Kolumnen_Miststück der Woche III/9

Dexys: "I’m Always Going To Love You"

Manchmal merkt man erst, daß einem etwas gefehlt hat, wenn es nach Jahrzehnten plötzlich wieder vor der Tür steht. Das ist natürlich logisch: Dexys Midnight Runners haben sich schon in den 80er Jahren aus dem Gedächtnis verabschiedet - um heute nicht nur Manfred Prescher wieder zu beglücken.
   12.11.2012

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Früher hieß die Gruppe Dexys Midnight Runners und war in ihrer britischen Inselheimat mit schmissigem weißem Soul recht erfolgreich. Dazu trugen die Akteure Designeranzüge aus den Swinging Sixties und sahen cool aus. Sänger Kevin Rowland gab dabei einen dermaßen guten Jackie Wilson ab, daß die Girls vor Begeisterung jauchzten und die Kerle neidisch waren. Kurz darauf wechselte er das Outfit, trug Jeans-Latzhose und Wuschelhaare. Das erinnerte ein wenig an eine künstliche Ausgabe des typischen Wackersdorf- oder Startbahn-West-Demonstranten, war aber in Wahrheit auch nur ein Mode-Gag, der zur nun leicht keltisch angehauchten, immer noch schmissigen Popmusik paßte. "Come On Eileen" hieß der Hit dazu - und der funktioniert heute noch als Muntermacher im Frühstücksradio. Auch, wenn man der Traumfrau stecken will, daß sie doch bitte ihr Herz in die Hand nehmen und zurückkommen soll, paßt dieser Aufruf an Eileen perfekt.

Mittlerweile sind aber auch schon wieder 30 Jahre den Rhein hinunter in Richtung Nordsee gespült worden. Kevin Rowland hat seine Karriere in den Sand gesetzt, privat oft Schiffbruch erlitten und gegen Krankheiten gekämpft, für die nicht mal Dr. House eine rasche Heilung wüßte - und ist trotzdem munter und vergnügt wieder da. Das neue, erst vierte Album "One Day I´m Going To Soar" ist zeitlos, modern und doch eine - überaus würdige - Fortsetzung dessen, was Rowland in den 80er Jahren so ausgezeichnet hat. Viel Soul, jawohl! Und eine Stimme, der man anhört, daß sie harte Zeiten hinter sich hat. Trotzdem klingt sie weich, warm und sehr kraftvoll. Der Sänger gibt uns zu verstehen, daß all das, was er erlebt hat, nur dazu führen konnte, mit Elan durchs Leben zu baumeln. Um beim Bild zu bleiben: Wir sehen ihn hin- und herschwingen; bei den schnelleren Stücken denke ich an eine Schaukel, bei den langsameren ist es eine Hängematte, die sich sanft in wunderschöner Umgebung bewegt. Ach, herrlich! Wer sich an das letzte, düster-schwere Miststück über "Doom And Gloom" von den Rolling Stones erinnert, bekommt jetzt das maximale Kontrastprogramm. Dexys strahlen Liebe aus, die Zombie-Sümpfe von Mick Jagger sind da Lichtjahre weit weg.

 

Daß Kevin Rowland ab und zu auch trotzig wirkt, weil er sich mit Vehemenz gegen alles Schlechte stemmt, aber weiß, daß er wohl wieder verlieren wird, macht den Reiz der neuen Platte aus. Besonders deutlich ist das in "I´m Always Going To Love You" zu hören. Er singt, daß er sein Mädel immer lieben wird, also auch dann, wenn sie eben nicht mehr sein Mädel ist. Ob das doof ist, sei dahingestellt. Das Lied ist ein Zwiegespräch mit dieser einen Frau, und er gesteht: "O Baby, ich liebe dich, ich liebe dich wirklich." Und sie antwortet, daß sie das Gefühl nicht erwidern kann und ihn nicht sehen will. Zum Schluß sagt sie, daß er verschwinden soll, was er mit einem ebenso leisen wie bitteren "ok" kommentiert.

Ändern tut das an seinen Gefühlen nichts - und wir glauben Kevin Rowland, der sich wieder für uns zum Affen macht. Fast wie bei Eileen seinerzeit. Überhaupt ist "I´m Always Going To Love You" der Stoff, aus dem man spätestens seit der Antike ellenlange Tragödien häkelt und in den 50er Jahren Teenager-Hymnen von zweiminütiger Kürze fertigte. Da sich, um es mit Johnny Cash zu sagen, auf der Welt nichts wirklich ändert, tragen wir zum einen weiterhin Schwarz, zum anderen passen die Songs von Kevin Rowland besser ins Hierundjetzt als etwa die neue, auch nicht unschmissige Prince-Single "Rock And Roll Love Affair" oder das aktuelle Album von Madness. Schließlich sind die 80er wirklich vorbei.

Nächste Woche wird es an dieser Stelle um eine ganz arg lustige, weil ziemlich perfekt gemachte Sache aus "Hambuich" gehen - genauer gesagt, um Fraktus.     

 

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Dexys - One Day I´m Going to Soar

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