Kolumnen_Miststück der Woche III/62

Jake Bugg: "Slumville Sunrise"

Es ist echt ein Kreuz mit diesem Leben. Da ist man noch nicht mal 20 Jahre alt, schlanker als Adele, aber mindestens genauso begabt - und zweifelt trotzdem, ob diese Welt lebenswert ist. Ist sie aber, ruft Manfred Prescher dem englischen Nachwuchspoeten zu.    02.12.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Wenn man ein "Slumdog Millionaire" ist und sich aus irgendeiner versifften Großstadt-Hood irgendwie zu irgendwas hochgearbeitet hat, kann man das als persönlichen Triumph ansehen. Wer nämlich mit goldenen Löffeln im Mund auf die Welt kam und von Natur bzw. kapitalistischer Ressourcenverteilung mit einem Übermaß an Möglichkeiten ausgestattet wurde, hat es in vielerlei Hinsicht leichter - auch in puncto "Fallen kommt nach dem Hochmut". Ich kenne so jemanden, ihr wahrscheinlich auch ...

Jake Bugg und ich gehören definitiv nicht zu denen, denen Dänen die Legosteine auf dem diamantbesetzten Goldtablett in die Kemenate gereicht haben. Während ich in "Gostambul" aufwuchs, wurde James Edward Kennedy, wie Bugg eigentlich heißt, im Nottinghamer Stadteil Clifton groß. Noch in den späten siebziger Jahren hat Margaret Thatcher erst die Existenz dieses Plattenbau-Problemgebietes und dann auch Argentiniens energisch bestritten, was aber nichts genützt hat. Doch die eiserne Meerkriegsjungfrau hat ja sogar den Punk geleugnet. Gäbe es den nicht, wäre Jake Bugg heute wahrscheinlich musikalisch anders sozialisiert, wenn überhaupt. Seine aktuelle Single "Slumville Sunrise" klingt jedenfalls doch eher nach Clash als nach Dylan - was beim fahlen Licht schmutziger Abbruchhausfenster durchaus nahe beieinander liegt. Rick Rubin - genau, der schon wieder - hat Bugg auf jeden Fall rotziger, rauher und rabiater gemacht. Ob das eine gute Idee war? Eher nicht. Mir gefiel der spätpubertäre Bänkelsänger besser, aber ich kann verstehen, daß sich die aufgestaute Wut irgendeinen Weg suchen muß. Ob das aber ein weiterer zorniger Popsong von mediokrer Qualität sein muß?

 

Vielleicht zeigt sich jetzt, daß Jake Bugg nur einer von vielen ist, die als Teenager zur Feder griffen und sinnlos-sinnige Gedichte verfaßten, statt eine Schule niederzubrennen. Wer das für einen blöden Kalauer hält, sollte mal in der Wikipedia nachgooglen, denn genau dafür wurde Clifton in den späten 80er Jahren über die Grenzen von Sherwood Forest hinaus berüchtigt. Die Ruine steht heute noch einfach so in der Gegend rum, ist Treffpunkt und Rückzugsort der Jugend. Die lernt dort wahrscheinlich mehr für das Leben als früher noch von Maggie Thatchers Schlacht am Trafalgar Square oder Vizeadmiral Horatio Nelsons großem Kampf um die kleine Falkland-Insel. Ich hoffe, daß es dort zu Verbrüderungs- und Verschwesterungsaktionen kommt, wie wir sie von Tick, Trick und Track kennen: "Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr."

Aber erstens kennt man im Nottinghamer Slumville-Viertel sicher weder Dr. Erika Fuchs noch Schillers Rütli-Schwur, nach dessen Vorbild die Grande Dame dieses Kleinod von einem Spruch ersann. Und - genau, zweitens fehlt noch - zweitens wäre das viel romantischer, als die Realität an einem sozialen Brennpunkt sein kann. Aber auch Buggs Text schafft kaum einen relevanten Bezug, ist politisch platt wie das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen in großer Runde: "This place is just not for me/I say it all the time/My friends they just ignore me/Tell me never mind/Waiting all your life on a slumville sunrise ..." Na, wolle mer das mal durchgehe lasse? Mir jedenfalls war zum Beispiel "Broken" (siehe Miststück III/23) lieber. Doch schon damals frug ich mich, ob das Kerlchen nicht überschätzt wird. Richtig zeigen wird sich das wohl erst mit dem dritten Album.

Nächste Woche werde ich mit euch durch meinen privaten Sherwood Forest wandern und versuchen, mit meinen sprachlichen Pfeilen Herrn Williams zu treffen. Das mag jetzt ein wenig zu abgeschmackt daherkommen, paßt aber genau zu dem Lied, über das ich zu schreiben gedenke: "Minnie The Moocher", gesungen von Robbie, der sich doch tatsächlich an Cab Calloway versucht. Ach - und falls ihr im dunklen Wald auf die liebliche Maid Marian trefft, grüßt sie herzlich von mir. Und sagt ihr, daß in der Kathedrale meines Herzens immer noch eine Kerze für sie brennt.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Jake Bugg: "Slumville Sunrise"

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Enthalten auf der CD "Shangri La" (Mercury/Universal)

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