeden Fall nicht so viel passiert, daß man sagen könnte, ich hätte ein Erdzeitalter übersprungen. Für die Menschheit ist mein Klinikaufenthalt nur ein kleiner Schritt gewesen, für mich indes ein großer: Als ich heimkam, wurde das Oasis-Album "Definitely Maybe" gefeiert - es ist halt auch schon 20 Jahre alt. Ehrlich! Aber so lange war ich nun doch nicht weg. In den paar Wochen meiner freiwilligen Abstinenz von Außenwelt und ihrer Nachrichtenflut stiegen Fußballmannschaften auf und ab, gewannen oder verloren die Champigons League, trennten sich - vor meinen müden Augen - Paare nach Beziehungen, die mit "Definitely Maybe" begannen und letztlich auch so umschrieben werden könnten. Und es wurden immer neue Platten herausgebracht: Wie von mir im Vorfeld angedroht, ist Michael Jackson noch einmal aus der Kapuzineräffchengruft gestiegen, aber Lichtblicke gibt es en masse. Kaum ist man mal weg, bringt Mark Oliver alias The Eels eine verdammt gute "Bladde" raus, genauso Soulmann Lee Fields, Irlands Neo-Rockabilly-Queen Imelda May, ebenso wie DjangoDjango, die hochbegabten Bastler von elektronischen Wundertüten, und Damon Albarn.

 

Bevor ich mich auf den Kopf von Blur/Gorillaz/The Good, The Bad & The Queen, auf den Produzenten des famosen letzten Werks von Bobby Womack und Opernkomponisten ("Monkey: Journey To The West") konzentriere, möchte ich auch noch erwähnen, daß mich Morrissey in meiner wohl tatsächlich ewiglichen Abwesenheit erhört hat: Er kommt am 11. Juli mit einem neuen Album. Das Titelstück gibt es - passend zu den Europawahlen - schon jetzt: "World Peace Is None Of Your Business". Es ist ebenso typisch Morrissey wie Morrissey-typischerweise diskutierenswert. Sollte man nicht doch um den Weltfrieden kämpfen oder an irgendeinem friedlichen Ort den privaten Frieden suchen? In Einklang mit der Natur, aber auch mit Buddha, naturbelassener Butter, der Frau/dem Mann fürs Leben, den wesentlichen "Inselsongs" und ein paar Schreibutensilien? Oder doch darum kämpfen, daß sich die Idiotie und mit ihr die individuelle wie die weltgesellschaftliche Rüstungsspirale in Richtung "Love, Peace And Happiness" (frei nach dem großen Fernost-Philosophen Carl "Kung Fu Fighting" Douglas) zurückdrehen läßt? Ich weiß es ehrlich nicht. Aber ich ahne, daß es ein privates Friedensidyll auch nicht gibt. Schließlich war ich ewig auf einer beschaulichen Ackerscholle am unteren Rand des Allgäus - nette Gegend, "Landschaft ist auch da" (Nina Hagen) und viel Ruhe. Da ignoriert man glatt, daß dort im Landkreis Lindau und der näheren Umgebung die Betonkopfdichte doch - gemessen an der geringen Einwohnerzahl - recht hoch ist. Und sich auf Deutsche, Österreicher und Schweizer Fetzenschädel gleichmäßig verteilt. Während ich mein inneres Kind pflegte, haben andere drum herum wahrscheinlich ihr inneres Rindviech herausgelassen. Tut mir leid, liebe vom Auerochsen abstammenden Paarhufer. Ich wollte euch nicht zu nahetreten.

Und nun bin ich wieder in der Tretmühle angekommen. Die Frage nach dem Weltfrieden steht erst mal hinten an - er kommt "Definitely Maybe". Und über den Umweg zu Oasis wäre ich bei Damon Albarn. Denn Liam Gallagher sagte über Albarns Konkurrenzmutterschiff Blur, daß die einen guten Schlagzeuger hätten. Was stimmt, Dave Rowntree ist famos. Aber Gallagher vermerkte auch, daß er den Gitarristen (Graham Coxon) und den Sänger (Damon Albarn) "sch..." findet. Albarn ist meiner maßgeblichen Meinung nach aber doch ziemlich groß, er ist vielleicht "The Bravest Man Of The Universe", und "Everyday Robots" ist als Album ein echtes Meisterwerk. Der Titelsong verweist natürlich auf die Pop gewordenen Sehnsüchte nach dem gefühlskalten Dasein als Maschinenwesen - wie sie zur New-Wave-Zeit unter anderem von Kraftwerk mit "The Robots" oder Ultravox! mit "I Want To Be A Machine" postuliert wurde. Gleichzeitig ist Albarns Lied aber auch Ausdruck des ewigen Kampfs ums Dasein, der meistens nur dann gerade noch so geführt werden kann, wenn man die Sehnsucht nach dem Weltfrieden, einer Liebesnacht unter südlichem Sternenhimmel oder die eigenen Schmerzen im Gebälk ignoriert. Damon Albarn startet die CD jedenfalls mit dieser intellektuell verschleppten Arbeiterhymne für den modernen Menschen. Der werkelt schließlich nicht mehr wie seinerzeit Chaplin in "Modern Times" im Rhythmus von Riesenmaschinen, sondern streßt, von tausend Dingen gleichzeitig angetrieben. While my Bürostuhl gently quietscht, prasseln ununterbrochen Aufträge auf einen nieder, die sofort (ASAP, wie das neudeutsch heißt) erledigt werden müssen. Ich habe aber in meiner beinahe ewigen Abwesenheit gelernt, daß die Welt nicht untergeht, wenn manche Räder einfach mal stillstehen. Das ist gut für den privaten und vielleicht sogar den Weltfrieden.

 

Albarn weiß das auch und hat uns 15 sehr persönliche Betrachtungsweisen zum Menschsein im allgemeinen und zu seinem eigenen Werdegang im besonderen geschenkt. Er beleuchtet ein Album lang das Aufwachsen, Verwachsen und Geradebiegen der Kreatur und transferiert die intelligenten Texte in sehr zurückhaltende Grooves und feine Melodien, die er immer wieder bricht. Wer will, kann darin die Gorillaz erkennen, genauso auch Blur. Aber eigentlich ist es das weise Werk eines klugen 46jährigen Künstlers, der nicht mehr herumroboten will. Und es sicher auch nicht mehr muß. Der kann - und wird - uns daher auch bald noch ein neues Blur-Album kredenzen. Wort des lebendigen Manfreds!

Nächste Woche erzähle ich hier an dieser Stelle von Imelda May und ihrer Variante des Rock´n´Roll. Der bringt charmanten Schwung in euer Leben, euren iPod, euer Autoradio und vielleicht sogar die vom Herumroboten müden Glieder zum Tanzen. Bis dahin macht´s gut, seid lieb zueinander und zu euch selbst. Dann klappt es vielleicht auch mit dem privaten Frieden.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Damon Albarn: "Everyday Robots"

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Enthalten auf der gleichnamigen CD (Parlophone Label Group/Warner)

 

(Photo © Linda Brown Lee)

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