Glasvegas - Glasvegas
(Photo © Steve Gullick)
SonyBMG
Schöner Name, durchgestyltes Album-Cover in schlichtem Schwarzweiß; das ist der erste Eindruck. Der zweite: ein nettes, unspektakuläres Werk. Nicht mehr, aber auch nicht weniger - sagt Manfred Prescher. 09.02.2009
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Die Trendspatzen pfeifen es schon länger, spätestens seit der 2007er-Indie-Single "Daddy´s Gone", von den Dächern: Glasvegas sind das nächste große Ding, das von der Insel zu uns herüberschwappt. Jetzt, mit der gewohnten Verspätung, ist das Debütalbum des Quartetts aus - na klar - Glasgow endlich auch über die Restvertriebsstruktur in Deutschland und Österreich zu haben; auf daß auch die letzte Dorf-Wave-Disco auf das Ding abfährt und in Hinterbrunzriedelsreuth ein guter Ton einkehrt.
Bevor jetzt jemand denkt, daß ich ihm wieder einmal den Hype madig machen will: Sänger James Allan, sein Cousin Rab Allan an der Gitarre, Paul Donoghue am Baß und Caroline McKay am Schlagzeug sind weder untalentiert noch so mittelmäßig wie die durchschnittliche "Band of the Week", die man uns seit König Artus und seinen Rittern der Kokosnuß allwöchentlich als neue Beatles-Oasis-Franz-Ferdinand unterjubeln will.
Genau das ist natürlich trotzdem geschehen: Glasvegas gewannen den Newcomer-Award des "New Musical Express". Aber wir wollen nicht vorschnell urteilen. Die Schotten sind vielseitig, klingen gut, sehen nicht gar zu sehr gestylt aus - und wissen, was sich gehört, da auch sie auf bekannt-bewährte Töne setzen. Im Gegensatz zu anderen Bands, die sich mit den Sixties oder auch mit Glamrock beschäftigen und uns einen auf Kinks oder Bowie vormachen, stehen bei Glasvegas die 80er Jahre im Vordergrund. Will heißen, daß im Zitaten-Pool die Überbleibsel von Morrisseys Smiths, von Prefab Sprout und ganz besonders von den nordbritischen Landsleuten von The Jesus And The Mary Chain herumschwimmen. Genau diese Mischung aus Folk, Punk, Surfsound und catchy Rumsdideldum, die vor Urzeiten "Some Candy" oder "Just Like Honey" auszeichnete, veredelt auch "Geraldine", die neue, dritte Single der forschen vier. Als Referenz ist das ganz bestimmt nicht schlecht, und Innovation verlangt sowieso kein Mensch von einer Band - außer vielleicht ein paar unverbesserliche Musikjournalisten, die den Blick nicht permanent auf die eigenen Füße, sondern auch nach vorne, zur Seite und eben doch gelegentlich nach hinten richten.
Glasvegas-Frontmann James Allan jedenfalls ist einer, der mit Schmackes schmachten kann wie sonst höchstens Paddy McAloon oder meinetwegen auch Brian Wilson. Das hört man besonders, wenn er Geraldine hinterherruft, daß sie bitteschön nicht davonlaufen, sondern trotz seiner verschiedenen Fehler bei ihm bleiben möge. Ich weiß natürlich nicht, ob sich die derart elegant Angeflehte erweichen läßt, aber ich gehe mal schwer davon aus, weil diese zarte, verletzliche und doch mächtige Stimme sogar Steine kaledonischer Burgen zum Zerfließen bringen kann. Orpheus ist praktisch nichts gegen den jungen Mann aus Nürnbergs Partnerstadt im schottischen Südwesten.
Die Qualität von Glasvegas hat sich herumgesprochen. Sie wurden von Sony Music gesignt, was nicht nur dazu führt, daß ihre Debüt-Single (siehe oben) nochmal veröffentlicht, sondern auch sonst alles dafür getan wird, die typische Indie-Rockband alter Schule ordentlich zu vermarkten. Wäre nicht Alan McGee, der umtriebige Gründer des Creation-Labels, dann würde die Band wahrscheinlich immer noch in irgendwelchen verranzten Übungsräumen dahinvegetieren und sich eher einen Sackvoll Flöhe und Läuse holen als einen mit Pfund Sterling oder Euronen. Aber McGee, der unter anderem schon Oasis, Primal Scream und eben The Jesus And The Mary Chain entdeckte und zu Hit-Ehren zurechtschliff, hat nicht nur einen Riecher für erfolgversprechende Bands, sondern verfügt auch über die richtigen Kontakte. Ob Glasvegas allerdings dieses Jahr überleben, hängt freilich nicht nur von ihrem Talent ab. Viel wichtiger ist, ob sie als Typen ankommen, aber da können sie sich ja an Bobby Gillespie und erst recht natürlich an den Gallagher-Brüdern ein Beispiel nehmen.
Nächste Woche wird es hier übrigens um eine weitere Bande Ewiggestriger gehen, die gerade nach oben gespült wird und uns die Rückkehr von Buffalo Springfield beschert: die letzten Hippies von den Fleet Foxes.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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Kommentare_
An sich ja eine schöne Kritik, doch einige wirklich falsche Dinge sind mir aufgestoßen:
- "Geraldine" ist entweder die 5. oder die 1. Single (je nachdem ob man die vor dem Plattenvertrag mitzählt) und nicht die dritte. Die neue Single wird "Flowers and Football Tops" sein
- im Song geht es NICHT um die Liebe, sondern um eine Sozialarbeiterin, wie die Zeile "My name is Geraldine, I'm your social worker" ziemlich deutlich macht
- die 80er-Einflüsse sind unbestritten hörbar, doch auch die 60er kommen stark durch, z.B. die oft genannten Sixties Girl Groups
- dass sie als nicht gestylt bezeichnet werden, halte ich zwar nicht für falsch, aber immerhin wird es in den meisten Reviews genau anders dargestellt :)
Hallo Julia,
danke für Deine informativen Zeilen - auch ein musikalischer Einstein wie ich weiß nicht alles... Da es sich um eine Kolumne (und nicht um eine Rezi) handelt, sind manche Äußerungen überspitzt, eine Kritik meinerseits sähe anders aus. Die würde dann durchaus höhere Wertungen geben, denn die CD ist ja besser als das Meiste - und ein sehr gutes Albumdebüt. Über die genaue Zählweise der Singles ist man sich nicht einig, da hast Du eindeutig recht. Ich würde mich daher anschließen und es als fünfte Single bezeichnen. Zumal Sony ja die "alten" Singles wiederveröffentlicht. Den Fehler in der Zählweise bitte ich zu entschuldigen. Was Geraldine angeht: Darüber war ich mir schon im Klaren, aber wie gesagt, es ist ja eine Kolumne.
liebe Grüße
Manfred
Danke für die schnelle Antwort :-)
Dass in einer Kolumne nicht alles ernst genommen werden soll, ist klar. Hier fände ich es jedoch schwer das zu erkennen, wenn ich die Songs nicht kennen würde.
Gibt es denn noch eine reguläre Kritik des Albums? Wäre sehr gespannt darauf.
PS: Sorry für das doppelte Posten des ersten Kommentars. Nach dem Absenden bekam ich keine Rückmeldung und habe noch mal Abgeschickt.
Hallo Julia,
das ist in der Tat eine gute Idee. Mal sehen, was sich machen lässt. Das Ziel ist es dann natürlich, die Musik unabhängig vom Hype zu betrachten. Du kannst ja derweil mal bei Evolver "herumblättern", Misstücke gibt's da noch mehr (bislang 152).
liebe Grüße
Manfred