Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 67

Daniela Glaser & Marcus Pfister: "Cry Me A River"

Manchmal geschehen Wunder. Einfach so. Und dann bleibt einem nichts anderes übrig, als andächtig auf die Knie zu fallen, das Herz zu öffnen und zu lauschen. Solch einen Moment erlebte Manfred Prescher.    13.07.2009

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

 

Eigentlich wollte ich hier an dieser Stelle über den aktuellen Hype aus Großbritannien herziehen, aber seit der vorigen Kolumne sind immerhin 14 Tage vergangen. An die damals noch angesagte Band erinnere ich mich also gar nicht mehr. Unsere Zeit hat dermaßen Fahrt aufgenommen, daß die am Morgen bewunderten Sternchen in der Regel bereits am Nachmittag samt ihren mediokren Songs in Vergessenheit geraten sind.

Da ist es nur gut, daß sich immergrüne Lieder wie "Cry Me A River" mit Vehemenz gegen das kollektive Geschmackssterben durchsetzen. Dieses Monument von einem Hit ist ein Juwel, wie es heute nahezu nie und zur Zeit seiner Entstehung auch nur selten komponiert wird/wurde. Vor mehr als 70 Jahren schrieb Arthur Hamilton den Song für Ella Fitzgerald. Die große Diva sollte ihn im Film "Pete Kelly´s Blues" zum Besten geben. Der Streifen gelangte erst in den 50er Jahren in die Kinos - allerdings ohne "Cry Me A River". Das ist wohl nur dadurch zu erklären, daß selbst der Autor nicht wußte, welche Perle ihm da gelungen war.

So kam es, daß erst 1955 Julie London mit dem dann schon fast vergessenen Stück Erfolg hatte. Seitdem wurde es geschätzte tausendmal gecovert, unter anderem von Etta James, Shirley Bassey, Joe Cocker, Ray Charles, Sam Cooke, den Hardrockern von Aerosmith oder Teenie-Idol Justin Timberlake. Auch Ella herself veröffentlichte in den frühen Sechzigern eine bittere Version des Songs.

Meine absolute Lieblingsaufnahme aber stammte bis vor kurzem von Dinah Washington. Die Sängerin, die wie kaum eine andere Blues, Jazz und Soul wieder zusammenführte, kroch in die Zeilen wie eine giftige Schlange und biß tödlich zurück. Ruhig, kraftvoll und mit einem zynischen Unterton geht es von der ersten Zeile "Now you say you´re lonely" bis zum finalen "How I cried a river over you" zur Sache. Und die ist so altbekannt, daß sie in Verse gegossen immer noch funktioniert: Als der Ex wieder angekrochen kommt, ist ihr Tränensturzbach bereits am Versiegen, hat sie schon so viel gelitten, daß sie nicht mehr verzeihen kann und will. Stattdessen wünscht sie ihm zwar nicht die Pest an den Hals, aber doch, daß er wegen ihr einen Strom von der Größe des Mississippi heult.

 

Ich hätte freilich nie gedacht, daß irgendwer dieses Lied heute so singen würde, daß die Varianten von Ella und auch von Dinah mit einem Mal an Glanz verlieren, ja sogar zweitklassig wirken. Wie´s kommt? Es war an einem lauen Sommerabend ... Das stimmt zwar nicht ganz, weil es in Wahrheit immer wieder geregnet hat und der Himmel meist so grau wirkte wie das Einerlei der aktuellen Hitparaden, aber das Bild paßt schon. Auf der kleinen Bühne mitten auf der großen Wiese stand eine Frau, die mir speziell mit diesem Lied das Herz aufheizte und so naheging, daß ich vor Freude beinahe losgeheult hätte. Es gibt eben Momente, die so unerwartet schön sind, daß sie einen mit kolossaler Wucht treffen.

Und weil man gänzlich unvorbereitet daherkommt, ist Widerstand zwecklos: Daniela Glaser, begleitet nur von Marcus Pfister, der ihr am Flügel den nötigen Klangteppich knüpfte, sang "Cry Me A River". Ach, was schreibe ich da, sie sang nicht, sie zelebrierte es so, wie es nur große, unbeugsame Künstlerinnen tun. Mit ihrer Altstimme, die soviel Wärme an den Abend legte, nahm sie sich der berühmten Vorlage an. Jeder Zuhörer konnte das Leid spüren, das in den Worten steckt, aber auch den unbändigen Willen, gestärkt aus der Beziehungskatastrophe hervorzugehen. Ganz klar, diese Frau kann kein Mann brechen, obwohl der Typ, von dem sie hier singt, ihr zumindest im Lied mehr angetan hat, als auf die dickste Kuhhaut geht: "Nearly you drove me out of my head/While you never shed a tear/Remember? I remember what you said ..." Die Glasersche Version steht auf einer Intensitätsstufe mit "I Will Survive/Free Again" von Gladys Knight, mit "It Should Have Been Me" von Yvonne Fair oder Dinah Washingtons "I Won´t Cry Anymore".

 

Wie sangen schon die Drifters, als noch Dinos über die Welt stapften? Richtig: "This magic moment/So different and so new/Was like any other/Until I met you." Weil ihr, liebe Leser dieser Kolumne, mehrheitlich den magischen Auftritt dieser wahrlich großen Sängerin nicht miterleben konntet, müßt ihr euch an Dinah und die anderen halten. Vielleicht läßt sich die Diva aber erweichen und nimmt eine CD auf? Dazu bräuchte es nur Marcus Pfister am Flügel und natürlich "Cry Me A River". Denn ein großer Song funkelt erst dann wie ein Diamant, wenn er gelebt wird. So etwas nennt man dann "Soul" - und davon hat Daniela Glaser so viel, daß sie uns eine Menge davon abgeben kann.

Auch nächste Woche kehrt hier nicht der Kolumnenalltag ein. Dann werde ich mich nämlich einem Musiker widmen, von dessen Kunst wir viel zu wenig hören, weil er im Fernsehen ständig Lupus ausschließen muß: Hugh Laurie, besser bekannt und berüchtigt als Dr. Gregory House, ist ein dermaßen guter Pianist, daß er glatt Daniela Glaser bei "Cry Me A River" begleiten könnte.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER


Manfred Prescher

Dinah Washington - What A Diff´rence A Day Makes

Leserbewertung: (bewerten)

Verve/Universal

Links:

Kommentare_

Godot - 14.07.2009 : 08.52
Hallo Evolver,

der Kolumnist schwärmt, und wir müssen außen vor bleiben. Im Ernst: Es klingt geil, was da beschrieben wurde. Gibt es eine Chance, das mal zu hören?
Gruß & weiter so
Godot
Manfred Prescher - 14.07.2009 : 10.20
Hallo Godot,
was ich so gehört habe, ist tatsächlich die Aufnahme eine LP (!) geplant. Wenn das klappt, sollen die Evolver-Leser "Dry Me A River"exklusiv als Stream oder Download bekommen.
Gruß
Manfred
der Korrektor - 14.07.2009 : 15.19
Wobei ich die B-Seite "Dry Me A River" (für die Beziehungs-Umweltexperten) für eine besonders gute Wahl halte ...

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.