Just Jack - Overtones
Universal (GB 2007)
Ich aber sage Euch, das nächste große Ding nach Freddy Mercurys Enkel Mika ist da: Es hört eigentlich auf den Namen Jack Allsopp und wird uns bald aus allen Radios entgegengrooven. 02.07.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Den Notizblock raus und mitgeschrieben, was ich euch diktiere: An Just Jack wird in Bälde niemand mehr vorbeikommen. Setzt ein Datum drunter und vergeßt das Ganze solange, bis ich euch wieder dran erinnere. Das wird der Moment sein, in dem landauf und kontinentab selbst der dümmste Bauer "Writer´s Block" und das dazugehörige Album "Overtones" kennt - und kein iPod mehr ohne diesen Song an den Ohren hängt. Es wird so kommen, verlaßt euch auf mein Wort. Es ist alles nur eine Frage der Zeit. Bei Mika sind schließlich auch ein paar Monde über Berg und Tal hinweggezogen.
Was mich so sicher macht? Es ist der unwiderstehliche Charme und der einmalige Sound des Londoners Jack Allsopp, zu dem seine stetig wachsende Fangemeinde einfach nur Jack sagt. "Just Jack" eben. Musikalische Parallelen zu Mika gibt es - von ein paar dem aktuellen Zeitgeist entsprechenden Disco-Zitaten - nicht. Während seit "Grace Kelly" beinahe jeder auf die opulenten Arien von "Life In A Cartoon Motion" steht und in Deutschland/Österreich sogar die vergleichsweise fade Single-Auskopplung "Relax, Take It Easy" zum Hit wird, ist man auf Grandma Elsbeths "My island is my castle" schon eine Generation weiter und hört einen Sound, der zwar irgendwie auch retro ist, aber doch auch ziemlich anders. Er enthält Elemente vom Electro-Funk eines Afrika Bambaataa oder Chris "The Glove" Taylor, dazu gibt´s Spuren von gut abgehangenem Chicago House, passende Siebziger-Jahre-Synthie-Cluster und natürlich britischen HipHop. Musikalisch ist Jack also den Streets näher als dem englischen Michel. Aber auch nicht wirklich, weil der Beat macht die Musik. Beim Belenus! Wo habe ich den schon mal gehört?
Wir schreiben 1988/89 - und die ganze weite Welt wird von einem Groove überschwemmt, den Clara Drechsler, die damalige "Spex"-Autorin und heutige Übersetzerin von (unter anderem) Irvine Welsh, Bret Easton Ellis oder Nick Hornby, als "der Beat schon wieder" bezeichnete. Drechsler ist mein Jahrgang, was natürlich nicht bedeutet, daß sie automatisch geschmackssicher ist, aber ein Hinweis, daß es so sein könnte, ist es natürlich schon. Auf jeden Fall hatte sie recht: Der Beat verfolgte einen auf Schritt und Tritt ins neue Jahrzehnt - und das so lange, bis man sich genervt in eine Punk-Oase oder in die SST-Wüste zurückzog.
Die Rede ist von Jazzie B.s Soul II Soul und dem dazugehörigen weichen und anschmiegsamen Rhythmusgerüst, das trotz seiner fließend-unaufdringlichen Konturen dynamisch und energiegeladen daher kam. Die Songs des mutig "Club Classics Vol. 1" betitelten Debütalbums waren damals allesamt Hits, doch nach der Übersättigung dauerte es - zumindest bei mir - locker eineinhalb Jahrzehnte, bis ich "Keep On Movin´", "Get A Life", "Back To Life (However Do You Want Me)", "Jazzie´s Groove" oder "Fairplay" wieder schmerzfrei hören konnte. Bis ich diesen eigentlich wirklich schönen, mit wolkigen Soul-Daunen prall gefüllten Sound-Decken wieder freiwillig einen Platz im Herzen und auf dem Turntable freiräumte, sollten noch einmal ein paar Jahre vergehen.
Wahrscheinlich ging es Jack Allsopp ähnlich. Als Soul II Soul groß waren, brach bei ihm grad die Pubertät aus, und er dürfte mit dem Aufkeimen gewisser Präferenzen beschäftigt gewesen sein. Bereits mit 15 Lenzen verdingte er sich als DJ, und so ist es gut möglich, daß das frühreife Bürscherl anno ´89 erkannt hat, daß Jazzie´s Groove auf die Girls wahrhaft hypnotisch und aphrodisierend wirkt. Trotzdem hat er "den Beat schon wieder" auch relativ rasch in sein Unterbewußtsein abgedrängt. Das belegt das erste, leider nicht mehr erhältliche Just-Jack-Album "The Outer Marker" von 2002: Dort dominieren ganz eindeutig härtere HipHop-Sounds, die Platte orientiert sich eher am Style von Dr. Dre oder anderen amerikanischen Rap-Produzenten als an englischen Vorbildern. Das heißt auch, daß die Platte weniger den Wohlfühl-Charme des Nachfolgers verströmt - und der geht urheberrechtlich mindestens auf Soul II Soul zurück. Woher Jazzie B. seine Loops hat, ist eine andere Frage. Die muß hier nicht beantwortet werden, es genügt, den Namen Eddie Harris in die Leserrunde zu werfen. Schließlich muß der moderne Mensch die Bezüge nicht bis zu Adolf und Eva zurück verfolgen. In Wahrheit erinnert er sich nicht mal mehr an die letzte Staffel von "DSDS".
Just Jack wird uns auf jeden Fall solange durch die nächsten Wochen und Monate begleiten, bis die Massen ihre Kompatibilitätsschnittstelle zu dem guten Groove gefunden haben oder er ihnen durch Marketing-Maßnahmen nähergebracht wurde. Dann werden wir die CD für geraume Zeit im Regal verschwinden lassen. Irgendwann, wenn wir uns wieder mal auf einen archäologischen Trip in die jüngere Vergangenheit begeben, werden wir "Overtones" erneut entdecken und uns an diesen einmalig schönen Sound-Gebilden erfreuen. Just Jacks musikalische Enkel werden dann gleichzeitg für ein angemessenes Remake sorgen. Und Soul II Soul wird nur noch irgendwelchen Greisen im Altersheim etwas sagen.
Bis es soweit ist, dauert es natürlich noch etwas. Ihr alle da draußen könnt euch solange an "Writer´s Block", an seinem hypnotischen Beat und an herrlich schwelgerischen Zeilen wie "It´s like the tapestries of life get tangled in the loom/I´m like a butterfly, caught in a hurricane/My pulse is quickening as my heart plays a new refrain" erfreuen. Keine Angst: Der Beat tut niemandem was. Es ist bloß Jack - und der will nur mit uns spielen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Just Jack - Overtones
Universal (GB 2007)
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.
Kommentare_