I Am Kloot - Sky At Night
PIAS
Sollte hier nicht wieder mal etwas richtig Neues vorkommen? In der Tat, das war geplant. Leider ist die Band aus Manchester auch nicht besonders taufrisch. Aber dafür macht sie richtig schöne Musik für den Abend auf der heimischen Terrasse, findet Manfred Prescher. 26.07.2010
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
I Am Kloot - so merkwürdig nennt sich eine aufstrebende Gruppe aus der malerischen Industriebrache Manchester. Dort, im britischen Ruhrgebiet, gedeiht das musikalische Pflänzchen bereits seit 1999 und lange Jahre weitgehend unbemerkt. Das liegt vielleicht an dem merkwürdigen Namen, der im Deutschen eher mit Hoden als mit Pop in Verbindung gebracht wird.
Wahrscheinlicher ist aber, daß der zeitlose Indie-Folk-Rock-Mix des Trios John Bramwell, Andy Hargreaves und Pete Jobson einfach nicht catchy genug ist, um als Hype durchzugehen. Von dieser Gruppe kommt außerdem rein gar nichts, was sich zu einer Klatschmeldung aufblasen ließe. Sie nehmen ihre Drogen wahrscheinlich so heimlich, daß Paparazzis nie eine Chance auf einen Schnappschuß hätten und sind im Vergleich (nicht nur) zu Pete Doherty brave Chorknäblein aus der Klosterschule der Heiligen Einfältigkeit. Dafür glänzt speziell Bramwell als extrem begabter Songwriter, der auf einer Stufe mit Morrissey oder dem hierzulande leider immer noch schwer unterschätzten Richard Hawley steht. Mit dem Großmeister aus Sheffield verbindet den Kopf der "Klöten" übrigens eine ganze Menge: Der Hang zur Melancholie, die Einprägsamkeit weicher Moll-Passagen und die sehr einfühlsam-tiefe Stimme. Bramwell singt nicht, er betört. Sein Organ ist ein Instrument, das jedem Stück eine Richtung vorgibt und es unverwechselbar macht.
Im Vereinigten Königreich haben einige Menschen schon erkannt, daß I Am Kloot weit weniger wunderlich sind, als ihr Name vermuten läßt. Mit "Over My Shoulder" landeten sie einen mittelgroßen Hit; ihr mittlerweile fünftes Album " Sky At Night" setzt den sachten, aber kontinuierlichen Aufwärtstrend fort. Wieder ist ihnen alles Pompöse fremd, das Trio konzentriert sich auf eingängig-zeitlose Melodien, die zu jeder Zeit entstanden sein könnten und gerade deshalb auf unprätentiöse Art sehr modern wirken. I Am Kloot sind keine Zirkusartisten, die einen Freddie Mercury aufs Trapez schicken, damit der den Fans den Glamour einer Scheinwelt vorgaukelt. Sie schreiben Songs und spielen die ganz ohne Verfremdung oder Überhöhung. Damit stehen sie mit beiden Beinen tief im Erdreich, irgendwo dort, wo die Traditionen begraben sind.
Hört euch nur mal "Northern Skies" an, ein Lied, das so klar ist wie eine Nacht im schottischen Hochland. Es ist wie ein romantischer Abend unter dem Polarstern, bei dem das Liebespaar aneinandergekuschelt schweigt und gemeinsam die Zeit zum Stehen bringt. Der artifizielle "Cherry Moon" funkelt anderswo. Hier gibt es keine Bohrlöcher, die verstopft werden müssen, keinen Glaubensterror und auch keine Weltwirtschaftskrise. (Die nächste Wirtschaft ist mindestens 25 Kilometer entfernt und sicher kein Ort, an dem befremdliche Hedgefonds-Typen wie Heuschreckenschwärme agieren ...) Hier zirpen Grillen, und alles ist friedlich.
I Am Kloot sind keine Revoluzzer, sie schaffen "nur" kleine Oasen glückseliger Ruhe in einer ansonsten lärmenden Umgebung. Das ist zugegebenermaßen nicht besonders aufregend oder gar revolutionär, aber die Frage, ob ein Popsong die Welt retten oder wenigstens verändern kann, ist doch ohnehin längst beantwortet. Man kann sich getrost auf die Terrasse setzen und das laue Lüftchen genießen, mit dem uns I Am Kloot umschmeicheln. Der rauhe Wind des Alltags bläst uns noch früh genug wieder um Nasen und Ohren.
Wie der klingt, verrate ich euch nächste Woche - dann wird es nämlich um das turbulente Solowerk des Outkast-Moppels Big Boi gehen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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