Kolumnen_Miststück der Woche III/87

Die Fantastischen Vier: "25"

Irgendwie wirkt es so, als gingen die schwäbischen Rapper jetzt tatsächlich in Rente. Ihre selbstreferentielle Single läßt genau das vermuten - auch wenn sie es bestreiten. Meint jedenfalls Manfred Prescher.    28.07.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Die beste Liebesgefährtin von allen hat natürlich recht. Sie sagte mir unumwunden, daß ich doch nicht über einen Song schreiben soll, der schon im März veröffentlicht wurde. Ich müsse ja, so folgerte ich auf diesen lapidaren Satz, meine Rückständigkeit nicht so derbe raushängen lassen. Aber irgendwie ist mir die erste Single zum demnächst erscheinenden neuen Album der Fantastischen Vier tatsächlich entgangen. Was die komplette, neunte Langspiel-CD angeht, bin ich aber meiner Zeit voraus, denn "Rekord" wird erst im Oktober unter das Volk gestreamt. Man darf gespannt sein, ob das Werk noch mehr Abschiedslieder enthält, denn die Kurzbeschreibung auf Amazon liest sich wie ein Rückzieher zum tatsächlich nach "Auf Wiederhören" klingenden Lied "25": "Nach fünfundzwanzig Jahren haben Thomas D, Smudo, Michi Beck und And.Ypsilon vielleicht viel gesehen und erlebt, aber eines noch lange nicht: die Schnauze voll. Die Fantastischen Vier sind nicht angetreten, um aufzuhören. Die Freundschaft dieser vier verschiedenen Typen, die Symbiose zwischen den Charakteren, die Einheit, die diese vier Schwaben bilden, ist eine Kreativitätswalze, die, was immer man auch versucht, einfach nicht gestoppt werden kann." Was für eine seltsam PR-verquere Umschreibung ...

 

 

Die Fantastischen Vier wurden tatsächlich kurz nach dem Friedensschluß von Venedig gegründet. Damals, 1989, war "Rap" in deutscher Sprache noch so neu, daß viele Menschen ihn gar nicht mit dem Begriff "Musik" in Verbindung brachten. Ein Vierteljahrhundert später wird allerorten vor sich hingebrabbelt, gereimt, bis das Versmaß kracht, und kräftig damit Kohle verdient. Von Sidolin über das Casperle bis hin zu Marteria, Jan Delay und Cro reicht die Bandbreite. Mein absoluter Favorit ist gerade Dirty Maulwurf, obwohl ich von dem noch gar nichts gehört habe. Aber der Name ist so endsdämlich, daß ich in dessen CD "Trap braucht kein Abitur" hineinhören werde. Denn der Titel klingt schon wieder interessant. Und wer einen Track "MacGyver" nennt, kann gar nicht so doof sein - und tatsächlich, die Platte geht textlich in Ordnung. Das können die meisten Maulwürfe jedenfalls nicht besser. Wahrscheinlich war der Rapper aber noch gar nicht in Planung, als MacGyver Menschen mit etwas Zahnseide, einer Centmünze und dem angekauten Rest einer Breze aus einem Terroristenlager befreite oder eine Stadt nur mit Hilfe eines Pfefferminzbonbons und einer Kindertrompete vom Smog erlöste. Damals wurden auch die Fanta 4 gegründet. Und wir müssen wieder mal wieder in aller Bitterkeit erkennen, daß sich die Welt rasant weitergedreht hat.

 

Ich wurde vor kurzem schon 53, und seitdem höre ich von der besten Liebespartnerin von allen verstärkt, daß ich auf mich achten müsse. Denn es sei ja so, daß ich jetzt in den Jahren sei, in denen verstärkt ganz merkwürdige Krankheiten darauf warten würden, mich dahinzuraffen. Wenn ich aber erst mal so alt wäre wie der Heesters kurz vor seinem unerwarteten Ableben, wäre ich aus dem Gröbsten raus. Weil ich dann ein langes und erfülltes Leben gehabt hätte. Womit wir wieder bei den Fantastischen Vier wären: Die hatten tatsächlich ein recht erfolgreiches Get-together, das locker-flockig mit "Hausmeister Thomas D." oder "Wo geht´s lang" begann und dann einige große, ziemlich coole Hits nach sich zog. Im Rückblick war das eine beeindruckende Karriere, die ihnen so schnell kein weiterer Reimkünstler nachplappern kann.

Und nun rappen sie ganz selbstreferentiell von ihren guten Zeiten und davon, daß sie als Zombies immer noch da sind. Der Song dazu ist dermaßen Disco, daß die Bee Gees ihre Freude dran hätten, wären sie nicht längst wieder als Hercules & Love Affair reinkarniert und würden gerade den House Sound of Chicago für sich entdecken. Der Groove ist wirklich okay und überdeckt die Tatsache, daß der Text nicht zu den Höhepunkten im Schaffen der schwäbischen Geronten gehört. Das Selbstreferentielle kann man den Herren durchaus nachsehen, denn erstens gehört das beim Rap immer schon praktisch zum guten Ton, der bei den Vierern aber halt auch schon mal ein besserer Unterton war - und zweitens machen das noch viel ältere Männer wie die Toten Hosen auch. Das Problem von "25" ist aber, daß die Fantas bei ihrem Blick zurück ziemlich ausgebrannt wirken. Für diese Äußerung müßt ihr übrigens nicht mich schelten, sie stammt von den Künstlern selbst: "Fakt ist: daß wir irgendwann mal ausburnen/Mach mit: Wenn am Ende das Haus brennt/Macht nix: Wir können morgen früh auspennen". Das klingt doch nach Abschied, oder?

Genug der Mutmaßungen, das Leben geht immer noch weiter. Und weil ich nicht ausgebrannt bin, schreibe ich in der nächsten Woche wieder für euch. Dann geht es justament an dieser virtuellen Stelle hier um La Roux, eine junge Künstlerin, die ebenfalls mit Disco überrascht - und das so, daß die Bee Gees sogar in ihrer Reinkarnation als Hercules And Love Affair ihre Freude daran haben müßten. Bis dahin paßt´s auf euch auf, achtet auf eure Liebsten und hört gute Musik. Von mir aus auch die vom kleinen, schmutzigen Maulwurf, dem ein Rap-Album eingefallen ist. Oder von Micah P. Hinson oder den Secret Sisters - oder auch "Rainbow", das neue Lied vom steinalten Robert Plant.   

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Die Fantastischen Vier: "25"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "Rekord" (Columbia/Sony)

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.