Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 64

Green Day: "Know Your Enemy"

Diese Jungs sind ein Phänomen, da sie Ideen in Gold verwandeln können. Nebenbei gelingt es den Stadionrockern auch noch, ihre Punk-Attitüde zu erhalten. Und das ist wirklich erstaunlich - findet Manfred Prescher.    08.06.2009

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder. 

 

Meine Freundin Barbara hat immer recht: Sie bezeichnete Green Day schon als "amerikanische Idioten", als an das gleichnamige Erfolgsalbum noch gar nicht zu denken war. Aber damals zeichnete sich bereits ab, daß die 1987 als The Sweet Children gegründete Formation um Billie Joe Armstrong und Mike Dirnt den Weg in den absoluten Mainstream antreten und sich dabei immer noch und nachhaltig als "Punks" bezeichnen würde. Gut, das tun Tote Hosen und Ärzte sogar schon eine Dekade länger als Green Day, aber die teutonischen Kampfsäue waren nachgewiesenermaßen schon bei der ersten Punk-Welle dabei. Wie erstaunlich es ist, im hohen Alter noch den Kurzhaar-Rebellen zu geben, habe ich andernorts schon erläutert; ich gebe hier nur zu bedenken, daß der Lebens- und Musikstil der Punks eigentlich den ganzen Stadionrock-Kommerz eliminieren sollte. Freilich wurden die ersten Nonkonformisten schneller in den laufenden Kapitalismusbetrieb integriert, als Dee Dee Ramone "Gabba gabba hey" sagen konnte. Sich dagegen zu wehren, ist nicht so einfach, wie das Lebenswerk von Punk-Urvater Iggy Pop zeigt. Aber, um es mit The Sweet zu sagen, "´76 was ´76, no matter what they say."

 

Bei Green Day, die übrigens in diesem Jahr auch schon ihr 20jähriges Bühnenjubiläum unter dem ökologisch unbedenklichen Kiffer-Markennamen feiern, liegt der Fall noch ein wenig anders als bei John Lydon, Pete Shelley oder Campino, da das Trio erst mit dem Revival des Revivals loslegte. Bereits 1994 waren ihre politisch korrekten zwei Akkorde so erfolgreich, daß die Musiker von ihrem Album "Dookie" Millionen und Abermillionen Stück verkauften, Stadien füllten wie Pink Floyd oder Queen und zu echten Superstars wurden.

Daß sie hübsche Melodien schreiben können und harmoniemäßig eher Brian Wilson als Johnny Thunders sind, erklärt dabei den überragenden Erfolg der Kombo: Viele Green-Day-Songs funktionieren als gelungene Gassenhauer über die engen Genregrenzen hinweg. Es ist das gute alte Depeche-Mode-Syndrom, das sich hier in Reinkultur wiederfindet. Dazu kommt im speziellen Fall politische Korrektheit an den Stellen, wo mein letztes "Miststück", The Fugs, noch subversiv war. Heute sind die Feindbilder ja weitgehend Allgemeingut, und die Revolution findet nicht statt, weil das Bürgertum eine friedliche Welt will, in der kein bin Laden schicke Gadgets zweckentfremdet oder gar in die Luft jagt. Obama-Wähler können sich auf Green Day einigen, was wirklich o. k. ist - weil das Ganze inhaltlich zwar nicht so tief geht wie eine einzige Strophe eines Lieds der Goldenen Zitronen, aber eben doch jederzeit besser ist als Paul Potts und das andere Kanonenfutter, das die Musikindustrie in die letzte Schlacht schickt.

 

Dementsprechend ist es kein Wunder, daß sie einen Song im Verbund mit U2 aufnahmen, und auch nicht, daß "American Idiot" noch erfolgreicher war als das bis dato veröffentlichte Material: Es handelte sich bei der Idioten-CD um ein bis ins Detail ausgeklügeltes Konzeptwerk, das schnelle Mitsingnummern und hübsche Balladen (sic! "Boulevard Of Broken Dreams") zu einem leckeren Menü mischte.

Genauso funktioniert auch das neue Album "21 Century Breakdown", da es sich dabei um eine recht gelungene Kopie des Monsteralbums handelt: "Broken Dream" heißt dieses Mal "21 Guns", und aus dem Hit "American Idiot" wurde wieder ein Chart-Stürmer, nämlich "Know Your Enemy". Der Song rockt und rollt in die Gehörgänge, daß das härteste Schmalz zerbröckelt - und setzt sich im Unterbewußtsein fest, das uns jeden Morgen ein merkwürdiges Lied in den Sinn kommen läßt.

Wie viele Menschen mit "Know Your Enemy" die Zeit vor dem Rasier- oder Schminkspiegel verbringen, läßt sich nicht sagen, aber es müssen verdammt viele sein. Auf jeden Fall mehr als die, die sich fragen, wieso sie im Badezimmer ausgerechnet "Spaniens Gitarren" von Cindy & Camembert erklingen lassen müssen. Das gemischte Schlagerduo hat übrigens vor Jahr und Tag Black Sabbaths "Paranoid" gecovert und kongenial in "Der Hund von Baskerville" übersetzt. Die beiden ZDF-Hitparaden-Rentner könnten ja jetzt auch auf die Idee kommen, mit einer deutschen Version von "Know Your Enemy" ein gnadenlos erfolgreiches Comeback zu starten. Potential hat der Song, man muß ihn nur mit Mandolinen oder Bouzouki instrumentieren und in "Ich fand eine Hand" umbenennen. Als B-Seite kann man dann gleich "20 Rosen" aka "21 Guns" auf das Publikum loslassen, weil Oma schließlich genauso gern schunkelt wie ihr Enkel.

Nächste Woche ist hier mal wieder Pause, aber danach geht es hurtig weiter im Text, doch eher langsam im Song weiter. Ich werde mich dann nämlich Elvis Costello widmen, der vergangenes Jahr die Puppen tanzen ließ und es nun altersgemäß zahm angehen läßt. Und ich werde ihn mit seinen ehemaligen Label-Kumpanen Madness vergleichen. Also freuet euch auf "Zwei vom selben Stamm" - das "Miststück" um die letzten Stiff-Mohikaner.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Green Day - 21 Century Breakdown

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