Kolumnen_KernKraftKolumnen, die die Welt nicht braucht #28

Der Urknall findet nicht statt

Katastrophen sind derzeit en vogue. Doch Bahnentgleisungen, einbrechende Minen, explodierende Space Shuttles und Concordes waren gestern. Als Nonplusultra der Katastrophe gilt der nukleare GAU. Ein verbreiteter Irrtum.    07.04.2011

"Der Herr weidet mich auf einer grünen GAUe" heißt es schon in der Bibel ... selbstverständlich nur ein Scherz von ihm, wie man überhaupt das ganze Thema nicht besonders ernst nehmen kann, vor allem die Aussagen der Experten, die sich an der Diskussion beteiligen.

So ist in letzter Zeit viel vom "größten anzunehmenden Unfall" (GAU) zu hören. Und daß dieser ja Gott sei Dank wieder nicht eingetreten sei. Beziehungsweise - je nachdem - wen man fragt, daß er zwar ein ganz klein bißchen eingetreten sei, aber daß es sich nur um den größten anzunehmenden Unfall handeln würde, nicht jedoch um einen noch größeren anzunehmenden Unfall, den Super-GAU also, bekannt aus Tschernobyl. Normale GAUs hingegen sind eigentlich streng betrachtet eher kleine GAUs. GAUchen. Und diese GAUs sind ja ohnehin alle sehr unwahrscheinlich, heißt es von Experten.

Ich gebe zu, ich kann dem geistig nicht ganz folgen. Aber ich habe ein gewisses System darin entdeckt. Der größte anzunehmende Unfall ist nämlich ganz offensichtlich nicht gleichzusetzen mit der schlimmsten Katastrophe, die passieren kann - auch wenn das auf der Hand zu liegen scheint. Der größte anzunehmende Unfall ist vielmehr jene Katastrophe, die mit einer gewissen Unwahrscheinlichkeit nicht eintritt und bei der sämtliche Schutzmaßnahmen auf dem Papier noch funktionieren, in Wirklichkeit aber versagen.

 

Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Unwahrscheinlichkeit, mit der etwas nicht eintritt. Es ist zum Beispiel absolut unwahrscheinlich, daß ein Kernreaktor irgendwie durchbrennt oder wie man das nennt (ich betone, anders als die anderen Experten kein Experte zu sein). Es ist zum Beispiel, das weiß ich aus Erfahrung, äußerst unwahrscheinlich, daß Lotteriespieler im Lotto den Hauptgewinn ziehen. Das halten ja vor allem kluge Menschen, meist Experten in Wahrscheinlichkeitsrechnung, immer wieder all jenen Menschen vor, die Woche für Woche Geld rauswerfen, in der Hoffnung, diesen so absolut unwahrscheinlichen Hauptgewinn einzustreichen.

Doch egal, wie unwahrscheinlich etwas auch ist, allein, daß es als "unwahrscheinlich" gilt, beinhaltet bereits, daß es gleichzeitig auch "wahrscheinlich" ist. Das sage ich jetzt mal so, als Nicht-Experte mit gesundem Menschenverstand. These: Was mit 90prozentiger Wahrscheinlichkeit niemals eintreten kann, das wird mit 10prozentiger Wahrscheinlichkeit eben doch eintreten, und zwar ebenso garantiert.

Aus diesem Grunde spiele ich ja auch Lotto. Fast jede Woche zieht nämlich einer den Hauptgewinn, auch die Jackpots werden regelmäßig geknackt. Und diese Hauptgewinne könnten auch mich treffen - einfach, weil das Unwahrscheinliche offenbar doch ganz wahrscheinlich ist.

 

Übertragen auf Atomkraftwerke sieht das so aus: Seit dem Bau des ersten Kernkraftwerks im Jahre 1954 ist es absolut unwahrscheinlich, daß der GAU eintritt. Doch allmonatlich hört man von Zwischenfällen in den Reaktoren gewisser Nachbarländer, und auch die Kette Windscale, Harrisburg, Tschernobyl, Fukushima zeigt, meiner Argumentation folgend, daß das Unwahrscheinliche offenbar ziemlich wahrscheinlich ist, ja, mit zunehmender Zeit sogar immer wahrscheinlicher wird. Ich prophezeie an dieser Stelle daher einen GAU in China in den nächsten 100 Jahren. Er muß einfach kommen, zwangsläufig. (Man wird eines Tages an meine Worte denken!)

Doch ist der GAU wirklich der GAU? In Japan sind ja nur ganz wenige Leute an Fukushima gestorben - selbst schuld, würden Zyniker ohnehin sagen, wenn man in einem Kernkraftwerk arbeitet. Viel mehr Leute aber sind durch den Tsunami gestorben und durch das Erdbeben. Waren die also der GAU? Mitnichten! Denn diesseits von Japans Grenzen geht´s uns allen blendend und wir warten bereits auf neue Lieferungen von Sony und Toyota. Ich wage zu behaupten: Alle Atomkraftwerke auf einmal könnten die - absolut unwahrscheinliche - Kernschmelze kriegen (natürlich nur wegen menschlichen Versagens, ein Faktor, der offenbar in Wahrscheinlichkeitsrechnungen niemals vorkommt), und dennoch würde sich die Welt noch drehen und wir würden weiterhin unsere Autos waschen (wegen des Fallouts).

 

Was also wäre ein GAU? Doch wohl eher, daß ein Meteorit in die Erde einschlägt, die Asche einen globalen Temperatursturz auslöst und die Menschheit auslöscht, samt Mozart-Sinfonien und -kugeln. Endlich: der GAU? Eben nicht! Eher "Ruhe nach dem Sturm", doch Skorpione und Flechten würden nicht einmal mit der Wimper zucken und einfach weitermachen wie bisher - ein Zeichen ihrer wahren Intelligenz.

Es müßte schon eher die Sonne durchbrennen und die ganze Erde rösten. Doch ein Sonnensystem mehr oder weniger in der Milchstraße - ganz ehrlich, würde Ihnen das auffallen? Da müßte schon die ganze Galaxis weggedampft werden. Andererseits gibt´s ja noch weit mehr Galaxien als bloß die eine; die Zahlen der stets glaubwürdigen Experten gehen in die Millionen und werden ständig (und stets nach oben, nie nach unten) korrigiert. Kurzum: Der GAU müßte schon das gesamte Universum erfassen. Und nicht nur unseres, sondern auch alle Paralleluniversen, in die man sich sonst sicher flüchten könnte; plus Vergangenheit und Zukunft, beides ja nur Eigenschaften des Raumes - auch sie müßten in einem Big Bang verschwinden.

 

Der Urknall, ja: den lasse ich als GAU gelten. Alles andere, so sagen die Experten, alles andere ist doch letztlich technisch in den Griff zu kriegen, meine Herren. Und dieser sogenannte "Urknall-GAU", aus dem eine komplette neue Schöpfung hervorgeht oder schon hervorging, der ist ja auch wieder so verdammt unwahrscheinlich ...

 

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Das Bilderrätsel - heute besonders rätselhaft:

Andreas Winterer

Kommentare_

Schroeder - 29.04.2011 : 23.01
Indes, werter Nicht-Experte, impliziert die "verdammte Unwahrscheinlichkeit" eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Will freilich nicht spitzfindig werden, aber diese gewisse Wahrscheinlichheit bedarf schon einer Abwägung Ihrerseits, als Nicht-Experte freilich auch.
Der Kolumnist - 30.04.2011 : 09.35
Zugegeben: Wenn etwas verdammt unwahrscheinlich ist, entbehrt dies nicht einer kleinen, aber vernachlässigbaren Restwahrscheinlichkeit. Im Nachhinein weiß man ja eh alles besser. Zum Beispiel: Wir sind, also urknallten wir. Aber diesen GAU konnte nun wirklich niemand vorhersehen...

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