The Gossip - Music For Men
(Sony)
Photo: Alice Hawkins
Kurz vor der magischen Nummer 200 ist es mal wieder nötig, ein bißchen auf den Putz zu hauen. Bekanntermaßen stinkt Eigenlob zwar, aber das macht nichts, denn Apple wird das iSmell erst im Jahr 2014 im Hype Park vorstellen. Also ist noch genug Zeit für ein Miststück in eigener Sache - meint Manfred Prescher. 27.09.2010
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Ich komme jetzt langsam in das Alter, wo ich gern von der glorreichen Vergangenheit und den Schlachten rede, die ich im Namen des guten Geschmacks zwar verloren, aber wenigstens aufrecht und ohne Verluste durchgekämpft habe. Dazu sitz’ ich dann in meinem Lehnstuhl vor dem Haus am See, laß mir von Willie Nelson oder Ry Cooder was auf der Dobro vorklimpern und erzähle meinen 100 Enkeln, daß ich nächstes Jahr keine neuen CDs mehr kaufen will. Weil irgendwann muß einfach Schluß sein, und mit fünfzig kann man getrost einen Strich unter all die Hypes setzen, die sowieso schneller wieder im Meer der Nichtigkeiten untergegangen sind, als sich die Buchstaben "BP" aussprechen lassen.
Natürlich glaubt mir das keine Sau, sind ja eh sehr intelligent, die borstigen Viecher. Die einhellige Meinung ist, daß ich so süchtig nach Musik bin, daß ich mir weiterhin "jeden Mist reinziehen" werde. Da zeigt sich wieder, daß Schweine halt doch nicht so schlau sind, sonst wären sie die Krone der Schöpfung und nicht, wie wir von Douglas Adams wissen, die Mäuse. Denn ich hör’ mir schon lange nicht mehr alles komplett an, was so aus dem Internet zu uns herausquillt oder von der Restindustrie auf den nur noch rudimentär vorhandenen Markt geworfen wird. Daß irgendwer mal den 30-Sekunden-Teaser erfunden hat, ist für die Menschheit segensreich; diesem findigen Geist, der wahrscheinlich Fraunhofer-Institut heißt, sollte der Friedensnobelpreis verliehen werden. Denn wahrlich, ich sage euch: Vom allermeisten, was es so gibt, genügt ein kleiner Ausschnitt, um beurteilen zu können, in welches Töpfchen es gehört - in den Bottschamber natürlich.
Aber weil manche Leute die Austern komplett mit der Schale essen, findet sich im Abtritt zwischen all den Klabusterbeeren halt hin und wieder doch eine Perle. Und selbstverständlich werde ich weiterhin nach diesen Schmuckstücken suchen. Eines - und jetzt komm ich doch zum Lob - fiel mir im März 2007 vor die Füße: The Gossip. Was ich damals vermutete, wurde rasch danach Wirklichkeit. Die Gruppe um die XXL-Sängerin Beth Ditto und den heimlichen Kopf Nathan "Bruce Paine" Howdeshell verließ den Indie-Spielraum, in den sie eh nicht hingehörte, und begab sich zum Multimedia-Major Sony.
Wer denkt, daß der japanische Konzern im Bereich "TV" nur auf 16:9 und 3D setzt, um Beth ordentlich darstellen zu können, irrt natürlich, versteht dafür aber was von crossmedialer Vermarktung des Breitformat-Stars. Denn: Seit den Tagen von "Standing In The Way Of Control" ist nicht nur die Produktion fetter geworden. Was damals irgendwie sexy aussah, wirkt jetzt ungesund. Das gilt auch für die zweite Platte "Music For Men", die an vielen Stellen einfallsloses Zuckerbäckerwerk bietet. Aber mit "Dimestore Diamond", dem Heavy-Rotation-Dauerbrenner "Heavy Cross" oder auch "Four Letter Word" sind Gossip schlank, rank und knackig groovend.
Das "Four Letter Word", um das es Beth geht, heißt übrigens nicht F.U.C.K., sondern verweist praktisch schon auf das nächste "Miststück". Da geht es romantischerweise um "Three Times A Lady" von den Commodores. Also singt Madame Ditto auch nicht von S.H.I.T., P.I.S.S. oder so, sondern tatsächlich von L.O.V.E.: "L is for lover" - quatsch, das ist natürlich ein anderer Song, den wir alle von All Scharroh kennen - "L. is for leaving/O is for on time/V is for the voices warning me I’ll lose my mind/E is for the ending". Also, Romantik klingt anders. Gossip wollen uns sagen, daß jede Liebe zum Scheitern verurteilt ist und alles außer der Wurst ein Ende hat. Der Robert K. Merton in mir meint, daß da was dran sein kann, erst recht natürlich, wenn man schon am Beginn der Liebe deren Ende erwartet. Selbsterfüllende Prophezeiung nennt das mittlerweile selbst die zurückgebliebenste Graugans. Ein klasse Stück Disco ist "Four Letter Word" aber allemal, doch das liegt mehr an den "Oooooohs", die Beth uns um die Ohren haucht, als am Text.
So, damit alle noch mal wissen, wer der Bartel ist, der meistens den Most holt, frage ich in die Runde: "Wer war es, der schon frühzeitig wußte, das Gossip cool sind?" Nein, die Schweizer waren es dieses Mal nicht ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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