Kolumnen_ Miststück der Woche III/41

Gilbert O´Sullivan: "What Am I Doing Here With You"

Die zentrale Frage, die sich der im fortgeschrittenen Alter verliebte Mensch stellt, geht so: "Was fange ich denn mit dir an?" Seit die blaue Pille billiger geworden ist, eröffnen sich da ganz neue Wege - spottet Manfred Prescher.    08.07.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.


Kennen Sie noch Gilbert O´Sullivan? Wenn Sie alt genug sind, um praktisch den Übergang von der romanischen zur gotischen Epoche mitgemacht zu haben, wahrscheinlich schon ...

Der Mann war vor mehreren Ewigkeiten ein solcher Superstar, daß Arminius seine Lieder beim Ritt durch den Teutoburger Wald gesungen haben dürfte. Auch in der Schlacht von Hastings sorgten sie angeblich für emotionale Aufhellung: Zwischen 1970 und 1980 hatte der gebürtige Ire sage und schreibe 17 Hits - alle selbstgeschrieben und zur Klavierbegleitung vorgetragen. Die bekanntesten Songs aus seiner Feder sind wirklich zeitlos schön: "Clair", die herrliche Ode an die damals dreijährige Tochter seines Managers Gordon Mills (Tom Jones, Engelbert Humperdinck), die Trauerhymne "Alone Again (Naturally)" oder das schmissige "Get Down" sind zumindest mir im Ohr geblieben. Daß der Mann komfortabel von diesen gut zehn Jahren leben kann, ist eigentlich klar. Daher hat er sich wohl auch auf die britische Kanalinsel Jersey zurückgezogen und lebt dort mitten in einem Blumenmeer mit Kind und Kegel. Hin und wieder erscheinen sogar neue Songs, die aber weit und breit kein Mensch mehr wahrnimmt. So wird es auch mit dem aktuellen Album "In The Key Of G" geschehen. Der Titel ist natürlich sehr neckisch, die 14 Stücke sind natürlich alle direkt von Herrn G. Mit "Key of G" wird aber im Englischen auch die G-Dur-Tonleiter bezeichnet; allerdings sind einige der Songs doch sehr "mollig" geworden. Daß der Erfolg ausbleiben wird, liegt einfach an ihrer Art: O´Sullivan schreibt sympathische, unaufdringliche und irgendwie zeitlos-altmodische Popmusik. So hat er es freilich immer schon gemacht, und eigentlich klang er auch anno 1976 schon eher unmodern.

 

Gut die Hälfte der Stücke des neuen Albums sind schlicht langweilig und klingen nach billiger Kaufhausmusik. Sowas läuft bei Karstadt in der Herrentoilette. Aber der Rest ist eigentlich zu schön, um schnell vergessen zu werden - allen voran das intelligente und flotte "What Am I Doing Here With You", bei dem tatsächlich die Beziehungsfrage gestellt wird, die der Generation 40 oder 50+ auf den Nägeln brennt. Übrigens ist diese Altersgruppe grad schwer im Kommen - auch, weil es praktisch kaum mehr andere Menschen gibt: RTL hat die "werberelevante Kernzielgruppe" deshalb um zehn Jahre auf "14 bis 59" erweitert und plant eine Show, bei der sich frisch verliebte Paare der reiferen Sorte vorstellen sollen. Die alten Zausel müssen dann um die Wette strahlen und erzählen, wie sie sich noch mal auf einen anderen Menschen einlassen. Und wo der Unterschied zur Teenagerliebe ist.

Ich persönlich glaube ja, daß der Unterschied gar nicht so groß wäre, wenn man mit 50 nicht zwangsläufig soviel emotionalen Ballast angehäuft hätte. Genau um diese glücksverhindernden Gefühlszustände geht es auch im Song von O´Sullivan - und trotzdem ... Das Lied belegt auch, daß das Herz selbst im fortgeschrittenen Alter noch Kapriolen schlägt. Immerhin wird Raymond Edward O´Sullivan, wie der Künstler eigentlich heißt, im Dezember auch schon 67 Jahre alt. Trotzdem schreibt er solche Zeilen und hämmert sie flink in sein Piano: "I do my best to please you/You know I would never leave you/Or would I ever let you down/Whenever we are parted/I get so broken hearted/However silly that may sound/I think you´re something special ..."

Und immer noch geht es um Eifersucht und um Leidenschaft, die auch mal Leiden schafft. In dem Zusammenhang sei erwähnt, daß die berühmte blaue Pille gerade erheblich preisgünstiger geworden ist. Sparfüchse mit gewissen Problemen brauchen keine riskanten Kopien vom Chinesen-Markt zu kaufen, sondern können nun auch staatlich geprüfte Helferlein erwerben - aber davon singt Gilbert O´Sullivan nicht. Natürlich nicht. Der Mann ist nämlich ein Romantiker, der an die große Liebe glaubt. Und die ist absolut nicht altersabhängig.

Nächste Woche wird es an dieser Stelle wieder mal um jüngere Menschen gehen - dann widme ich mich mit dem kompletten rüstigen Schwung, den ich noch zusammenbringe, den schwer angesagten Vampire Weekend aus New York. Bis dahin: Wenn ihr jemanden habt, den ihr liebt, dann haltet euer Glück fest und freut euch gemeinsam auf das nächste "Miststück der Woche".



Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Gilbert O‘Sullivan: "What Am I Doing Here With You"

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Enthalten auf der CD "In the Key of G" (Union Square Music/Soulfood)

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