Kolumnen_Miststück der Woche III/73

Die Broilers: "Wo bist Du (Du fehlst)"/ Bo Diddley: "Pretty Thing"

Punks sind auch Menschen. Und Menschen haben Gefühle. Die linken Düsseldorfer Oi!-Veteranen zeigen diese genauso aufrichtig und ehrlich, wie sie den Weg aus der Szene an die Hitparadenspitze geschafft haben: Unbeugsam, stark und ohne Anbiederei - das gefällt Manfred Prescher.    03.03.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.


Ich weiß nicht, ob es am voranschreitenden Alter liegt oder einfach nur an einem partiellen Stromausfall in der ansonsten so schön illuminierten Denkkugel - auf jeden Fall hatte ich vergangene Woche, genauer gesagt, am Donnerstagvormittag, ein Lied auf den Lippen. Es ging einfach nicht weg, handelte irgendwie von "London Girls" oder so und klang nach Doo Wop. Es hielt sich so hartnäckig, daß selbst die etwas heftige Konversation mit der Liebsten recht luzid wirkte. So konnte ich Trost spenden und ein quietschfreudiges Whatsapplachen ernten. Und dann geschah das, was mir zu denken gab: ich habe das Lied einfach vergessen. Passiert mir sonst nie. Ich kann noch alle Singles der Kinks, der Stones, von Prince, Oasis oder auch von David Bowie in chronologischer Reihenfolge aufsagen oder sogar singen. Gut, beim kieksigen Metzgersopran von "Kiss" würde die Stimme versagen, aber sonst stimmen diese meine Äußerungen. Nur diese vermaledeiten "London Girls" waren einfach weg - und ich suche nun doch recht verzweifelt nach diesem wunderbaren kleinen Lied. Falls es jemand da draußen findet, grüßt es und sagt ihm, daß ich es gern wieder hätte.

Stattdessen geisterte mir plötzlich "Pretty Thing" von Bo Diddley durchs Dachgebälk. Schuld daran ist zweifellos mein Hang, mich in abgedunkelten Sälen von Lichtspielhäusern aufzuhalten. Der R&B-Klassiker wurde nämlich in "The Wolf of Wall Street" eingesetzt. Ich bin einfach zu empfänglich für Außeneinflüsse. Mal ist es der zugegebenermaßen "supergeile" Werbespot-Rap von Edeka und Friedrich Liechtenstein, mal sorgen die Saufkumpane aus "World´s End" dafür, daß ich tagelang zu "I´m Free" von den Soup Dragons durch das Leben groove. Aber zurück zu Bo Diddley: Sprachfehler können oft interessante Wirkungen nach sich ziehen. Meine Freundin hört nämlich immer "you burning thing" statt "you pretty thing". Und das liegt daran, daß Diddley beim Singen tatsächlich die Buchstaben durcheinanderbringt und wohl echt "burning" singt. Als "brennendes Ding" bezeichnen wir Franken aber dann doch eher ein handelsübliches Streichholz. Mit dem kann man so ziemlich die Welt entflammen, aber das nur am Rande.

Wie komme ich jetzt zu den Broilers? Eigentlich ist das ziemlich einfach, denn Diddley-Daddy, der Mann mit der sicher leicht entflammbaren, selbstgebaut-quadratisch-praktisch-guten Sperrholzguitarre, war einer der ersten Punks. Sein Auftauchen in den 50er Jahren mag für ihn nur ein kleiner Schritt, eben von McComb/Mississippi nach Chicago, gewesen sein. Für die Rockmusik war es aber dann doch ein großer. Der alte Rabauke scherte sich nicht um Konventionen, klang roh, ungehobelt und sehr neuartig wild. Hell yeah!

Die Broilers ihrerseits sind tief verwurzelt in einer optisch eher aparten Punk-Szene, da die linken Oi!-Herrschaften ihre Kleider eher nicht aus der Mülltonne beziehen. Daß die Band sich nach der in der ehemaligen "Tätärä" (formerly known as "sowjetisch besetzte Zone" oder frei nach Alfred Tetzlaff selig as "Ostzone") gebräuchlichen Bezeichnung für Brathähnchen benannt haben, liegt am "Oi!" und trägt sicher zur Froide der an Froide eher armen Ostdeutschen bei. Die haben da zwar die Semperoper und eine gläserne Automanufaktur, aber eben leider auch Red Bull Leipzig.

 

Die Broilers jedenfalls sind echte Stars, spätestens seit sie im Dunstkreis der Toten Hosen ihr Nachtwerk verrichten. Die aktuelle Platte "Noir" ist eingängig, geht textlich in Ordnung und zelebriert eine recht angenehme Grundhärte. Das kann man dann "Sell-out" nennen oder "Sellerie" oder sonstwie, aber das spielt keine Rolle. Und dann schreiben sie solche Zeilen: "Die Nächte heller, dann wenn du mit mir warst/Hassten die gleichen Bands/Wir liebten die selben Bars/Wir brauchten nur uns/Ließen die Welt im Regen stehen/Wir waren uns sicher, irgendwann wird´s auch der Rest verstehen/Wo auch immer du jetzt auch bist/Ich weiß nur, daß du mir hier fehlst". Natürlich könnte das an Tagen wie diesen auch von Campino gesungen werden, aber das geht in Ordnung. Daß Punk auch Stillstand bedeutet - geschenkt. Das wissen die Broilers auch: "Die Welt dreht sich, doch ich bleib stehen" singen sie daher folgerichtig. Unmittelbar nach diesem Lied kommt dann auf der CD der Song "Ich brenn´" - der fängt ähnlich an wie "An Tagen wie diesen" und wandert dann zurück in die späten 80er. Das ist echt ein "Burning Thing". Zentraler Satz des Lieds ist "Was ich von Herzen liebe, interessiert mich heute nicht mehr". Aber vorher jammern, daß die Gitarrensaite kracht? Von mir aus!

Bo Diddley jedenfalls war an Liebe noch sehr interessiert. Weil er ja bekanntermaßen ein - I spell - "m-a-n" war. Aber er sang das mehr mit Unterstützung des virilen Unterleibs als mit dem Herzen. Sei´s drum. Wer Diddley oder Broilers hört, macht nichts verkehrt. Aber wer nichts verkehrt macht, macht noch lang nicht alles richtig. Mit dieser kleinen Philosophiererei erhebe ich mich für heute vom Bürostuhl und aus den Niederungen des Internets.

Nächste Woche geht es hier wirklich um Beck, dessen Platte mir ausnehmend gut gefällt. Ich schau´ gleich mal nach, ob er von "London Girls" singt. Nein, tut er nicht. Na, man kann nicht alles haben. Ihr könnt die Kolumne nächste Woche wiederhaben - und mich ansonsten gern. Macht´s gut, macht´s besser, macht´s gscheit!

 

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Die Broilers: "Wo bist Du (Du fehlst)"

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Enthalten auf der CD "Noir" (People Like You Records/Universal)

Links:

Bo Diddley: "Pretty Thing"

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Enthalten u. a. auf der CD "Story of Bo Diddley: Very" (Chess/Universal Music Austria)

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