Fettes Brot - Strom und Drang
Fettes Brot/Indigo (D 2008)
Wie schallt es von nah und fern? Was hätten die Männer gern? "Ausziehn, ausziehn!" Manfred Prescher findet, daß es endlich an der Zeit ist, etwas zugeknöpfter zu sein. 18.02.2008
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Es ist kaum zu glauben, bei näherer Betrachtung aber ziemlich logisch: Nachdem "Big Brother"-Container und Dschungelcamp schon auf Malle-Schlüpfrigkeit und pudelnackte Menschen setzten, bringt ein Premiere-Klon nun eine Reality-Show, bei der es durchaus hand- und unterleibsfest zur Sache geht. "Germany´s Next Popp-Modell", sozusagen. Der Ansatz ist sicher gewinnbringend und eine folgerichtige Entwicklung aus dem allgemeinen Freikörperkult heraus. Der bestimmt ja sowieso schon die Welt, zumindest die der Werbung und der tumberen Fernsehformate - wie uns die drei Nordmänner vom Fetten Brot gleich zum Anfang ihrer neuen Single "Bettina" erklären: "Mein Gott, ich wußte nicht/Daß das ´ne Quizshow ist/Ich werd´n bißchen geil/Und krieg´n bißchen Schiß/Was wohl die blonde Dralle von mir erwartet, Mann/Ob ich die tollen Fragen auch brav erraten kann/Denn sie sucht händeringend nach deutschen Automarken/Sie will´s zu Ende bringen, fängt an mich auszufragen/Und dazu läßt sie lässig noch ihre Hüften kreisen/Denn wir soll´n richtig raten und ihre Brüste preisen".
Was Doktor Renz, Björn "Schiffmeister" Beton und König Boris da beschreiben, ist zumindest demjenigen bekannt, der wie ich gern mal durch alle verfügbaren Programme zappt und sich freut, wenn schwitzende Engländer auf Darts-Scheiben werfen oder unterkühlte Herrschaften ihre Plastikchips an noch unterkühltere Herrschaften abgeben müssen. Dann nämlich ist man während des Sender-Hoppings beim DSF gelandet - einem Obskuritätenkabinett, das auch deutsches Zweitliga-Eishockey, Rugby und lüsterne, aber jugendfreie Freudenspender für Männer anbietet. Weil "jugendfrei" heutzutage eher auf der dritten Silbe betont wird, gibt´s zum Beispiel bei "Männer TV" mehr Fleisch als im gleichnamigen Fernsehklassiker aus den 70er Jahren zu sehen. Und weil außerdem diese spezielle Zielgruppe sowieso gern "Mittendrin statt nur dabei" ist, wie der Sender vor Jahr und Tag festgestellt hat, gleichzeitig aber so ihre Probleme beim "Stuck In The Middle With You" (Stealers Wheel) hat, darf sie von DSF-Strategen nie aus den Augen gelassen werden - vor allem nicht, weil viele Männer schon nachmittags nichts Besseres zu tun haben, als auf dem Sofa zu sitzen. Oder nachts, wenn das letzte Fußballspiel der englischen Premier League vom Hundertsten ins Zehntausendste analysiert wurde und eigentlich ein Testbild kommen müßte.
Das sind die Zeiten, in denen die dralle Blonde, die durchaus auch mal brünett oder schwarzhaarig sein kann, sehr knapp bekleidet auf Männerfang geht. Die Herren werden dabei mit nackten Tatsachen konfrontiert - aber nicht nur das: Sie sollen auch Automarken erraten, was nicht nur durch massive Hormonspiegeländerungen erschwert wird. Denn wer hat schon von Russo Baltic gehört? Sex und Auto - darauf wird der Mann reduziert und läßt das gern geschehen. Für einen kurzen Plausch mit der Schönen und einen in Aussicht gestellten Gewinn greift der Herr der Schröpfung zum Telefon und finanziert so den Sender.
Fettes Brot wissen, wie das läuft: "Wenn die Gedanken kommen, dann geh´n sie nicht, geh´n sie nicht/Sie ham mich fest im Griff und lähmen mich, lähmen mich/Ich kann nicht anders, denn ich quäle mich, quäle mich/Ich muß es wieder tun und schäme mich, schäme mich". Das Trio aus Hamburg steht natürlich über der tumben Anmache, aber es weiß, daß selbst sein Lieblingsheld Spider-Man nicht gegen den hübsch verpackten Stumpfsinn ankommt, der mit voller Wucht auf die Samenstränge vieler Männer zielt und den Rest großflächig abschaltet.
Mal ehrlich: Auf die Brote hört sowieso kein Schwein, zumal sich der Song dieses Mal auch nicht massenkompatibel mißverstehen läßt. Erstens ist der Karneval vorbei, zweitens war der 2005er-Gassenhauer "Emanuela" für Schindluder und Schabernack wesentlich besser geeignet, und drittens verweist der neue Song auf eine Zeit, als HipHop noch Rap und damit sehr spartanisch war. "Bettina, zieh dir bitte etwas an" ist echter Old-School-Stuff im Geist von Kool Moe Dee und seinen Treacherous Three. So viel Referenz ist cool. Um sich daran zu erfreuen, muß man nicht zwangsläufig "Nordisch by Nature" sein, aber sich doch auf der gleichen Wissensebene durch die Annalen des Sprechgesangs bewegen. Ich verwette meine Human Beatbox darauf, daß das im Hier und Jetzt auf kaum noch jemanden zutrifft, was dann auch die Crux der Single sein könnte. Tja, die Rap-Geister, die sie riefen ...
Um "Ghosts", allerdings die von Laura Marling, geht es übrigens im nächsten "Miststück".
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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