Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen
Netzlektüre
Dr. Trash empfiehlt: Lesen Sie - koste es, was es wolle! Im Internet kosten brandneue Romane manchmal sogar gar nichts. Nur: Das gedruckte Buch haben sie noch immer nicht ersetzt. Das war im Frühjahr 2003 (als diese Kolumne erstmals - natürlich gedruckt - erschien) so und ist auch heute noch nicht anders.
16.05.2007
Erinnern Sie sich an die Zukunft?
Das gedruckte Buch, so hieß es vor Jahren, wird demnächst abgeschafft. Der freundliche Buchhändler sollte durchs Internet ersetzt werden, und die Lese-Junkies würden sich ihre Fixes auf E-Books downloaden.
Alles falsch.
Die meisten literarischen Volltexte, die man im Netz findet, sind Public-Domain-Klassiker - wie etwa beim Project Gutenberg. Geldgenerator Stephen King brach seinen Online-Roman "The Plant" in der Hälfte ab, weil die Fans nicht die erwarteten Millionen überwiesen. Außerdem will ohnehin kein Mensch (ob mit oder ohne Gleitsichtbrille, aber das ist eine andere Geschichte) am Bildschirm lesen.
Bleibt also alles beim alten? Nicht ganz - denn ein paar junge Schriftsteller erinnern sich berufsbedingt sehr wohl an die verheißene Zukunft. Sie lassen sich von den Erbsenzählern in den Verlagen nicht davon abbringen, im Web was zu riskieren. Und der Erfolg gibt ihnen recht.
Da wäre zum Beispiel Cory Doctorow, der nicht nur das schöne Weblog "Boing Boing: A Directory of Wonderful Things" betreibt, sondern vor kurzem auch seinen Roman "Down and Out in the Magic Kingdom" (Tor Books) veröffentlichte - zum Leidwesen der Buchhalter nicht nur gedruckt, sondern auch zum kostenlosen Download im Internet. In den ersten vier Wochen wurde der witzige Cyberpunk-Krimi, der in einer Gesellschaft unendlichen Wohlstands UND in Disney World spielt, 75.000mal heruntergeladen. Trotzdem belegt er bei amazon.com den beachtlichen Verkaufsrang 678.
Jim Munroe wurde überhaupt erst durch das Net-Publishing seines ebenfalls sehr lesenswerten Romans "Angry Young Spaceman" von einem Verlag entdeckt und gilt heute mit dem Nachfolger "Everyone in Silico" (beide: Four Walls Eight Windows) als eine der großen Hoffnungen der englischsprachigen Phantastikszene. Nach wie vor kann man die meisten seiner Werke gratis über seine Website beziehen.
Daß Werbung so am besten funktioniert, hat auch der Münchner Andreas Winterer begriffen. Seine SF-Parodie "Cosmo Pollite" (Schwarten) zählt nach wie vor zu den lustigsten Büchern, die man in diesem Genre finden kann. Auf der zuständigen Website bietet Winterer nicht nur Leseproben, sondern auch jede Menge Kurzgeschichten über seinen futuristischen Deppenhelden Scott Bradley, die Lust auf mehr machen.
Doch natürlich wird man sich all diese Netztexte bei Gefallen als ganz normales, altmodisches Buch zulegen. Schließlich kugelt niemand gern mit einem Haufen loser Blätter auf dem Sofa herum. Nicht einmal ...
Ihr
Dr. Trash
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