Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 46

Dido: "Don´t Believe In Love"

Ist es Dido, die do in den Charts drin steht? Ist es Dido, die uns den Kopf verdreht? Ist es Dido mit der coolen Stimme dran? Nein, es ist die Frau, die soulful singen kann - rappt Manfred Prescher.    08.12.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Preisfrage: Wer oder was ist eigentlich ein oder eine Dido? Ist es ein Laufvogel, der hauptsächlich in Ozeanien herumflitzt? Oder ein von Christian Heinrich Friedrich Peters 1879 entdeckter Kleinplanet im Asteroiden-Hauptgürtel? Vielleicht handelt es sich aber auch um Dido von Poitiers, einen im Jahre 669 des Herrn verstorbenen Bischof? Möglicherweise war Dido die Gründerin und erste Königin von Karthago ...

Sie haben 30 Sekunden Zeit, die einzig falsche Antwort herauszufinden, dürfen allerdings niemanden anrufen und auch das Publikum nicht befragen. Das seltsame, vermutlich süddeutschen oder österreichischen Bergdialekten entstammende Wort "Dido" bezeichnet übrigens auf jeden Fall eine Klasse leichter Kreuzer, mit denen Churchills Royal Navy im Zweiten Weltkrieg auf den Weltmeeren unterwegs war und Hitlers Seeflotte zerlegte. Womit wir - der langen Rede bildungsbürgerlicher Sinn - endlich bei der Sängerin Dido wären. Nicht, daß sie allzu fregattenhaft wirkt, aber erstens ist sie Engländerin und zweitens kämpft sie mit Talent und schöner Stimme erfolgreich für die Rettung der Popkultur. Und dann ist da noch dieser Name, der mindestens genauso ungewöhnlich ist wie die von mir vorgegebenen Begriffserklärungen: Dido Florian Cloud de Bounevialle O´Malley Armstrong heißt die Künstlerin, die übrigens am 25. Dezember 37 Jahre alt wird. Klingt irgendwie nach Disneys "Aristocats", oder?

 

Mit diesem Background bekommt frau natürlich eine hervorragende musikalische Ausbildung praktisch in die Wiege gelegt und darf auf der renommierten Guildhall School of Music Klavier und Violine lernen, die Stimme schulen und aufpäppeln lassen. Der Weg zur Star-Geigerin oder berühmten Opern-Diva ist somit eigentlich vorgezeichnet - wenn, ja wenn da nicht der ausgeflippte Bruder Rollo wäre. Denn der ist Kopf von Faithless und sorgt so dafür, daß die edle Familie in die Niederungen tanzbarer Chartbuster vorstößt. Wahrscheinlich wurde er sofort nach der Aufnahme zur ersten Single "Salva Mea" enterbt. Selbst der lateinische Songtitel half da nix mehr, weil Rollo die Chuzpe hatte, seine kleine Schwester mitsingen zu lassen. Beide Armstrongs müßten allerdings längst ihre eigenen wohlgepflegten Schäfchen ins Trockene gebracht haben - er mit Faithless und als Produzent unter anderem der Pet Shop Boys, Simply Red, Gabrielle oder Donna Summer, sie mit bislang drei überaus erfolgreichen Alben.

"Safe Trip Home" ist der Nachfolger des 2003er-Megasellers "Life For Rent". Und weil seit damals bereits ein halbes Jahrzehnt unwiderruflich verstrichen ist und persönliche Katastrophen wie der Tod des Vaters zum Nachdenken zwangen, klingt das neue Album ziemlich anders, musikalisch erwachsener: Als Songwriterin zelebriert Dido eine Mischung aus Soul, TripHop, Pop, Jazz und Folk, verknüpft in den besten Momenten Dusty Springfield und Joan Armatrading mit dem Sound von Massive Attack oder Moloko. Daß das Ganze manchmal ziemlich beliebig wirkt, ist eigentlich nicht verwunderlich, doch meistens hat Producer John Brion (Kanye West, Beck) die Regler so im Griff, daß Dido die Gratwanderung zwischen beliebigem Kitsch und großer Geste übersteht, ohne irgendwo herunterzufallen und sich zu verlieren.

 

Die Single "Don´t Believe In Love" eröffnet das Album und geht im Kontext der eher langsamen, getragenen Lieder als flott durch. Dabei ist sie für Didos bisherige Verhältnisse mehr verhalten, und ein Laufvogel hätte bei dem Tempo Probleme, irgendwelchen Feinden zu entkommen. Das kleine Opus erzählt zu süßlich-traurigen Streicherklängen, daß es zwischen Mann und Frau zumindest in diesem speziellen Fall keine Liebe gibt: "If I don´t believe in love/Nothing will last for me/If I don´t believe in love/Nothing is safe for me/When I don´t believe in love/You´re too close for me/And that´s why you have to leave ..." Es ist wie mit dem Glauben an Gott: Ein Hintertürchen hinein ins Unbeweisbare läßt sich Dido in punkto Liebe noch offen: Die Worte "if" und "when" signalisieren, daß es doch anders sein könnte, als es ihre negative Sicht auf das eigene Beziehungsleben zuläßt.

Ein wenig pubertär klingt das zugegebenermaßen schon, aber es ist doch auch so traurig, beinahe wie ein alter Song von Roberta Flack. Man möchte fast hingehen zu Dido, ihr den Arm um den Hals legen und sagen, daß es die Liebe doch gibt und sie sich nur zu blöd anstellt. Schließlich brauchen auch Soul-Diven ab und an Trost. Vielleicht sollte sie sich einfach einen Abend lang mit der neuen CD von Tom Jones in ihre Latifundien zurückziehen und dem Charme des alten Schwerenöters erliegen. Dann kehrt zwar nicht ihr Glaube an die Liebe zurück, aber sie lernt wieder, sich vorzustellen, daß das Zwischengeschlechtliche trotzdem Freude machen kann.

Um den walisischen Königstiger mit der ewigen Wischmopp-Frisur geht es übrigens im nächsten "Miststück". Es wird unter dem Eckhard-Henscheid-Motto "Weib-Leib-Zeitvertreib" stehen - und du, liebe Dichterin Dido, merke dir, daß der sinnliche Dreisatz auch andersherum funktioniert.

Fehlt an dieser Stelle noch die Auflösung des Quiz: Den Laufvogel gibt es nicht.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Dido - Safe Trip Home

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